Seine Musik von der Wurzel an selbst zu vertreiben, ist natürlich am schönsten.
Das Bremer Plattenlabel Am Apparat im Interview mit Gregor Runge.
Seit 2019 gibt es das Bremer Plattenlabel Am Apparat, das hauptsächlich mit Veröffentlichungen von Hip-Hop-Künstlern und einer eigenen Veranstaltungsreihe auf sich aufmerksam macht. Am 18. Januar veranstalten Am Apparat und der Theater Bremen CLUB eine gemeinsame Clubnacht zwischen Neo-Soul, Beats und Independent Hip-Hop mit Künstler*innen aus Manchester, Berlin, Hamburg und Bremen. Gregor Runge, Kurator der CLUB-Reihe am Theater Bremen, hat sich aus diesem Anlass mit den Am Apparat-Mitbegründern Spaze Windu und Ranko darüber unterhalten, was es heißt, im Jahr 2020 ein unabhängiges Plattenlabel zu führen.
Am Apparat ist mir vor ein paar Jahren das erste Mal aufgefallen, da gab es das Plattenlabel, über das wir heute sprechen möchten, noch gar nicht. Ihr habt schon damals, heute ja auch noch, Konzerte und Partys unter diesem Namen veranstaltet. Wo kommt der eigentlich her?
Spaze Windu: (lacht) Für unsere allererste Veranstaltung gab es noch keine richtigen Flyer und Plakate, sondern wir hatten damals kleine Visitenkarten produziert, auf denen hinten eine Prepaid-Nummer stand, die man anrufen konnte. Man landete dann direkt bei einer Mailbox-Ansage, aus der die Details zu Uhrzeit und Line-Up zu erfahren waren. Und wer dann noch eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen hat, konnte Gästelistenplätze gewinnen. Darauf sind wir dann irgendwann bei der Namenssuche zurückgekommen.
Wie ist das damals für euch losgegangen?
Spaze Windu: Ich bin eigentlich zum Studieren nach Bremen gekommen. Musik habe ich auch vorher schon gemacht, aber eher selten Kontakte zu anderen Beatmakern oder MCs gehabt. In Bremen hat sich dann relativ schnell einiges ergeben. Ich traf hier relativ bald auf den Rapper Herr König, der brachte dann irgendwann mal den DJ Luk The Dude mit, und so nahm das dann seinen Lauf.
Ranko: Ich hatte vorher in Leipzig schon in verschiedenen musikalischen Projekten mitgearbeitet und auch erste eigene Sachen auf dem Leipziger Label O*RS veröffentlicht. Nach Bremen hat es mich aus dem selben Grund verschlagen und ich bin dann erstmal eher an die elektronischen Musikszene geraten, weil mein erster Eindruck war, dass es so etwas wie eine aktive Hip-Hop- oder Beat-Szene hier gar nicht wirklich gibt.
Spaze Windu: Wobei es da natürlich auch schon einiges gab. Die Diggndiggers zum Beispiel waren recht umtriebig. Heute macht zum Beispiel das Erotik Toy Records-Umfeld viel von sich reden, auch überregional.
Ranko: Das stimmt, aber das habe ich damals nicht auf Anhieb mitbekommen und dachte dann: Okay, wenn es nichts gibt, ist es immer gut, etwas selbst zu machen. Dann habe ich irgendwann ebenfalls Luk The Dude kennen gelernt, dann Max (Herr König), dann dich, und auf einmal waren da ganz viele Leute.
Und dann hattet ihr irgendwann das Gefühl, all diese Begegnungen in einer eigenen Community zu bündeln?
Spaze Windu: Das war eine fließende Entwicklung, wir sind da ja auch beide in etwas reingekommen, was schon ein Netzwerk war. Einige der Leute, mit denen wir jetzt gemeinsam Am Apparat bilden, waren auch vorher schon miteinander verbunden. Bartman, Rotz&Arroganz, damals noch Wurst&Feinkost, Herr König, Luk The Dude – die waren alle schon da und kannten sich auch.
Ranko: Über den ständigen Austausch über die jeweils eigenen musikalischen Projekte hatten wir alle irgendwann einen Punkt erreicht, an dem wir, ohne das wirklich zu benennen, festgestellt haben, dass es sinnvoll wäre, unsere Aktivitäten unter einem Namen zu bündeln. Das hat sicherlich etwas mit einer höheren Zugänglichkeit zu tun, weil man über ein Label und Kollektiv nochmal ganz anders auf einzelne Künstler*innen aufmerksam wird.
