Liebe Sibylle …

Sibylle Bülau war seit fast 40 Jahren am Theater, als Betreuerin für den Kinderchor, in den letzten Jahren auch für die Kinderstatisterie. Wir sind ihr oft begegnet im Flur und hinter der Bühne – gemeinsam mit „ihren“ Kindern oder auf diese wartend. Immer freundlich und liebevoll und immer Süßigkeiten in der Tasche. Im Musiktheater stand sie auch auf der Bühne, ihre Auftritte in Lucia Lammermoor und zuletzt in Jakob Lenz werden in Erinnerung bleiben. In diesem Sommer ist Sibylle Bülau gestorben. Ein Nachruf von Sängerin Nadine Lehner.

 

Liebe Sibylle,

die neue Spielzeit beginnt. Endlich, nach eineinhalb Jahren können wir wieder mit Orchester vor Publikum auf der Bühne stehen. Vor den Ferien warst du noch dabei, als Betreuerin des Kinderchores, wie all die Jahre, hast dich so gefreut uns alle wiederzusehen, nach der langen Zeit ohne Theater. Und jetzt komme ich zum Bühneneingang rein, schaue durchs kleine Fenster zum Pförtner und du bist nicht da. Du sitzt auch nicht auf der roten Samtbank, gegenüber der Briefkästen und schenkst uns allen dein wunderschönes strahlendes Lächeln.

Es geht wieder los, ABER OHNE DICH!

Es war ein Schock für mich kurz vor der Spielzeitpause zu hören, dass es dir sehr schlecht geht und man dich nicht mehr erreichen kann. Für mich warst du unsterblich, eine Lichtgestalt. Immer für alle da, stets positiv und voller Liebe für unseren Beruf, für den Chor, das Orchester, überhaupt für alle Mitarbeiter auf und hinter der Bühne.

Eigentlich wusste ich wenig von dir, deinem Privatleben. Wir hatten eine echte Theaterbeziehung! Natürlich erinnere ich mich an alle Begegnungen und unsere Gespräche bis heute sehr gut, auch wenn es im Nachhinein viel zu wenige waren.

Du warst eine Erscheinung: hoch gewachsen, schlank mit strahlend weißem Haar und immer perfekt gestylt. Die Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe, wollten wissen: Wer ist diese ältere Dame hinter der Bühne? Können wir sie nicht mit in unser Stück einbauen? Und so kam es, dass du in Anna Karenina mein Alter Ego gespielt hast. Du hattest einen Satz: „Das bin Ja ich!“ auf mich schauend. Wir alle samt Armin Petras waren verzaubert und du warst so aufgeregt, dass du danach noch mehr Bewunderung hattest für unseren Beruf.

Von deiner Tochter Heike habe ich erfahren, dass du einen friedlichen Tod hattest und auch gehen wolltest. Das tröstet mich ungemein, aber ich hätte dich noch einige Jahre gebraucht. Du weißt gar nicht, wie viel mir deine Unterstützung und Bewunderung bedeutet hat. Keiner wird deine Position am Theater, nicht nur für mich, sondern für uns alle, ersetzen können!

Dein guter Geist wird uns begleiten und ich trage dich in meinem Herzen, in jeder Vorstellung, die ich noch am Theater singen werde.

In tiefer Liebe
Deine Nadine

 

Veröffentlichung: 13.09.21