Mit kompromissloser Superkraft und neonfarbenen Pilzen ...
Sebastian Hannak entwarf die Bühne für die Strauss-Oper „Ariadne auf Naxos“. Dramaturgin Frederike Krüger hat mit ihm gesprochen.
Frederike Krüger: Warum gibt es Pilze in deinem Bühnenbild von „Ariadne auf Naxos“?
Sebastian Hannak: Die Pilze spielen eigentlich eine Nebenrolle, aber da es außer den vielen Flügeln, die wir in unterschiedlichen Konstellationen und Bildern auf der Bühne sehen, nicht viele andere Elemente gibt, fallen sie ganz besonders auf. Ganz konkret sind sie Requisiten der Komödianten um Zerbinetta, die im ersten Teil „im Hause des reichsten Mannes von Wien“ neben der „ernsten“ Oper des Komponisten ihr Werk als eingeschobenes Divertissement zur Aufführung bringen sollen. Der Raum ist eher abstrakt und hell gehalten, so dass ein deutlicher schwarz-weiß Kontrast aus den Flügeln und den Wänden entsteht, und darin entfalten die übergroßen, neonfarbenen Pilze eine erheiternde Wirkung von Fremdkörpern, die einer eigenen Logik folgen.
In „Ariadne auf Naxos“ werden ganz unterschiedliche gegensätzliche Kunst- und Lebensauffassungen auf die Bühne gebracht: „Ernste“ Kunst gegen „niedere“ Kunst, Idealismus gegen Pragmatismus, die eine Liebe gegen viele Lieben… Was interessiert dich daran? Oder an „Ariadne“ allgemein?
Sebastian Hannak: Für mich war tatsächlich das Zeigen eines kreatürlichen Nukleus der Punkt, der mich am meisten interessiert und begeistert hat und in dem ich mich auch persönlich wiederfinden kann. Zu Beginn ist ein Werk in der Entstehung, kurz vor der Aufführung. Ob es nun tatsächlich das Meisterwerk ist, für das es der Komponist selbst hält, werden wir ja nicht erfahren, das Werk kommt nicht zur Aufführung. Aber der unbedingte Wille, dass dieses Werk eine eigenständige Berechtigung hat, die auf eine Wirkung abzielt, die durch nichts anderes zu beschädigen ist, gefällt mir in seiner Radikalität. Vielleicht ist der Komponist auch deswegen so sympathisch wie bewundernswert, weil man ihm mit dem milden Blick der Diskursfähigkeit und Kompromissgewohnheit zurufen möchte, dass er nun mal auch Kompromisse schließen müsse – was Hofmannsthal dem Musiklehrer ja auch gestattet. Strauss und Hofmannsthal haben so nicht nur ihrer eigenen Zeit, sondern auch kommenden Zeiten einen grundlegenden Konflikt entnommen.
Der Komponist wird bei der Erstellung und kurz vor Umsetzung seines Werkes empfindlich gestört und gefordert. Seine Kunst wird als verhandelbares Konsumgut der kapitalistischen Gesellschaft gezeigt, worüber er verständlicherweise erst erzürnt, dann in Rage gerät und bei uns in einem Akt der Verweigerung lieber sein Werk vernichtet, als den geforderten Kompromiss einzugehen. Diese kompromisslose Superkraft empfinde ich als starkes Statement und als unlösbaren Konflikt, weshalb sich die Bühne als Ort der Verhandlung so hervorragend dafür eignet.
Wie hast du zum Bühnenbild von „Ariadne auf Naxos“ gefunden?
Der zuvor genannten Kompromisslosigkeit einer Kunst wollte ich eine Form geben. Wir wohnen in beiden Teilen Bewältigungsversuchen künstlerischer und individueller Identitätskrisen bei. Der Komponist sitzt zu Beginn an einem Flügel, an dem er komponiert – und dieser eine Flügel entwickelt bildnerisch ein Eigenleben ab diesem Moment. Er steht zeichenhaft für das, was verhandelt wird. Für jede der Figuren geht es um individuelle Ausdrucksweisen, die hier anhand von Musik verhandelt werden. Und so wird in immer anderen Konstellationen anhand dieses einen Objektes der Wahnsinn dekliniert, der aus Sicht des Komponisten auf ihn und sein Werk einprasselt: Der Flügel wird erst gedoppelt, dann gespiegelt verdoppelt. Es werden immer mehr Flügel, bis am Ende des Vorspiels der ganze Raum voller Flügel ist und so das Schöne wie Erhabene des einzelnen Instruments als Kernzelle eines Kunstgedankens völlig obsolet wird zugunsten einer Ersetz- und Austauschbarkeit.
Es entsteht ein Bild der Unterwerfung der autonomen Kunst unter dem Diktat des Auftraggebers. In der Oper dann findet das Bild des Flügels wieder zu einer neuen Bestimmung: aus der Asche des Vorspiels entstehen in verschiedenen Bildern auf der Drehbühne als eine fortlaufende Verwandlung erneut unterschiedlichste Bilder der Trauer – aus Flügeln. Bis am Ende vielleicht ja doch der Triumph einer neuen Kunstform stehen kann. Zumindest als Möglichkeitsraum, in dem zum Ende der Oper viele, viele Flügel im Halbrund über- und nebeneinanderstehen, die in der Andeutung eines Kreises eine Erfüllung oder eine Versöhnung suggerieren, bei der alle mit allen musizieren. Auch Hofmannsthal suchte die Fusion verschiedener Künste: Schauspiel, Geste, Ritual, Mythos, Bühnenbild und, nicht zuletzt, Musik. Das ist etwas, was über dieses Werk hinausgeht und was mich in meiner eigenen Arbeit auch sehr interessiert: das Experimentieren mit unterschiedlichen Formen und Genres mit Mitteln der bildnerischen Erzählung.
Veröffentlicht am 20. Januar 2023