Ob es heute einfacher ist?

Zwei Theaterfrauen anlässlich des Feministischen Kampftages am 8. März über Sexismus, Feminismus und den Blick auf alte Zeiten: Brigitte Heusinger, leitende Dramaturgin im Musiktheater, im Gespräch mit Christine Gersthofer, Mitarbeiterin in der Personalabteilung und Mitglied im Betriebsrat.

Christine und ich haben uns getroffen, um über unser Frausein zu reden. Wir beide gehören zu den älteren Semestern, sind über 50 bzw. 60 und schon länger dabei. Während unseres hochemotionalen Gesprächs ist vieles hochgekocht, manches haben wir angetippt, einiges verschweigen wir und anderes haben wir vergessen. Doch klar, die sexuellen Übergriffe, die vergisst man nie. Christine hat da mehr zu berichten. Sie arbeitete in jungen Jahren als Inspizientin und Regieassistentin bühnennäher als ich, die ich als Dramaturgin im Büro saß. Sie erinnert sich, dass ihr von einem Solisten während der Vorstellung mit einem Requisitenschwert zwischen die Beine gefahren wurde oder wie sie sich in einem Dirigentenbüro wiederfand, in dem die Tür verschlossen wurde. Bei mir war es harmloser, aber doch auch extrem unangenehm auf den Bildschirm eines österreichischen Personalchefs gucken zu müssen, auf dem sich räkelnde Damen oben ohne befanden. Überhaupt Pin-ups, die hingen halt in den Werkstätten oder in der Druckerei, in die man damals noch ging, um Druckerzeugnisse abzunehmen.

Hingucken oder nicht hingucken, das war dann immer die Frage und Herausforderung.

Man war Körper und man wusste das auch. „Im Machtverhältnis zwischen Mann und Frau“, so Christine, „habe ich so oft erlebt, dass ich nicht über meine Fähigkeiten, sondern über meinen Körper definiert und damit kleiner gemacht worden bin. Bemerkungen wie ‚Hast du einen Waffenschein für deine Brüste?‘ kamen mehr als einmal vor. Sie reduzieren dich um einen Teil deines Selbstwerts als Frau, sie machen etwas mit dir und sie wirken nach.“ Unvorstellbar, dass sich so was ein Mann anhören musste. Ja, auch ich habe mir manchmal (ohne ihn wirklich zu wollen oder noch schlimmer von einer Gesellschaft oder einem Mann verordnet zu bekommen) einen Ganzkörperschleier gewünscht. Aber eine harmlosere Form des Ganzkörperschleiers war und ist – so habe ich es mein Leben lang empfunden – die Kleidergröße 36. Der Wert der Frau hing eben auch von der Attraktivität und unserer Wirkung auf Männer ab. Und bei dem Spiel haben wir mitgemacht. Reichlich. Manchmal war es ein Flirt, den wir genossen und durchaus auch in unserem Sinne eingesetzt haben, manchmal war es eine Form der Mini-Prostitution. Manchmal war es schön, manchmal klebrig.

Und wir haben gelächelt, gerade, wenn wir etwas wollten, denn um uns herum waren Männer – und abends taten die Mundwinkel weh.

Heute sind es die Frauen, die im Theater den Mittelbau bilden, vielleicht liegt es daran, dass es dort vorwiegend dienende Berufe sind, die Männer dann doch nicht so gerne machen und reichlich verdienen tut man auch nicht. Christines Erfahrungen der Ungleichbehandlung hat sich weniger auf dem Feld der Bezahlung oder der Berufsmöglichkeiten abgespielt: „Unsere Großmütter mussten kämpfen, um studieren zu dürfen. Ich nicht. Schule, Studium, Universitäten standen meiner Generation absolut offen.“ Für mich stimmt es nicht, dass ich auf dem Feld der Bezahlung gleichberechtigt war. Ich erinnere mich an einen Termin im Arbeitsamt Frankfurt, 1990. Ich hatte eine volle Stelle beendet, ich hatte eine volle Stelle ein Jahr später in Aussicht. Meine Tochter war sechs Jahre alt. Der Herr im Arbeitsamt bestand darauf, dass ich kein Arbeitslosengeld in voller Höhe beziehen könne, da ich mich ja um mein Kind kümmern müsse. Mich rettete, dass es damals schon eine Frauenbeauftragte gab und ich vorschlug, dass wir sie doch aus dem Amt heraus direkt anrufen könnten. Und ja, es ist wirklich wahr, ich habe die größte Gehaltserhöhung meines Lebens erhalten, weil ich in Basel das Gehalt meiner männlichen Kollegen erfuhr und es eine neue weibliche Geschäftsführerin gab. Mein Gehalt lag – sage und schreibe –  1.200 Schweizer Franken unter dem der Männer, die den gleichen Beruf ausübten. Und das im Jahre 2010.  

Wir mussten uns wehren, wir haben uns gewehrt – manchmal, meistens und oftmals allein. Ob es heute einfacher ist?

Unsere Generation hatte noch nicht den gesellschaftlichen Rückhalt, die öffentliche Debatte (Stichwort MeToo), die rechtlichen Grundlagen. Es ist viel passiert, dennoch werden die seelischen Verletzungen vermutlich nicht kleiner sein. Letzte Woche saßen wir in anderer Runde zusammen und konnten es nicht glauben. Wir hatten es wirklich vergessen, auch bezeichnend. Ich war 19 Jahre alt und immer noch stand im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass eine Frau nur erwerbstätig sein könne, wenn sie ihren Beruf mit Ehe und Familie vereinbaren könne. Darüber entscheiden musste der Ehemann, der seinerseits auch ohne ihr Einverständnis ihre Stelle kündigen konnte. Bis 1977, keine 50 Jahre her. Irre!  Das findet auch Christine „unfassbar, dass erst 20 Jahre später (1997!) die Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde“. 

Na klar, es gab auch reichlich viel unbelastete, egalitäre Beziehungen, gerade im Theater.

Ich zum Beispiel habe zwei Männern in Führungspositionen zu verdanken, dass ich als alleinerziehende Mutter voll arbeiten konnte. Oft habe ich mich in Runden total gleichberechtigt, gesehen und geschätzt gefühlt. Manchmal – und auch das gehört zur Wahrheit – habe ich es auch genossen, die einzige Frau in Sitzungen zu sein.  

Ja und wo stehen wir jetzt? Das ist eine wichtige Frage, findet Christine. Noch immer ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Thema, um das gerungen und gestritten wird, gerade an Theatern durch die spezifischen Arbeitszeiten, die Abende, Wochenenden und Feiertage.

Aber, freut sie sich, es ändert sich etwas Wichtiges. Jetzt geht es in der Diskussion um Eltern, nicht mehr nur um Mütter, auch wenn diese weitaus öfter von der Mehrfachbelastung betroffen sind. „Überhaupt funktioniert die Gleichberechtigung nur, wenn wir die Grenzen überwinden, uns in unserer Unterschiedlichkeit würdigen und gemeinsam für Gleichberechtigung und Freiheit eintreten“, resümiert Christine und wünscht sich für den 8. März 2025 Beiträge ihrer männlichen Kollegen. Man müsste mal länger reden, länger schreiben, vielleicht doch weniger verschweigen? Das Thema ist groß, nicht nur am 8. März, sondern jeden Tag.

 

 

Veröffentlicht am 7. März 2024