Neu im Ensemble #4: Shirin Lilly Eissa

Tanzen und schauspielen wollte sie lernen, singen sollte sie lernen: Da lag der Besuch der Musicalschule schon als Jugendliche nah. Entschieden hat sie sich als Erwachsene dann für das Schauspiel: Ein Gespräch über die Konzentration auf das Wesentliche führte Pressesprecherin Diana König mit Shirin Lilly Eissa.

Seit gut drei Monaten bist du jetzt im Schauspielensemble des Theater Bremen – und normalerweise würdest du am übernächsten Sonntag in deiner dritten Rolle hier auf der Bühne stehen: Dein Debüt hast du als Monsieur Ratinois in Trüffel Trüffel Trüffel gegeben, dann hast du Luna in düsterer spatz am meer / hybrid (america) gespielt und jetzt die Ronja in Ronja Räubertochter. Da kannst du gleich zum Einstieg bei drei so verschiedenen Regisseuren schon ganz unterschiedliche Facetten von dir zeigen … ist das ein spannender Start?

Shirin Lilly Eissa: Immens, unfassbar spannend. Es sind tatsächlich drei sehr unterschiedliche Regisseure mit drei sehr unterschiedlichen Herangehensweisen. Das zu meinem Berufseinstieg zu haben, ist eine schöne Herausforderung gewesen. Und das Tolle daran ist, dass ich so schon große Teile des Ensembles kennengelernt habe.

Ronja Räubertochter kommt jetzt nicht zur Premiere, ihr habt die Proben unterbrochen. Was ist das für ein Gefühl, mittendrin aufzuhören?

Shirin Lilly Eissa: Es ist schon ein bisschen traurig. Es hat viel Spaß gemacht in diesem Team zu arbeiten. Wir hatten eine tolle Energie und sind auch gut vorangekommen. Ich freue mich aber darauf, dass es nächstes Jahr kommt – vielleicht kann man sich dann auch wieder anfassen auf der Bühne. Aber in der jetzigen Situation ist es natürlich sehr nachvollziehbar, dass wir unterbrechen – deswegen ist es auch in Ordnung.

Wenn du sagst, „vielleicht kann man sich da dann auch wieder anfassen auf der Bühne“, denke ich gerade: Du hast dein erstes Engagement unter wirklich besonderen Bedingungen angetreten!

Shirin Lilly Eissa: Ja, aber es gibt auch super viele Möglichkeiten, sich nah zu sein, ohne dass man sich körperlich nahe ist. Da ist die Kreativität gefragt – das ist eine unendliche Suche. Da haben wir bei Ronja Räubertochter schöne Momente gefunden, in denen ich mich meinen Spielpartner*innen super nah gefühlt habe – da hat die Berührung dann nicht mehr gefehlt. Trotzdem kann ich es kaum erwarten, wenn sich die Körper wieder nah sein und umeinander tummeln dürfen!

Studiert hast du an der Otto Falckenberg Schule in München – geboren bist du aber gar nicht so weit weg von hier, du stammst aus Hannover. So als Norddeutsche in Bayern: Hattest du da so eine Art Kulturschock?

Shirin Lilly Eissa: Ja, durchaus. Meine Freund*innen haben auch gesagt: „Warum ziehst du denn ins Ausland?“ Das fand ich ein bisschen krass, so war es nicht. Ich habe die Stadt sehr lieben gelernt. Die Theaterszene ist ganz toll und ich bin froh, dass ich die Kammerspiele unter Matthias Lilienthal noch erleben durfte.

Was vermisst du am meisten, wenn du an München denkst?

Shirin Lilly Eissa: Die Kantine. Das klingt jetzt verfressen, aber die Kantine bzw. „Das blaue Haus“ in den Kammerspielen ist ein toller Treffpunkt, fast ein Ort für besondere Begegnungen. Da sitzen die Leute aus der Uni, den Kammerspielen, den Gewerken, teilweise auch dem Residenztheater, am Abend ist dort auch normaler Betrieb für Theaterbesucher… – man kommt beim Essen oder Getränk mit sämtlichen Menschen ins Gespräch – es ist mehr als eine Kantine …

Theater hat dich auch schon als Jugendliche interessiert, du warst mehrere Jahre auf der Musicalschule StagePerform. Heißt das, du kannst singen und tanzen gleichzeitig?

