Musiktheater
Theater am Goetheplatz
Les robots ne connaissent pas le blues oder Die Entführung aus dem Serail
Musiktheater von Ted Gaier, Gintersdorfer/Klaßen, Benedikt von Peter und Markus Poschner
Benedikt von Peter und die deutsch-ivorische Performance-Kombo Gintersdorfer/Klaßen, die seit Jahren am Theater Bremen arbeitet, haben sich zusammengetan! Dieser Abend will wildes Tun mit diszipliniertem Denken, will Beat mit Harmonie zusammenbringen. Mozarts „Entführung aus dem Serail“ ist der musikalische und inhaltliche Ausgangspunkt dieser gemeinsam suchenden Arbeit, in kaum einer anderen Oper geht es so deutlich um die Auseinandersetzung zweier heterogener Kulturen. Diese Begegnung spiegelt sich in dem Aufeinandertreffen des Bremer Opernensembles mit den regelsprengenden Ivorern von Gintersdorfer/Klaßen – zwei zunächst sehr unterschiedliche Systeme des Denkens und Arbeitens stellen Kontaktpunkte her, die im besten Fall zu einer zumindest kurzfristigen Veränderung beider Systeme führen. Der Musiker Ted Gaier von den Goldenen Zitronen, der ivorische Showbizstar Skelly und der Dirigent Markus Poschner mit seinen Bremer Philharmonikern sind bei diesem Versuch die musikalischen Gewährsmänner.
Dauer: ca. 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
- Mit Nicole Chevalier, Gotta Depri, Ted Gaier, Hauke Heumann, Hyojong Kim, Nerita Pokvytytė, Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly, Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star, Patrick Zielke
Musikalische Leitung Markus Poschner
Regie Monika Gintersdorfer, Benedikt von Peter
Bühne und Kostüme Knut Klaßen
Komposition und Sounddesign Ted Gaier
Licht Chris Moos
Dramaturgie Katinka Deecke
- „Lust aufeinander. Lust auf Miteinander. Oper ist hier als allmähliche Verfertigung einer Diskursperfomance zu erleben: nicht perfekt formatierte Kunst, sondern gelebte Kommunikation. Mit allen Tücken. Mal wieder ein geradezu stilbildender Triumph des künstlerischen Wollens des Theaters Bremen. Diese Kultur-Clash-Party funktioniert prima. […] Locker, kurzweilig, konsequent beiläufig kommt jetzt der Mozart-Abend daher. Den die herausragende Sopranisten Nicole Chevalier zu einer Lecture Performance über ihr Instrument nutzt. Hinreißend auch, wenn die Ivorer versuchen, mit kraftvoller Körperspannung und gestandenem Spagat die musikalische Energie in Bewegung umzusetzen. Herrlich tapsig, wenn sie auch die Opernhelden dazu animieren. Oder sich alle zur Chorus Line zusammenfinden und mechanisches Ballett als Polonaise darbieten.“
Jens Fischer, Die Deutsche Bühne online, 5. Juli 2015
„Mal improvisiert SKelly über eine Mozart-Arie, dann versucht der Bass Patrick Zielke, eine von SKelly vorgegebene Zeile mit afrikanischem Text und Rhythmus nachzusingen oder seine Choreografie mitzutanzen. Es ist ein Wettstreit, bei dem es nicht ums Gewinnen geht, sondern um den Perspektivwechsel. Auch die Zuschauer sollen sich bewegen: Sie werden aufgefordert, das Parkett, aus dem die Sessel größtenteils ausgebaut sind, zu verlassen und auch mal auf die Bühne zu kommen. (...) Im Lauf des Abends bekommt das Ganze immer mehr den Charakter eines sehr fröhlichen Workshops - intelligentes Metatheater, bei dem nicht nur das Stück, sondern der ganze Opernbetrieb hinterfragt wird. Die Konstanze-Darstellerin Nicole Chevalier etwa gibt Einblick in die Schwierigkeiten, die eigene Stimme so beherrschen zu lernen wie ein Instrument. Sie erläutert das an der extrem anspruchsvollen Arie "Martern aller Arten", und Yao als ihr Sparringpartner übersetzt ihre Kraftanstrengung beim Singen in ein Anspannen seines muskelbepackten Körpers. Als sie in den höchsten Tönen singt, scheint sein Körper kurz vor dem Zerbersten.“
