Neu im Ensemble: Adèle Lorenzi

Musik ist für sie eine Lebensweise: Die französische Sopranistin Adèle Lorenzi gibt ihr Debüt in Titus. Diana König, Leiterin der Presseabteilung, hat sie getroffen.

Wenn ich deine Biografie lese, habe ich den Eindruck, dein Leben besteht aus Musik. Du singst in Opernhäusern, trittst mit Orchestern auf und hast zudem mit einem Pianisten ein Duo gegründet, mit dem du auch reist. Was gefällt dir an diesen unterschiedlichen Facetten?

Adèle Lorenzi: Ich habe inzwischen auch noch das Kammermusik-Ensemble Il Pavone gegründet, mit meinem Mann, er ist Cellist. Ich bin Musikerin, mein ganzes Leben dreht sich darum, es ist mein Lebensweg. Manchmal frage ich mich, warum ich diesen Weg gewählt habe, aber das werde ich niemals wissen, das ist das Spiel des Lebens … was ich sicher weiß: Musik ist meine Leidenschaft. Ich bin mit Leib und Seele Opernsängerin, aber Singen ist eben nicht nur Oper. Es gibt sehr viel Repertoire für Duos oder für Ensemble, zum Beispiel Kammermusik wie Pierrot Lunaire von Schönberg oder die 7 Romanzen von Schostakowitsch, Arien mit Orchester, etwa Samuel Barbers Knoxville: Summer of 1915, mit dem ich im April mit dem Orchester Appassionato in Frankreich auftreten werde. Ich singe mehr als Oper, weil ich möchte, dass meine Stimme anpassungsfähig und geschmeidig bleibt – ich glaube, nur Oper singen, ist nicht gesund.

Hast du eine bestimmte Routine vor Vorstellungen?

Ich esse viel. Vor Vorstellungen mache ich mir oft eine Pasta alla Norma, die ist sehr fettig (die Auberginenscheiben werden in Öl ausgebacken). Am Tag vor der Vorstellung gehe ich oft klettern. Um meinen Mut zu trainieren. Denn auf der Bühne steht man allein. Ein ganzes Orchester schaut einen an, der Dirigent, das Publikum. Da braucht man Mut. Oder Schwimmen, um meine Ausdauer und Belastbarkeit zu trainieren. Und ich mache natürlich Stimmübungen. Das aber eigentlich nicht mehr als an allen anderen Tagen auch. Ich bin der Meinung, die Vorstellungstage sind normale Tage mit einem Geschenk am Ende. Und ich liebe es, vor der Vorstellung in meiner Garderobe Musik zu hören.

Was hörst du dann da?

Ich bin total verliebt in klassische Schlager, ich höre gern Musik in meiner Muttersprache (Brassens, Brel, Barbara, Ferret) und in meiner Vatersprache (Dalla, de Gregori, Battisti, Celentano, Murolo), vor Vorstellungen höre ich oft Francesco de Gregori. Wenn ich in meiner Freizeit Oper höre, dann alte Fassungen, weil ich eine Leidenschaft für die alten Opernsänger wie Carteri, Ponselle, Tebaldi etc. habe. Aber ich höre viele Sinfonien und Kammermusik, vorzugsweise in live, weil ich glaube, dass wir unbedingt aufhören müssen, digitale Musik zu hören und zum Realen zurückkehren. Das Hören von Musik auf einem Computer verändert nach und nach unsere Sensibilität und normalisiert das Hören. Wieder ins Theater zu gehen schult die Feinfühligkeit.

Du bist auch Pianistin.

Ich war, leider. Zehn Jahre habe ich Klavier studiert, sechs davon an einer Hochschule. Aber jetzt habe ich nicht die zeitlichen Kapazitäten um richtig zu üben. Am Konservatorium habe ich auch fünf Jahre klassische Gitarre gespielt und Unterricht in Harmonielehre bekommen. Ein Jahr habe ich auch Komposition studiert.  