Shirin Lilly Eissa: Ich sollte es können, ja … ich glaube, das ist sicherlich etwas, bei dem man aus der Übung kommt.

Vermisst du das als Schauspielerin?

Shirin Lilly Eissa: Musicals? Nein, tatsächlich nicht.

Warum hast du dich für Schauspiel entschieden – warum ist es nicht das Musical geworden?

Shirin Lilly Eissa: Singen, Tanzen, Spielen – ich mache alles einzeln gern, aber alles auf einmal … da konzentriere ich mich lieber auf ein bis zwei Sachen. Dass ich auf dieser Schule war, kam daher, dass ich schon sehr früh Schauspielerin werden wollte und ich wollte auch gern tanzen, da dachte meine Mutter, als sie diese Schule gesehen hat: „Schicke ich sie doch dahin, dann lernt sie auch gleich noch singen“. Ich habe nämlich viel und gern gesungen, nur konnte ich das nicht sonderlich gut … Auch wenn Musical nicht das Richtige für mich war, habe ich dort sehr viel gelernt, eigentlich schon eine Grundausbildung für die Bühne genossen.

Du bist Mitglied im Ensemble Netzwerk. Was hat dich überzeugt, mitzumachen?

Shirin Lilly Eissa: Ich finde es wichtig, dass sich Künstler*innen zu vielen unterschiedlichen Themen äußern und Probleme oder Anliegen thematisieren können und sich eine Gemeinschaft bildet, die sich miteinander austauscht und sich für einander einsetzt. Zum Beispiel ist kürzlich von der Aktion Leave no one behind mit Unterstützung des Ensemble-Netzwerkes ein offener Videobrief an Innenminister Horst Seehofer entstanden, der heißt „Warum?“. Darin wird auf die menschenrechtsverletzende Situation im Umgang mit geflüchteten Menschen aufmerksam gemacht und sämtliche Mitglieder des Ensemble-Netzwerkes haben mitgemacht. Aber natürlich sind auch Gehälter, Strukturen und Machtmissbrauch am Theater Thema.

Jetzt hast du in Bremen dein erstes Engagement. Stell dir kurz vor, wir wären alt und du blickst auf ein langes Schauspielerinnenleben zurück. Was sollte sich bis dahin geändert haben, über was sollten wir dann gemeinsam lachen unter dem Motto „Kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, aber so war das damals“?

Shirin Lilly Eissa: Ich hoffe, dass, wenn wir alt sind, ich darüber lachen kann, dass sie in manchen Theatern mit Schwimmnudeln geprobt haben, um den Abstand zu halten. Zum anderen hoffe ich, dass man über Momente, in denen noch ein alltäglicher Sexismus und Rassismus erkennbar ist, ungläubig den Kopf schütteln kann. Genauso wie über die Frage, inwiefern sich die Theater öffnen müssen für Menschen, die keinen Zugriff darauf haben, denen Theater erstmal fremd ist, dass wäre schön, wenn Theater inklusiver würde … Ich glaube, über die Schwimmnudeln lache ich am meisten …

Wenn du jetzt wieder auf die direkt vor dir liegende Zeit blickst, die Jahre, jetzt hier am Theater Bremen: Was wünschst du dir? Was willst du lernen oder erleben?

Shirin Lilly Eissa: Ich wünsche mir ganz viele unterschiedliche Arbeiten mit unterschiedlichen Regisseur*innen, Performer*innen, Kollektiven ... Meine Ausbildung ist nicht abgeschlossen, das merke ich gerade sehr – ich hoffe, viel kennenlernen zu können – auch um rauszufinden, was mir irgendwann mal taugt. Ob das eher ein freies Theater ist, ein Stadttheater, eine Performancegruppe – dafür muss man aber erstmal das System Theater erkunden und Erfahrungen machen, und da freue ich mich sehr drauf!