Anke Dürr, Spiegel Online, 6. Juli 2015
„Das Publikum ist eingeladen, sich zu bewegen, immer wieder neue Positionen einzunehmen, sich selbst eine musikalische Mischung herzustellen. Was dem Zuschauer eine andere Selbsterfahrung ermöglicht und auch inhaltlich gut passt: weil es in der Kunst a immer auch um uns als Publikum geht – im Machen (Ariensingen, zum Beispiel) wie im Reflektieren. (...) Momente wie diese, in denen mit einfachsten Mitteln größte Erkenntnisgewinne erzielt werden, zählen zu den Stärken der oft karg und schlicht anmutenden Gintersdorfer/Klaßen-Performances. Es sind Momente, in denen Kommentar, Form und Ereignis geschickt in eins geblendet und vielgestaltig erleb- und erfahrbar gehalten werden.“
Tim Schomacker, Nachtkritik, 4. Juli 2015
„Die Oper „entmystifizieren“ wolle man, hatte das Team vorher gesagt. Es kann gar nicht genug solcher Versuche geben, um dieser so wundervollen wie leider bei vielen Menschen als schwierig, verstaubt und langweilig geltenden Kunst mehr Verständnis und Fans zu verschaffen. Wenn man es so anpackt wie in „Les robots . . .“, dann ist das ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung, weil hier auch noch gekonnt die Banalisierungs-Klippe umschifft wird, die solchen Bemühungen zwangsläufig innewohnt. (...) Alle zusammen entblättern Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“: die Culture-Clash-Geschichte der Entführung der Europäerinnen Constanze und Blonde in die Türkei und in die Gewalt von Osmin und Bassa Selim. Das Publikum ist eingeladen, mittendrin und ganz nah dran zu sein, man kann herumlaufen, sich auf die Bühne setzen oder in den Zuschauerraum. Alles ist in Bewegung, überall. (...) Auf jeden Fall dürfte dieses theatrale Experiment für alle Beteiligten erfrischend gewesen sein. Auch für die Zuschauer, die sich schnell von dem Humor und der Energie anstecken ließen und zudem auch noch tadellose musikalische Leistungen geboten bekamen. Zum Schluss herrschte beinahe Partystimmung, das Publikum feierte Ensemble und Regie.“
Iris Hetscher, Weser Kurier, 6. Juli 2015
„Die Begegnung zweier Kulturen in dem Mozart-Werk wollte Benedikt von Peter nicht einfach inszenieren, sondern selbst ausprobieren. Zusammengebracht und einander gegenübergestellt (nicht vereinnahmt) werden nun höchst disparate Kunstgenres, Theatersparten, Musikstile, Traditionen, Wertvorstellungen und Sprachen. Dabei öffnet von Peter die Wundertüte Oper fürs Publikum, gewährt Blicke hinter die Kulissen. Die originelle Art von Selbstbefragung witzig und damit selbstironisch zu halten, die Musik von Mozart – insgesamt durchgehend transparent und inspiriert interpretiert – unangetastet zu lassen und ihr damit einen inselartigen Stellenwert zu geben. Sie leuchtet einzigartig neben dem ebenso einzigartigen körperlichen Ausdrucksradius der Afrikaner. Dadurch passiert etwas Unglaubliches: die allzu bekannte Musik Mozarts gewinnt durch die afrikanische Kunst eine neue Frische, und die Gesangs- sowie Tanzkunst der Afrikaner wird durch die Musik Mozarts wunderbar herausgestellt. (...). Ein nachdenklicher Abend und pralles Theater zugleich.“
Ute Schalz-Laurenze, Kreiszeitung, 5. Juli 2015
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