So nah und doch so fern. Reflexionen über Futuralgia.

Sieben Monate und zwei verschobene Premierentermine später: Die Tänzerin Jerneja Fekonja, Hospitantin bei Futuralgia, über einen ungewöhnlichen Arbeitsprozess.

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Nach einer Woche Proben mussten Unusual Symptoms die Arbeit an Futuralgia im März letzten Jahres einstellen. Sieben Monate und zwei verschobene Premierentermine später kam die Arbeit der Choreografin Núria Guiu Sagarra zur Uraufführung. Die Tänzerin Jerneja Fekonja, Hospitantin der Produktion, über einen wahrlich ungewöhnlichen Arbeitsprozess.

Ich war gerade in Bremen angekommen, hatte buchstäblich noch nicht einmal meine Koffer ausgepackt, als wir nach nur einer Woche Arbeit die Mitteilung erhielten, dass alle öffentlichen Einrichtungen schließen würden und wir zu Hause bleiben müssten. Wir, das sind das künstlerische Team und Ensemble von Futuralgia, der neuesten Kreation der Bremer Tanzkompanie Unusual Symptoms, zusammen erarbeitet mit der katalanischen Choreografin Núria Guiu Sagarra. Zuhause – so schön das klingt, nahm das Wort schon bald eine ganz andere, neue Bedeutung an. Das Zuhause wurde zum Atelier, zum Arbeitsraum, zum Wohnzimmer, zu einem Ort ultimativen Lärms, während die wesentliche Stimme, die sich von jenem Ort ausbreitete und in ihm widerhallte, die Stille war. Die Distanz, die durch die Isolation zu Hause während des Lockdowns geschaffen wurde, schuf einen Ort sozialer, sexueller und vor allem sinnlicher Stille.

Futuralgia und die Erfahrung von Nostalgie

Als Unusual Symptoms mir die Möglichkeit boten, eine Hospitanz bei ihnen zu absolvieren, entschied ich mich dafür, die Arbeit an Futuralgia zu begleiten. Die Produktion beschäftigt sich mit Fragen nach dem digitalen Zeitalter und wie dieses die Perspektive und Präsenz des Körpers beeinflusst. Núria Guiu Sagarra erforscht, welche Körperbilder sich in den Bildschirmen manifestieren und wie diese auf der Bühne aufgelöst werden können. Mit choreografischen Mitteln befragt sie das Verhältnis von Körper und Digitalität in Bezug auf Zeit und Raum sowie ihre Rolle bei der Erzeugung persönlicher und kollektiver Identität. Eine Auseinandersetzung, die eine unerwartete Wendung nahm, als wir uns dazu entschlossen, unsere Arbeit während des Lockdowns mit Hilfe des Online-Konferenztools Zoom fortzusetzen. Plötzlich wurde unser Thema zur Methode, der „digitale Körper“ wurde zu unserem wichtigsten Werkzeug. Uns an die neue Situation um uns herum anpassend, nutzten wir die Zeit für digitale Recherchen über soziale Netzwerke und Applikationen wie Tik Tok, trainierten unsere Körper mit Workout-Apps, studierten beliebte Cover Dances auf YouTube und probierten Gesichts-Yoga aus. Wir beschäftigten uns mit wöchentlichen Aufgaben, die uns von Núria zugeschickt wurden, erstellten persönliche Tagebücher und spielten unsere Beobachtungen an sie zurück. In der Zwischenzeit trafen wir uns immer wieder online zu Yoga-Sessions und Bewegungsübungen, um uns mit den körperlichen Qualitäten vertraut zu machen, nach denen Núria suchte. Während all dieser Zeit verwandelten sich der persönliche Kontakt und die physische Erfahrung anderer Körper im Raum langsam in ein nostalgisches Gefühl.

„Ohne große Einsamkeit ist keine ernsthafte Arbeit möglich.“ - Pablo Picasso.

Das Leben in der Einsamkeit kann helfen, sich selbst und sein Potenzial besser kennen zu lernen, aber es erweist sich als wenig hilfreich, wenn es beginnt, die eigene Kreativität einzuschränken. Irgendwann wurde die Online-Arbeit zu einer ernsthaften Belastung. Der Mangel an körperlicher Reaktion, etwas, an das wir so gewöhnt sind, wenn wir einen Raum mit anderen tanzenden Körpern teilen, erzeugt eine Art Misstrauen, das schwer zu beschreiben ist. Der produktive Teil der Umstände jedoch – die Verlangsamung der üblichen Produktionsroutinen – erlaubte es uns, tief in unser Thema einzutauchen. Die Zeit, die uns für die Recherche zur Verfügung stand, empfanden wir als seltenes Privileg. Dadurch erzeugten wir ein immenses Wissen über die digitale Welt und ihren Einfluss auf uns, stellten Technologie in Frage, indem wir uns intensiv mit ihr auseinandersetzten. Futuralgia bringt diese Erkenntnisse nicht in einer direkten Annäherung auf die Bühne, vielmehr fließt die Recherche in eine choreografische Erforschung von Stereotypen und Hybridität ein, die sich letztlich im Bewegungsmaterial selbst wiederfindet.