Spaze Windu: Es standen plötzlich eine ganze Menge Releases ins Haus, bei denen klar war, dass wir die entweder irgendwo digital veröffentlichen können oder in Form physischer Tonträger, für letzteres aber eine Struktur brauchen würden, inklusive eines funktionierenden Vertriebs. Um unsere Musik möglichst unabhängig veröffentlichen zu können, haben wir vor anderthalb Jahren angefangen, uns ernsthaft in die Bedingungen für eine Labelgründung einzulesen. Wobei man hier vielleicht noch mal anmerken muss, dass man heute als Künstler*in auch relativ einfach in Eigenregie veröffentlichen kann und es auch viele kleine Labels gibt, die das übernehmen können und gegen die absolut nichts einzuwenden ist. Aber seine Musik von der Wurzel an selbst zu vertreiben, ist natürlich am schönsten. Und zu sehen, dass das mit anderen Independent Labels funktioniert, motiviert natürlich auch.
Womit wir schon bei der Frage wären, warum man sich in Zeiten schwächelnder Absatzmärkte für Tonträger, in Zeiten von Streaming und allseits zugänglichen digitalen Distributionsplattformen die Gründung eines unabhängigen Plattenlabels antut – klang das für euch nicht nach maximalem Aufwand bei geringstmöglichem Ertrag?
Ranko: Es gibt als Künstler natürlich nichts Ernüchternderes als die eigenen Tonträger zu horten, weil man auf ihnen sitzen geblieben ist. Aber tatsächlich ist unser Absatz im Moment absolut zufriedenstellend, immer vor dem Hintergrund natürlich, was wir erwarten. Das hat auch etwas mit dem Genre zu tun, glaube ich.
Spaze Windu: Wir pressen unsere Releases auch auf Kleinstauflagen. Das sind dann bei Tapes 100 bis 150 Stück, bei Platten sind es zwischen 300 und 500. Da ist dann natürlich auch die Marge entsprechend klein, man bekommt da wirklich nicht viel Geld raus. Aber im Hip-Hop-Bereich gibt es eben eine Szene, die auch den Untergrund supportet. So fallen wir dann auch nicht ins Minus. Und daneben haben wir natürlich über die Labelgründung auch einen eigenen Digitalvertrieb. So hast du dann selbst die Zügel in der Hand und am Ende ein Album gemacht, bei dem du von Anfang bis Ende für alles selbst verantwortlich bist und das ist ein gutes Gefühl.
Labels funktionieren inhaltlich sehr unterschiedlich. Die einen spezialisieren sich auf einen ganz bestimmten Sound, andere funktionieren eher über eine bestimmte Geschichte. Bei euch spürt man eine deutliche Affinität zu Oldschool-Rap und Jazz-Samples, auf dem Flüsseviertel-Tape geht es hingegen eher Richtung House und Broken Beat. Ist das vielleicht auch etwas, was ein Label kann, Querverbindungen zwischen Genres herzustellen und daraus neue Sounds zu entwickeln? Wie beeinflusst das Label eure Arbeit als Künstler?
Spaze Windu: Ich glaube, man beeinflusst sich da in der Arbeit immer gegenseitig. An den Extrempolen unserer Releases kann man schon sehen, dass die Künstler von Am Apparat breit aufgestellt sind. Man muss dazu sagen, dass wir ja auch alle Freunde sind und diese Label-Sache eher sekundär ist. Dabei haben wir uns nicht hingesetzt und gesagt, wir müssen jetzt ein Label machen, das einen ganz bestimmten Trademark-Sound hat. Sondern wir machen das eben, und wenn sich jemand entscheidet, musikalisch etwas zu probieren, das erstmal total ab vom Schuss liegt, dann ist das natürlich trotzdem möglich.
Ranko: Und das finde ich als Künstler sehr inspirierend. Menschen zu treffen, mit denen man gemeinsam Musik macht, sich gegenseitig zu beeinflussen, Feedback zu Material zu bekommen, das ich vorher vielleicht nicht veröffentlicht hätte, zu dem ich aber ein Feedback bekomme, das meine Musik in eine interessante Richtung hin pusht. Der Apparat lässt es auf jeden Fall zu, sich genreübergreifend aufzustellen und ich bin gespannt, wo die Reise sound-technisch in den nächsten Jahren hingehen wird.
Spaze Windu: Wir sind halt kein klassisches Label in dem Sinne, dass wir auf der Suche sind nach Künstler*innen, die wir veröffentlichen wollen. Ich weiß auch gar nicht, ob Label überhaupt das richtige Wort ist. Vielleicht sind wir eher ein Kollektiv.
Einen Labelbetrieb im Kollektiv zu organisieren, funktioniert das?
