Sei ein Musiker, sei ein Schauspieler, sei umarmt

Alize Zandwijk und Yoel Gamzou haben bei der Kurt-Hübner-Preisverleihung die Laudationes für die Preisträger gehalten.

Lieber Matti,

Mensch, ich weiß noch genau, wann ich dich zum ersten Mal auf der Bühne gesehen habe.
Das war mit dem …dritten ... Knausgard, du spieltest Piano und sagtest Texte.
Ich wusste nicht, was ich sah, so einen kleinen Jungen mit langen blonden Haaren und mit so einer Präsenz. Ein Wunder.

Unsere erste Begegnung war beim Frühlingserwachen. Du immer mit großer, großer Freude dabei, immer gute Laune, Lust und Energie. Voll dabei und daran!
Zusammen mit Muhannad, eurer schönen Szene, in der Muhannad dich küssen lehrte.
Ohne zu zögern hast du das gemacht. In deinen leuchtend rosa Leggings.
Dein Tanzen, dein Engagement für das Stück und am Theater.
Und immer, immer gute, gute Laune und Lust und Energie und voll
dabei und daran.

Dein zauberhafter Monolog in Mutter Vater Land … als ob es normal ist, zwischen Schauspielern zu stehen, die schon seit Jahren den Beruf ausüben. Ein Wunder, ein Wunder, das ist, was du bist.

Und dann Das achte Leben, du zum ersten Mal als Musiker auf der Großen Bühne bei mir.
Ich hatte damals noch keine Ahnung, was du alles konntest als Musiker, ich wusste nur, du kannst Klavier spielen und ein bisschen Gitarre und ein bisschen singen ...
Ich weiß noch genau, wie ich dich gefragt habe: Denkst du, dass du auf der großen Bühne bei einem Stück von über vier Stunden live Musik machen kannst und auch noch eine kleine Rolle spielen dazu? Und du hast einfach JA gesagt, das kann ich.

Wie anfangen mit Musik in so einem riesen Stück. In einem Stück über Krieg, über das rote Jahrhundert, hundert Jahre Geschichten, Stalinismus und Familie ...
Und dann haben wir angefangen miteinander, und das war der Himmel, das war ein Fluss von Energien, die sich öffneten. Ein Fluss von Musik, die so traurig, so intens, so unwahrscheinlich schön war, dass ich meinen Ohren nicht glauben konnte.
Das war wie Schwimmen im Meer, das war Tanzen auf den Wellen, das war eins nach dem anderen ...
Alles war so selbstverständlich, so wie Musik sein kann … das war richtige Magie ...
Ein Geschenk war es jeden Tag, ein Geschenk mit jemandem zu arbeiten, der jeden Tag versucht, der Szene ein Gefühl mitzugeben ... eine andere Welt mitzudenken auf der Bühne.
Deine Musik war die Hoffnung, die Trauer, die tiefe Trauer in der Familiengeschichte, eine Musik, die direkt mit Pfeilen ins Herz geht. Deine Musik war, wo Worte nichts mehr sagen konnten ... Matti, deine Musik ... deine Stimme, dein Singen ...

Ich verdanke diese Worte dir, lieber Matti, ich verdanke diese Worte deinem Riesenengagement, Musik zu machen bei dieser traurigen Familiengeschichte – und dass du uns so hast Weinen lassen durch deine Musik …
Ich verdanke diese Worte dir, weil du uns mitgenommen hast auf die Klänge von deiner Gitarre, auf die Klänge von deinem Klavier, auf die Klänge von deiner Panduri.
Auf den Klang deiner Stimme.
Ich verdanke diese Worte dir, weil du uns alle verbunden hast
durch deine Musik, alle Szenen haben Flügel bekommen
durch dich.
Ich verdanke sie deinem großen Talent.
Ich verdanke sie dem Umstand, dass es dich gibt.
Ich verdanke sie deiner Musik. Ich verdanke sie Dir!

Und jetzt bist du dran, du, Matti, mit deinem Talent.
Sei ein Musiker, sei ein Schauspieler, sei umarmt,
sei rot und weiß oder blau,
aber bleib spielen und geh weiter und brauch dein
Riesentalent und sing und tanz und flieg und spiel.

Du bist jetzt dran, du, du, du,
Matti!

 

Eine Laudatio für Matti Weber, der den Kurt-Hübner-Nachwuchspreis 2023 bekommen hat, von Alize Zandwijk.