Doch hinter all den Yoga- und Bewegungsübungen, die wir über Zoom abhielten, liefen noch andere Prozesse ab.

Etwas störte unseren Kommunikationsprozess, eine flüssige Entwicklung von Gedanken schien nicht möglich. Nach jedem Kommentar setzte eine seltsame Pause ein, da das digitale Kommunikationsmittel unsere Körpersprache nicht adäquat mit übersetze. Als ich Núria fragte, was ihrer Meinung nach der größte Unterschied zwischen Arbeitsprozessen im digitalen Raum und in physischer Kopräsenz sei, sagte sie: „Im digitalen Raum gibt es kein Chaos, keine Fluidität, stattdessen voneinander abgegrenzte Segmente in Zoom-Quadraten, ein extremer Mangel an visueller und mündlicher Kommunikation, Kontext, nachvollziehbaren Haltungen. All das verschwimmt oder geht ganz verloren. Wir müssen uns zusätzlich anstrengen, weil die Umgebung, in der wir uns befinden, uns mit einem Mangel an Informationen zurücklässt. Das Digitale erzeugt einen Mangel an Körper, Zeit und Raum“. Gregor Runge, Dramaturg der Produktion und künstlerischer Co-Leiter von Unusual Symptoms, auf dieselbe Frage: „Da die Kommunikation auf Gesprächen von Bildschirm zu Bildschirm basiert, wird der Informationsaustausch schwieriger. Es wird komplizierter, den Dialog produktiv zu gestalten, da der Gesprächsverlauf weniger flüssig erscheint, Informationen in Wellen übermittelt werden. Ich glaube, es ist nicht der beste Weg, um nachhaltige Beziehungen aufzubauen“. Als Tänzer*innen tauschten wir uns darüber aus, wie im Zuge dieses Prozesses auch unsere Selbstreflexion verschwommener wurde. Die Arbeit über Videotools erzeugt eine eindimensionale Perspektive, viele Qualitäten gehen in der Übertragung verloren. Besonders in der körperlichen Recherchephase, in der erstes Bewegungsmaterial entsteht, fühlt es sich mitunter merkwürdig an, dass diese ersten Ergebnisse über ein digitales Werkzeug gleich festgeschrieben werden. Young-Won Song, Tänzerin von Unusual Symptoms, darüber, womit sie bei den Online-Proben am meisten zu kämpfen hatte: „Langsame Kommunikation, der ganze Prozess funktioniert sehr langsam. Wir haben sehr viel gearbeitet, aber rückblickend scheint es, als wären es nur kleine Dinge gewesen. Es ist schwierig, innerhalb der Feedback-Schleifen eines Tools wie Zoom miteinander zu kommunizieren. Man wartet viel, und des Mangels an erlebbarer Körpersprache kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Dadurch, so scheint es mir, hatte ich mehr Zeit, mich selbst zu beurteilen, und das hat mich unsicher gemacht. Mich permanent selbst zu filmen war ein weiterer Umstand, der dazu führte, dass ich mich viel stärker als sonst in Frage gestellt habe.“

Alles war bereits vorhanden

Hinter uns liegt eine lange Reise. Eine Woche Proben im Studio, anschließend ein dreimonatiger Online-Arbeitsprozess von zu Hause, zwei Monate Stille in der Sommerpause, dann schließlich trafen wir uns Ende August alle wieder auf der Probebühne. So nah und doch so weit entfernt, gerieten wir dabei in absurde Situationen. Als Núria für die Proben nach Deutschland zurückkehrte, musste sie zunächst auf ihr Testergebnis warten, bevor sie zu uns stoßen durfte, so dass wir die Proben am ersten Tag zunächst erneut über Zoom organisieren mussten, obwohl Núria auf der gegenüber liegenden Straßenseite wohnte. Doch stellten wir schnell fest, dass die Ideen, die wir im Lockdown entwickelt hatten, alle noch präsent waren: Die Idee einer Nostalgie des Körpers, des Spiels mit Zeit, Rhythmus und körperlichen Widerständen, Auseinandersetzungen mit Blicken. Zurück auf der Probebühne fingen wir nun an, diese Ideen physisch zu formen, arbeiteten mit Resignation, Hybridisierung, dem Gefühl der Enge im Körper, der inneren Auseinandersetzung von Körpern im Konflikt miteinander. Zu sehen, wie unsere lang gehegten Ideen und Vorstellungen schließlich Gestalt annahmen, war eine kraftvolle Erfahrung. Die Hygienemaßnahmen nahmen wir als produktive Herausforderung, Abstandsregeln provozierten choreografische Werkzeuge und künstlerische Entscheidungen. Die Produktion begann, aus dem gegenwärtigen Kontext einen konkreten Rahmen zu beziehen. Núria Guiu Sagarra: „Ich habe diesen Prozess sehr genossen. All diese Schwierigkeiten gemeinsam durchzustehen, führte zu einem am Ende sehr organischen Lern- und Austauschprozess. Wir alle teilen jetzt eine ähnliche Sprache. Während dieser ganzen Zeit haben wir weiter miteinander gesprochen, Inspiration gefunden, dieselben Bilder gesehen und geteilt. Ich bin sehr dankbar, alle waren sehr offen für diese außergewöhnliche Erfahrung.“

