Recreate the expectations of the theatre / Recreate the expectations of the museum

Eva Fischer-Hausdorf, Kuratorin der Kunsthalle Bremen, vor der Premiere der Koproduktion Spektrum / Raum über das Zusammenspiel von Tanz und Museum.

In Máté Mészáros’ Tanzperformance-Projekt Spektrum / Raum sind die Tänzer:innen der Kompanie Unusual Symptoms zu Gast in der Kunsthalle Bremen – Tanz trifft auf Museum. In mehreren, auf unterschiedlichen Ebenen gelegenen und sehr verschieden charakterisierten Sälen der Kunsthalle erforschen die Tänzer:innen die Begegnung mit den Räumen, den Kunstwerken und den Besucher:innen – zu teils live gespielten, teils bereits aufgenommenen Klängen des Musikers Áron Porteleki. Dabei fragt das Projekt von Mészáros: Was passiert, wenn Tanz nicht auf einer klar definierten Bühne stattfindet, sondern inmitten der Besucher:innen eines Ausstellungsraums? Was geschieht, wenn mich im Museum nicht nur an den Wänden hängende Gemälde und bewegungslose Skulpturen erwarten, sondern Akteur:innen, die in diesem Moment vor mir performen? Wie verändert wiederum der jeweilige Raum durch seine Atmosphäre, seine Architektur oder durch die Kunstobjekte, die sich in ihm befinden, die Wahrnehmung von Tanz?

Aus der Perspektive der Ausstellungsmacherin fasziniert mich, wie Spektrum / Raum den Museumsraum auf direkte und unmittelbar einnehmende Weise aktiviert.

Die von Mészáros im engen Austausch mit den Tänzer:innen entwickelte facettenreiche Choreografie verbindet sich mit den mal zart-zerbrechlichen, mal expressiv-dynamischen Sounds von Porteleki und in manchen Sälen auch mit den immersiven Videoprojektionen des Kollektivs Urbanscreen zu neuen atmosphärischen Räumen, die sich in der Kunsthalle ausbreiten und sie in Schwingung bringen. Indem die Besucher:innen in diese aktivierten Museumssäle eintreten, werden sie automatisch zum Teil des Kunstwerks und erspüren die in Spektrum / Raum geschaffenen Atmosphären mit dem eigenen Körper. Die Besucher:innen partizipieren unmittelbar – dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Partizipation in Form einer aufgezwungenen Interaktion, womöglich einer Mitmach-Aktion, die dem einen oder der anderen vielleicht zu weit gehen würde. Ganz im Gegenteil geschieht hier Partizipation als körperliche und gefühlsmäßige Teilnahme, die sich ganz von selbst einstellt – allein dadurch, dass Betrachter:innen und Performer:innen denselben Raum teilen.

Die in Mészáros’ Projekt aufgerufenen Ideen der Aktivierung des Museumsraums, der Partizipation und des Kreierens von Atmosphären im Ausstellungsraum beschäftigen die Künste schon lange. 

Spätestens seit den frühen 1960er Jahren setzte in den Künsten der westlichen Kultur die seitdem viel besprochene performative Wende ein, aus der die sogenannte Aktions- und Performancekunst hervorgegangen ist. Künstler:innen wie Joseph Beuys, Marina Abramović, Joan Jonas, Yvonne Rainer, die Fluxus-Gruppe oder die Wiener Aktionisten schufen Happenings, Performances und Aktionen und damit Kunstwerke, die sich in der Gestalt von Aufführungen realisierten. Die Beteiligten des Light and Space Art Movement in den USA, zu denen auch James Turrell zu zählen ist, sowie Künstler wie Heinz Mack, Otto Piene, und Aldo Tambellini entwarfen Lichtskulpturen, die Licht als künstlerisches Material und das Kunstwerk als Raum verstanden, der sich erst in der Wahrnehmung der Betrachtenden voll entfaltet. Durch die prägende Zeit unter Direktor Wulf Herzogenrath (1994–2011) hat die Kunsthalle Bremen schon früh eine wichtige Rolle eingenommen an der hier beschriebenen Schnittstelle zwischen Architektur, Musik, Happening und bildender Kunst.