Studiert hast du am Conservatoire national supérieur de musique et de danse de Lyon, wo du einen Bachelor in Gesang gemacht hast und dann bist du weiter zum Studium an die Universität der Künste nach Berlin gegangen. Du sprichst auch sehr gut Deutsch, aber ich glaube, Sprachen sind dir ohnehin ziemlich wichtig, oder?

Meine Mutter ist Simultandolmetscherin für Französisch und Italienisch und mein Vater Italiener, ich bin in Belgien geboren, aber in Frankreich aufgewachsen. Meine Familie ist über ganz Europa verteilt. Neben Französisch und Italienisch spreche ich dann auch ein bisschen Deutsch, aber ich lerne noch. Ich lese zum Beispiel gerade Zweig. Englisch spreche ich natürlich auch, aber ich finde, das Englisch, das wir so allgemein sprechen, ist lange nicht so schön, wie die Sprache eigentlich ist. Und wir vergessen viele Sprachen um uns herum, niemand lernt zum Beispiel Tschechisch oder Griechisch, obwohl das auch tolle Sprachen sind. Eigentlich bin ich wehmütig nach dieser Zeit, in der jede gebildete Europäerin nicht nur ihre eigene Sprache, sondern auch die Sprachen der Nachbarländer sprach. Mozart sprach und schrieb Deutsch, Italienisch, Französisch, Tschechisch und Englisch, das war damals völlig normal. Heute sprechen wir nur noch „Globisch“, so ein unschönes Englisch, und das finde ich sehr schade.

Seit Anfang dieses Jahres bist du jetzt in Bremen. Bist du gut angekommen?

Was ich an Bremen liebe, sind die alten Häuser mit all diesem Stuck, der, ich bin mir sicher, hat bestimmt überall seine eigene Bedeutung. Es gibt viel Schönheit in dieser Stadt, das brauche ich. Und im Musiktheater sind die Menschen sehr nett, die Zusammenarbeit ist angenehm. Das ist nicht überall so.

Wir erleben dich in Mozarts Titus jetzt bald zum ersten Mal. Du singst Annio, magst du was erzählen über die Partie?

Gern! Annio ist eine Mezzopartie, eine sogenannte Hosenrolle. Ich habe so eine Hosenrolle schon einmal gespielt, das gefällt mir gut. Annio ist zu Beginn der Oper sehr rein und pur, so ähnlich wie Tamino in der Zauberflöte, nur schon weiser und erwachsener. Er ist sehr verbunden mit den Menschen um ihn herum, mit der Familie, mit seinen Freunden, er ist sehr römisch. Dann verliebt er sich in Servilia und zettelt eine kleine Rebellion an um diese Liebe zu schützen. Ich kann mich in der Rolle schon wiederfinden, ich habe diesen Zug auch, immer begeistert zu sein und immer verliebt. So war auch Mozart. Er war immer verliebt: in die Musik, in Menschen, in die Natur. Annio ist ein bisschen sein Spiegelbild.

Was machst du außer Musik?

Eigentlich ist alles, was ich mache, für die Musik, jede Erfahrung fließt in sie ein. Aber wenn ich keine Musik mache, mache ich sehr viel Sport. Mein Mann ist auch Bergsteiger, wenn wir Zeit haben, wandern wir in den Bergen, so richtig von Hütte zu Hütte, und wir klettern auch. Ich glaube, wir brauchen in unserer Zeit Verbundenheit mit der Natur, mit Wahrhaftigkeit und auch mit Bewegung. Abgesehen davon koche und lese ich viel.

Was erhoffst du dir für die nächsten Jahre hier in Bremen?

Meine Hoffnung ist, dass die Arbeit inspirierend ist. Für das Publikum möchte ich gern schöne Musik machen. Ich möchte meinen Beruf gut machen, mit netten Menschen arbeiten, dem Publikum viele verschiedene Facetten des großen Musiksrepertoires zeigen. Und ich freue mich auf schöne Rollen.

 

 

Veröffentlicht am 19. März 2024