 

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, liebe Freunde, lieber Christoph,

ich freue mich und fühle mich außerordentlich geehrt, zu diesem Anlass über einen Kollegen, den ich so sehr schätze, ein paar Worte sagen zu dürfen. Ich könnte mir niemanden vorstellen, der den Kurt-Hübner-Preis mehr verdient hat, als Christoph Heinrich.

Max Reinhardt hat gesagt, „Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung“. Was ist unser Ziel wenn wir uns auf die Bühne begeben? Ist die Aufgabe des Schauspielers, eine Rolle zu verkörpern? Oder eher sich selbst mitzuteilen, durch die Form und Mittel eines Theaterstückes? Ist Kunst das Ziel oder nur das Mittel zum Zweck? Und sind wir eigentlich ehrlich, wenn wir sagen, „Ich spiele für das Publikum“? Spielen wir und musizieren wir nicht eigentlich, weil wir es müssen? Weil wir ohne dieses Ventil nicht leben können? Für uns, als existenzielles Bedürfnis?

Ein befreundeter Regisseur hat zu mir mal gesagt, „wenn Schauspieler auf der Bühne fühlen sollten, würden sie Schaufühler heißen“. Dieser zwar flapsige Spruch ist mir nie aus dem Kopf gegangen, und ich komme immer wieder zurück zu diesem Gedanken, und frage mich – wie bewältigen wir diesen Seiltanz, diese Gratwanderung, zwischen dem Ausleben der eigenen Gefühle durch die Kunst und der selbstlosen Verpflichtung zur Vermittlung und zum Erlebnis des Zuschauers. Wenn wir viel auf der Bühne fühlen, gibt es noch genug Platz, für die Zuschauer, etwas eigenes zu empfinden?

Die Wahrheit, wie meistens, ist wahrscheinlich in der Mitte. Oder eher eine Mischform der beiden Bedürfnisse und Vorgänge. Aber eins wird mir immer klarer – die einzige Verpflichtung, die wir Künstler haben, ist zu einer bedingungslosen Wahrhaftigkeit. Jeder Mensch im Publikum merkt sofort, ob intuitiv oder intellektuell, ob ein Schauspieler oder ein Sänger authentisch ist. Man kann gar nicht beschreiben, was das ist – denn was ist schon authentisch? Und was ist überhaupt Wahrheit? Trotzdem fühlen wir alle, ganz intuitiv, wenn jemand vor uns steht, der den Mut hat, sich verletzbar zu machen. Man spürt unterbewusst, ob eine Emotion, eine Affektiertheit ist, ein Trick, eine Methode – oder aus einer wahren Durchlässigkeit entsteht. Für mich persönlich ist die Qualität, die ich an einem Schauspieler oder Sänger am meisten bewundere, die Bereitschaft, zu riskieren, und eventuell zu scheitern. Den Mut, die Eitelkeit abzulegen und so stark ins Risiko zu gehen, ohne zu wissen, ob es gut ausgeht. Denn der Sänger, der Schauspieler – ist ja sein eigenes Instrument. Und dementsprechend bietet er sich an – er packt sein Herz aus und zieht sich seelisch aus – und riskiert, nicht nur dass seine Künste bewertet werden, sondern dass seine Seele abgelehnt wird.

Klar kann der Vorgang auch wahnsinnig eitel werden. Die vermeintliche Wahrhaftigkeit ist in Theaterpraxis und Tendenzen der letzten Jahren oft zu einer lästigen Attitude geworden, zu einer pseudo-therpeutischen Selbstbezogenheit. Ganz oft spürt man fast nur noch eine endloses Gier nach Bestätigung und eine enorme Sehnsucht nach Liebe – und die Kunst bleibt auf der Strecke. Worin besteht also der Unterschied? Wo hört die Eitelkeit auf und wo beginnt die wahre Hingabe und eben die Enthüllung?

Meines Erachtens steckt dieser Unterschied genau in dem Risiko des Scheiterns. Dieser Zustand, dieser Moment zwischen dem Künstler und dem Zuschauer wo man selbst nicht mehr weiß, wo die Grenze ist, wo man sich nicht mehr hinter dem Handwerk verstecken kann, wo man sich vollkommen nackt hinstellt und sagt – das bin ich, und ich schenke Euch meine Seele, mit ihren Abgründen und ihrer Schönheit – und selbst wenn ihr sie nicht mögt, das bin ich; das ist die purste Form von Durchlässigkeit.