Das Bremer Museum beherbergt heute eine der wichtigsten Sammlungen für Medienkunst in Deutschland mit zentralen Werken von John Cage, Nam June Paik, Otto Piene und James Turrell, um nur die prominentesten zu nennen.

John Cage, einer der entscheidenden Impulsgeber der Happeningkultur, und James Turrell gelten als die „Hausheiligen“ der Kunsthalle Bremen mit ihren permanent eingerichteten Räumen, die viele Menschen tagtäglich bewegen. Bei Cages Rauminstallation im Obergeschoss des Museums, in der Tageslicht und künstliches Licht, Klang und Raum einen Dialog miteinander eingehen, geht es unter anderem auch um die Partizipation der Betrachtenden bzw. Hörenden und das Eintreten in einen unter ständiger Veränderung befindlichen Raum. Bei Turrells Lichtinstallation, die sich über drei Etagen des Hauses erstreckt, tauchen die Besucher:innen in die sich stets verändernde, durch das Licht geschaffene Atmosphäre wie in einen außerweltlichen Raum ein. Nam June Paik wiederum gibt die Möglichkeit, aktiv mit Kunstwerken zu interagieren, etwa indem die Besucher:innen in das Bild der drei Kameras in seiner Three Camera Participation (1969/2001) treten und so zum Teil des Kunstwerks werden oder indem sie durch ihre Stimme bei der Participation TV Audio (1998/2001) Klang sichtbar machen. Otto Piene nimmt mit seinem Lichtballett (1961/62), das aus einer Gruppe unterschiedlicher Lichtobjekte und Wandarbeiten besteht, die Idee der tänzerischen Bewegung im Raum auf. Nicht nur durch Werke aus der eigenen Sammlung, auch in Sonderausstellungen öffnete sich die Kunsthalle Bremen schon in der Vergangenheit der Verschränkung von Kunstraum, Performance, Tanz und Klang. So gewann etwa Tino Sehgal 2003 den hier verliehenen Kunstpreis der Böttcherstraße mit einer von ihm geschaffenen Situation. Und 2020 setzte das Kollektiv Sineumbra mit der Ausstellung SOMA eine durch Performances und Klanginstallationen belebte Landschaft aus Objekten und Videos um.

Máté Mészáros nimmt mit Spektrum / Raum die vorhandenen Fäden auf und verknüpft sie zu einem sich über fast das gesamte Kunsthallen-Gebäude erstreckende Netz.

Vom Südfoyer, das durch das Tageslicht auf natürliche Weise in ständiger Veränderung ist, über leere Ausstellungsräume, die durch Videoprojektionen von Urbanscreen immersiv verwandelt werden und in denen Videobilder, tanzende Körper und Musik zu verschmelzen scheinen, bis zu ausgewählten Sammlungsausstellungsräumen, in denen sich in geradezu intimen Situationen vielschichtige Verbindungen zwischen der hier präsentierten Kunst, Tanz und Musik entwickeln. In Zeiten, in denen die Relevanz der Kultur immer wieder zur Diskussion steht und in denen die Frage im Raum schwingt, was Menschen kulturell überhaupt noch bewegt, zeigt Spektrum / Raum neue Perspektiven auf.

Die während der Performances aktivierten Räume laden zur Begegnung ein, zu neuen emotionalen Erfahrungen und zur Reflexion über traditionelle Ideen von Tanz, Theaterbühne und Museumsraum. 

Das Projekt macht auch spürbar, dass trotz der seit den 1960er Jahren in den Künsten vorangetriebenen performativen Wende die Konventionen von Museum und Theater noch immer weit voneinander entfernt sind und die Begegnung von Tanz im Museumsraum noch immer überraschen kann. Spektrum / Raum lotet Grenzen aus und öffnet neue Wege. Hier wird nicht nur die Idee vom Theater neu gedacht, wie Mészáros es in einem Interview über sein Vorgängerprojekt Spektrum formulierte: „Recreate the expectations of theatre“. Spektrum / Raum denkt auch das Museum als Ort der Begegnung und Erfahrung neu: Recreate the expectations of the museum.

 

 

Veröffentlicht am 27. August 2024