Spaze Windu: Am Apparat besteht aus ungefähr 13 Leuten, die fast alle selbst Musik machen, dazu kommen ein paar enge Freunde, die auch dazugehören und zum Beispiel Videos und Fotos für uns machen. Aber was die Labelarbeit selbst betrifft, reduziert sich das im Moment auf zwei bis vier Personen, die effektiv daran arbeiten. Wir hatten zu Beginn versucht, das deutlich kollektiver aufzustellen, aber es hat sich relativ schnell herausgestellt, dass es effizienter und sinnvoller ist, mit eher wenigen Leuten und den entsprechenden Künstlern an Release-Projekten zu arbeiten, weil die Absprachen doch enorm viel Energie fordern. Das meiste, was dann an Arbeit entsteht, ist Kommunikation: Mails, Werbung, das kontinuierliche Gespräch untereinander und über die anstehenden Releases und natürlich das Verschicken der Bestellungen. Wenn du als Künstler ein Release bei uns machst, bist du dann auch von Anfang bis Ende daran beteiligt und trägst - falls machbar - auch die Produktionskosten erstmal selbst. Auf der anderen Seite kriegt aber auch keiner Geld - außer den Künstlern. Alles, was über den Verkauf eines Tonträgers eingenommen wird, fließt im Moment direkt zurück an diejenigen, die ein Album produziert und aufgenommen haben.
Das klingt, als wäre euch die Entwicklung der Künstler*innen über das Label sehr wichtig. Spielt das auch mit Blick auf die Szene hier in Bremen eine Rolle?
Spaze Windu: Auf jeden Fall, hundertprozentig. Es gibt so viele Beispiele, in anderen Städten gebucht zu werden und dann ist tote Hose auf der Veranstaltung. Das ist erstmal schade und etwas, womit man auch rechnen muss, wenn man eben nicht bekannt genug ist, um alleine einen 200er Saal zu füllen. Beinahe überall kann man auf eine gut funktionierende Technoveranstaltung gehen, aber eine funktionierende Hip-Hop-Szene sieht man nicht in allzu vielen Städten. Dann zu sagen, „ich ziehe jetzt nach Berlin, da geht alles“ ist der falsche Weg. Es ist die Aufgabe von Leuten, die selbst Musik machen, die sich diesem Feld zugehörig fühlen, dort, wo sie sind, eine Szene dafür zu entwickeln und zu etablieren, zu schauen, wo die Leute sind, die das interessieren könnte und wie man sie anspricht.
Ranko: Seit es Am Apparat gibt, kommen viele auf uns zu, die über das Label auf unsere Arbeit aufmerksam werden und bei denen sofort ein gewisses Vertrauen in den musikalischen Outcome herrscht, weil man weiß, dass sich hinter dem Namen eine gewisse Qualität verbirgt. Das zeigt sich in der Zusammenarbeit mit dem Theater Bremen genauso wie in der Kollaboration mit anderen Kollektiven wie beispielsweise dem Irgendwo, bei denen wir dann auf einer eigentlich eher elektronisch orientierten Veranstaltung eine komplette Label-Veranstaltung ausrichten können. Darüber entwickelt sich natürlich auch ein neues Publikum für unsere Musik. Von dieser Art Respekt und gegenseitiger Wertschätzung leben Subkulturen. Gleichzeitig muss man sagen, dass es in Bremen leider ein strukturelles Defizit an Räumen gibt, in denen diese Kulturen sich zeigen und entwickeln können.
Spaze Windu: Wir haben hier vieles, außer einer Location für die Hip-Hop-Szene. Natürlich gibt es coole Läden hier, und Orte wie das TAU in der Weserburg oder die Drittel Bar sind super Partner – aber wir sind eben überall zu Gast, in Cafés und Bars, bauen unsere eigene PA auf, bauen alles um und dann hinterher wieder zurück. Kapazitäten werden auch zum Problem, die Locations, in denen wir regelmäßig veranstalten, sind mittlerweile fast zu klein für uns. Das geht vielen Kollektiven und Veranstalter*innen in der Stadt so. Ein Club, in dem es lauter und länger zugehen kann und der auch Bock hat auf unseren Sound, der fehlt.
Man muss aber ja auch immer noch ein paar Pläne in der Schublade haben. Was ist 2020 von euch zu erwarten?
Spaze Windu: Bis Mitte des Jahres kommt auf jeden Fall noch einiges und für danach sind eigentlich auch einige Releases in der Mache. Als Nächstes erscheint am 7.2. das Solo-Album von Original Bartman von Rotz&Arroganz, produziert von Korea Michi, Repete23 und von mir, also mal wieder komplett aus der Am Apparat-Schmiede.
Ranko: Dann kommt ein gemeinsames Projekt von mir und Korea Michi, das Koreanko heißen wird. Und es wird ein neues Album von Herr König geben...
Spaze Windu: ...ebenfalls produziert von Repete23. Außerdem neue Sachen von Les Bonmots, Rotz&Arroganz Hazet Yustus, Spaze Windu, WARPATH, Pestizid & Jonathan Wr. Jr. … Es passiert also total viel. Und natürlich Partys! Jetzt am 18. Januar im Theater Bremen, dann spielen wir ein paar Mal außerhalb der Stadt, und wenn alles klappt, gibt es am 3. April dann auch die nächste Apparat-Jam!
Veröffentlichung: 15.01.2020