In meiner kurzen Karriere am Theater sind mir sehr viele Persönlichkeiten über den Weg gelaufen und es sind unglaublich viele kostbare und wundervolle Beziehungen und Begegnungen entstanden. Ich habe viele Kollegen über die Jahre sehr bewundert – und bin durch solche Begegnungen selbst gewachsen und besser geworden. Viele habe ich bewundert für ihre Kunstfertigkeit, manche für ihre Arbeitsmoral, ein paar wenige für ihre Integrität. Aber selten habe ich einen Künstler so sehr bewundert wie Christoph Heinrich.

Denn die Bereitschaft, immer wieder in die eigenen Abgründe zu schauen, ohne jegliche Angst oder Eitelkeit, ist eine gigantische Seltenheit. Ich kenne kaum einen Künstler, der immer wieder bereit ist, alles zu riskieren. Nicht nur bis ins Extreme zu gehen, sondern weit über das Extreme hinaus. Nicht im Sinne des Aktionismus und des übertriebenen Ausdrucks. Sondern im wahrsten Sinne – bis an die Grenze der eigenen Seele, ohne zu wissen was man auf der anderen Seite findet. Jede Begegnung mit Christoph hat mir Demut beigebracht. Ich habe mit Staunen immer beobachtet, wie er in jeder Produktion einen neuen Zugang zu sich selbst sucht. Wie er über Wochen und Monate die Suche erträgt – ohne zu wissen, ob er ans Ziel kommt und was das Ziel überhaupt ist. Wie er in die maximale Verletzbarkeit geht, und niemals vor Schmerz scheut. Niemals seelisch bequem wird. Niemals eitel. Eben niemals Verstellung, nur Enthüllung.

Natürlich kommt ein solch radikaler Umgang in der Kunst mit einem Preis. Wenn die Abgründe auf der Bühne wahrhaftig sind, findet man sie im Leben genau so wieder. Aber es war schon immer so – nur durch Krisen wächst man, und über den Schmerz lernt man sich besser kennen. Abgesehen davon, wenn der Schmerz sublimiert und verarbeitet wird, ist er wahrscheinlich der stärkste Antrieb zu Kunst.

„Man liebe die Kunst in sich, nicht sich in der Kunst.“, sagte Stanislavski. Wie schwer ist es, sich zu enthüllen. Wie schwer ist es, alle Manierismen abzulegen, die uns immer Erfolg beschert haben. Wie schwer ist es, funktionierende Mechanismen zu verabschieden, die uns geschützt und weitergebracht haben, ohne zu wissen, welche neuen Rettungsmethoden wir auf dem Weg finden werden. Eigentlich ist die zweit größte Verpflichtung des Künstlers, sich selbst unermüdlich immer wieder neu zu erfinden. Den Mut zu haben, immer zu zweifeln und sich nie mit bekannten Antworten zufrieden zu geben. Ich werde aus meiner Zusammenarbeit mit Christoph Heinrich, die noch hoffentlich eine lange Zukunft vor sich hat, wahnsinnig viel mitnehmen, und dafür bin ich zutiefst dankbar. Eine der größten Inspirationen, die ich mitnehme, ist eben die unermüdliche Neuerfindung. Und den Mut für die ewige Suche. Immer existenziell, immer am Rand des Abgrunds, aber nie davor scheuend. Aber vor allem immer 100% wahrhaftig. Vor allem sich selbst gegenüber. Denn die schwerste Form von Ehrlichkeit ist die, die man sich selbst gegenüber eingesteht und aushält.

Und, um mit Max Reinhardt wieder zu enden - „Der wahre Schauspieler ist von der unbändigen Lust getrieben, sich unaufhörlich in andere Menschen zu verwandeln, um in den Anderen am Ende sich selbst zu entdecken.“
Ich gratuliere Christoph Heinrich von Herzen zu diesem wichtigen, wohl verdienten Preis, und bin dankbar, dass es solche Persönlichkeiten im Theater noch gibt, die für mich und für uns alle als Vorbild dienen können, immer wahrhaftig zu bleiben und noch wahrhaftiger zu werden.

 

Eine Laudatio für Christoph Heinrich, Kurt-Hübner-Preisträger 2023, von Yoel Gamzou.