myveryownfeministbookclub #1

#1 Kick-Off. Dramaturgin Theresa Schlesinger macht einen Club auf. 

Auf einmal ist es draußen still. Leer. Alles neu, alles anders. Gerade noch schien es so weit normal, das übliche Chaos eben, und plötzlich befindet sich die ganze Welt in einer Krise. Fast nicht auszuhalten und nur schwer zu begreifen.

Wir lasen laut, bedacht und begierig auf jedes Wort

Noch vor gefühlt ein paar Tagen (faktisch sind es zwar schon fast zwei Wochen, aber was ist Zeit? Die Tage verschwimmen …), saßen wir noch gemeinsam, hoffnungsvoll, an einem Tisch auf einer Probebühne des Theater Bremen und lasen uns gegenseitig vor. Wir: 16 Menschen, die zusammen gekommen waren um ein Theaterstück zu proben, das wir Die Marquise von O… — Faster Pussycat! Kill Kill! getauft hatten. Wir lasen laut, bedacht und begierig auf jedes Wort. Wir tauschten Gedanken, tiefe und wertvolle, einfache und offensichtliche, banale und lustige — alle wichtig, rund um die Fragen nach weiblicher Befreiung, nach dem Recht auf Gewalt, wenn es um die Verteidigung des eigenen Körpers geht, um weibliche Lust und männlich geprägte Narrative. Wir hatten uns etwas Großes vorgenommen und waren mit vereinter Energie und Freude gestartet. Heute ist auf einmal alles anders. Wir teilen keinen gemeinsamen Raum mehr, jedenfalls keinen physischen, die Gedanken schwirren frei herum, ohne einen Platz, an dem sie landen können. Und so will ich wenigstens ein paar davon aufgreifen und ihnen einen neuen Ort geben, um sie zu teilen und frei fliegen zu lassen. Dieser Ort ist hier. Und dieser Ort soll geteilt werden mit allen, die wollen. Herzlich Willkommen! 

Ich möchte erzählen von Sätzen und Gedanken, die schon länger an meiner Seite sind

Hier möchte ich berichten von Büchern, Texten und Autorinnen, die uns in der Arbeit begleitet haben. Ich möchte erzählen von Sätzen und Gedanken, die schon länger an meiner Seite sind und mich darin bestärken, dass es wichtig ist davon zu schreiben, was es bedeutet in unserer Gesellschaft Frau zu sein, was es bedeutet, den männlichen Blick zu durchbrechen und letztendlich eben vor allem auch die patriarchalen Strukturen und wie es gelingen kann, die eigene Perspektive auf die Geschlechterverhältnisse, die unsere Gesellschaft prägen, zu verstehen und zu verändern. 

Dieser virtuelle Ort hier soll jetzt also dabei helfen den Blick auf weibliche* Perspektiven zu richten

Ich schreibe, weil es wichtig ist, gerade jetzt darüber zu sprechen. In Zeiten einer globalen Krise scheint es vielleicht auf den ersten Blick nebensächlich, die eigene feministische Lektüre in den Mittelpunkt  der Auseinandersetzung zu stellen. Wenn wir aber genauer hinsehen, ist es vielleicht wichtiger denn je. In den US-Bundesstaaten Texas und Ohio wurde vor ein paar Tagen das Recht auf Abtreibung während der Corona-Krise ausgesetzt, viele Frauen überall auf der Welt sind während der Isolation mit einem gewalttätigen Partner zu Hause eingesperrt, Statistiken zeigen, dass Frauen in den sogenannten systemrelevanten Berufen deutlich über der Anzahl Männer liegen.

Dieser virtuelle Ort hier soll jetzt also dabei helfen den Blick auf weibliche* Perspektiven zu richten. Ich nenne ihn „Buchclub“, weil ich versuchen will, in eine Art Austausch zu kommen. Meine Auswahl ist subjektiv und beschränkt sich auf Bücher, die mich seit einer Weile begleiten, die mir ans Herz gelegt wurden oder auf den Schreibtisch. Es sind Bücher, die mir geholfen haben und mir Inspiration und Trost waren. Mein Stapel wächst und wächst und ich möchte am liebsten mein ganzes Bücherregal aufarbeiten, vergrößern und dann teilen. Für jetzt beinhaltet mein ganz persönlicher Leseplan für die nächsten Wochen aber vor allem einen Einblick in die Arbeiten von Rebecca Solnit, Virginia Woolf, Roxane Gay, Laurie Penny, Margaret Atwood, Liv Strömquist, Margarete Stokowski und Carolin Emcke. Vielleicht schaut auch Chris Kraus noch um die Ecke, ergänze ich eine Prise Siri Hustvedt oder Donna Haraway und Ursula K. Le Guin steuern ein paar Worte bei. Vielleicht habt ihr, die das hier lest, auch Ideen oder Anregungen und wollt etwas beitragen.

Wie läuft das ab?

Jede Woche Freitag erscheint eine neue Ausgabe mit ausgewähltem Schwerpunkt, der mitsamt der vorgesehenen Lektüreempfehlung eine Woche vorher bekannt gegeben wird. Wer sich beteiligen möchte, Anregungen hat oder eine Leseerfahrung teilen will, kann sich unter dramaturgie@theaterbremen.de melden und wir finden heraus, wie eine gemeinsame Auseinandersetzung an einem virtuellen Ort ablaufen kann. Für den Anfang schicke ich Rebecca Solnit mit Wenn Männer mir die Welt erklären ins Rennen und frage (mich), wie die Lektüre einer solchen Essaysammlung, die von der Analyse eines alltäglichen Erlebnisses ausgeht und dabei einen Bogen spannt, der die patriarchale Gesellschaftsform mit all ihren unterdrückenden Mechanismen unter die Lupe nimmt, bei uns Lesenden eine produktive Kraft entfalten kann. Los geht’s! 

Wer übrigens den Lesestoff nicht zu Hause hat und gern kaufen will, kann dies bei den lokalen Buchhandlungen tun! In Bremen liefert zum Beispiel der Golden Shop sehr zuverlässig bis zur Haustür.