Neu am Haus: Sonja Szillinsky
Sonja Szillinsky studierte Deutsche Philologie und Theaterwissenschaft in Berlin und Stockholm. Nach Stationen als Regieassistentin an der Schaubühne, Dramaturgieassistentin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und Dramaturgin am Jungen Schauspielhaus Hamburg ging sie ans Düsseldorfer Schauspielhaus. Seit dieser Spielzeit ist sie als Schauspieldramaturgin am Theater Bremen engagiert. Diana König hat sie getroffen.
Deine erste große Produktion hier am Haus ist gemeinsam mit Theresa Schlesinger die Dramaturgie bei „Das achte Leben (Für Brilka)“ nach dem Buch von Nino Haratischwili. Jetzt kommt ja häufig die Frage: Warum muss man einen Roman auf die Bühne bringen, warum spielt man kein Theaterstück?
Sonja Szillinsky: Lacht. In diesem Fall ist es mit gut 1300 Seiten sogar ein besonders langer Roman, der unglaublich viel Weltgeschehen enthält und damit einfach sehr reich an Geschichten ist. Das findest du auch in einigen Theaterstücken, aber ich habe den Eindruck, dass viele Regisseur:innen es mögen, aus umfangreicheren Texten auswählen zu können. Durch die Fülle steht mehr Material zu Verfügung und du kannst entscheiden, was du davon erzählen möchtest. Ein zweiter Grund ist wahrscheinlich das Interesse an epischen Erzählweisen, das seit einigen Jahren sehr groß ist: Vielen macht es Spaß, sich über einen längeren Zeitraum auf eine Geschichte einzulassen. Das zeigt sich zum Beispiel am großen Erfolg von Serien. Aber ich frage mich auch manchmal, wie wir es schaffen, mehr neue Stücke zu spielen, denn es gibt wirklich ganz tolle Gegenwartsdramatik.
Als ich das Buch gelesen habe, war ich fasziniert und sehr von der Geschichte gefangen. Mich haben auf der einen Seite diese starken Frauen beeindruckt, auf der anderen Seite habe ich aber auch darüber nachgedacht, dass eigentlich jeder dieser Frauen etwas Schreckliches zustößt. Und mich gefragt, ob sie dadurch sehr als Opfer dargestellt werden.
Sonja Szillinsky: Eigentlich fallen alle Figuren in diesem Buch an irgendeinem Punkt dem politischen System zum Opfer – besonders die Frauen, aber eben auch die männlichen Figuren – und wir erleben, wie sie sich dagegen zu wehren versuchen. Einige werden auch zu Täter:innen oder wenden sich dem System zu. Ich teile deinen Eindruck, dass sich der Roman trotzdem leicht liest, da er mit einer großen Wärme geschrieben und die Sprache sehr zugänglich ist. Du folgst den Figuren einfach sehr gern, obwohl sie Schreckliches durchmachen.
Es gibt auch sehr brutale Stellen im Roman. Wie übersetzt man dieses Rohe auf die Bühne?
Sonja Szillinsky: Bei einigen Szenen, die besonders gewaltsam sind, hat die Regisseurin Alize Zandwijk nach einer Übersetzung gesucht, die nicht eine direkte Bebilderung dessen ist, was beschrieben wird. Das ist bei dem Stoff natürlich nicht leicht, denn es geht viel um Gewalt – auch um staatlich ausgeübte Gewalt –, um internalisierte Gewaltvorstellungen und Machtverhältnisse. Das zieht sich auf unterschiedliche Weise durch die Generationen des Romans. Die jüngeren Generationen versuchen daraus auszubrechen – vor allem Niza und Brilka setzen dem etwas entgegen. Sie stehen nach dem politischen Systemwechsel auch für die Hoffnung auf ein demokratisches, selbstbestimmtes Miteinander.
Du hast eben gesagt, es gäbe ganz tolle Gegenwartsdramatik, an was denkst du im Besonderen?
Sonja Szillinsky: Ich lese zum Beispiel sehr gern Texte, die mich formal oder inhaltlich überraschen. Dramatik heißt ja schon lange nicht mehr, dass ein Text einer klassischen Dramaturgie mit Anfang, Mitte und Schluss folgt und eine Handlung beschreibt. Natürlich gibt es solche Stücke auch noch, aber das Verständnis davon, was ein dramatischer Text ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr geweitet. Formale Experimente machen mir persönlich einfach viel Spaß.
Vielleicht mal ein bisschen mehr zu dir: Du hast Deutsche Philologie und Theaterwissenschaft in Berlin und in Stockholm studiert. Warum hast du dich für ein Auslandssemester in Schweden entschieden?
Sonja Szillinsky: Ich bin seit sehr vielen Jahren regelmäßig dort. Nach dem Abitur habe ich dann ein Jahr als Au-pair in Stockholm verbracht und im Studium gern die Chance genutzt, zurückzukehren. Ich fand es interessant, dadurch eine Außenperspektive auf die deutsche Sprache und Literatur zu bekommen – und nebenbei hat sich mir der skandinavische Literaturraum eröffnet. Ich habe mich dort auch zum ersten Mal mit Theaterformen für junges Publikum beschäftigt. An meiner Uni in Berlin gab es damals dazu noch kein Lehrangebot.
Die Wahl deiner Studienfächer zielt sehr auf Dramaturgie – oder ist zumindest eine wirklich gute Vorbereitung. War der Weg ans Theater von vornherein klar für dich?
Sonja Szillinsky: Ja, es war auch von vornherein klar, dass es Dramaturgie wird. Ich habe in der Schule selbst Theater gespielt und mit der Zeit gemerkt, was genau mich am Theater interessiert: die Arbeit mit Texten und Sprache – für die Bühne.
Wenn du auf die nächsten Jahre am Theater Bremen blickst, was erhoffst du dir?
Sonja Szillinsky: Tolle Produktionen! Und viele schöne Begegnungen.
Veröffentlicht am 7. Februar 2023