Zugegeben: Der gesamte Prozess war anstrengend, in manchen Momenten nahezu befremdlich, in vielerlei Hinsicht anspruchsvoll, da wir mit Situationen konfrontiert waren, die schwer zu fassen waren. Doch mittlerweile glaube ich, dass diese Geschichte genauso geschrieben werden sollte, und birgt nicht jede gute Geschichte eine Hindernis, das es zu überwinden gilt? In Futuralgia verschmilzt eine bestimmte Idee auf einzigartige Weise mit der Erfahrung unserer Zeit. Sie können sich sicherlich vorstellen, wie sehr ich mich in diesem Moment, in dem ich das hier schreibe, darauf freue, meine Kolleg*innen endlich auf der Bühne zu sehen!

 

 

+++ english version +++

 A journey of being close yet far away.
Reflections on Futuralgia.

 

After only one week of rehearsals, Unusual Symptoms had to stop working on Futuralgia in March. Seven months and two postponed premiere dates later, the dance piece by choreographer Núria Guiu Sagarra will now finally see its world premiere. The dancer Jerneja Fekonja, who has been accompanying the creation as a trainee, shares her view about a truly unusual working process.

I had just arrived in Bremen, literally not even having had unpacked my bags, when, after only a week of work, we received the notice that all public institutions were to close down and we would need to stay home. We, that is the crew and cast of Futuralgia, the latest creation by Bremen-based dance company Unusual Symptoms, together with Catalan choreographer Núria Guiu Sagarra. Home – lovely as that sounds, it soon took on a completely different, new meaning as it happened. Home became studio, working space, living room, a place of ultimate loudness, whilst the main voice that was spreading from it and echoing within was silence. The distance provoked by isolating at home during lockdown created a place of social, sexual, and, most importantly, sensory silence.

Futuralgia as Nostalgia

When Unusual Symptoms provided me with the opportunity to do an internship with them, I chose taking part in Futuralgia. The creation deals with topics from the digital age and how it influences the perspective and presence of the body. Núria Guiu Sagarra explores the manifestation of body images on screens, and how this can be resolved on stage. Using choreographic means, she questions the relationship the body and digitisation develop in regard to time and space as well as their roles in the creation of personal and collective identity. And funny as it seems, when the lockdown hit us, we decided to continue working through the online conference tool Zoom, which influenced our topic taking shape in the process itself. The digital body became our go-to tool. Adapting to the circumstances, we used this time for digital research about social networks and applications such as Tik Tok, train our bodies with workout apps, study popular cover dances on YouTube and even trying out face yoga. We were dealing with weekly tasks sent to us by Núria, while our job was to execute them, create personal diaries, and send back our observations. Meanwhile, we kept on meeting online for yoga sessions and movement practices in order to become familiar with the physical qualities Núria was searching for. During all this, the personal contact and physical experience of other bodies in space slowly changed into a nostalgic feeling.

“Without great solitude, no serious work is possible.” – Pablo Picasso.

Life in solitude may lead to getting to know oneself better, learning about one’s potential, yet it does not prove helpful at all when it starts limiting one’s creativity. At one point, creating online became a serious pain in the ass. The lack of physical response, something we are so used to receive from sharing a space with other dancing bodies, creates a sort of distrust which is hard to describe. The great part about it all, though – the slowing down of usual routines of production – allowed us to delve deeply into our subject. Being afforded so much time for research felt like an extremely rare opportunity. We created an immense background of knowledge about the digital realm and its influence on us, questioning technology while spending time with it. “Futuralgia” will not put all this insight on stage in a direct approach, but it rather includes this research into an exploration of stereotypes and hybridity which is found in the dance material itself.

There was something else going on, behind all the yoga and movement sessions we would do on Zoom.

There seemed to be a lack of fluidity in developing thoughts, fostering communication. A strange pause setting in after each comment, since our body language did not translate through this tool. When I interviewed Núria about what she thinks the biggest difference between creating online and in physical co-presence was, she said: “Online, there is no such thing as chaos, no fluidity, just segments I can see in Zoom squares, an extreme lack of visual and oral communication, context, postures. All that gets blurry or even lost. We suddenly have to deal with a layer of extra effort because the surrounding we found ourselves in leaves us with a lack of information. The digital comes with a lack of body, time and space.” Gregor Runge, dramaturge for „Futuralgia“ and Unusual Symptoms' artistic co-director, on the same question: “Since communication is based on screen to screen conversation, the exchange of information simply becomes more difficult. It is hard to foster productive exchange, as information is being shared in waves, full of cuts, lacking fluidity. I feel it is not the best way to build strong relationships.” As dancers, we were talking about how reflecting ourselves in the process became blurry, too. Working through video calls offers an almost one-dimensional perspective, plenty of good qualities get lost as well. Especially in the research phase of creating material, it might feel strange being exposed with one's movement within a tool which frames this material rightaway. Young-Won Song, dancer with Unusual Symptoms, on what she was struggling with the most during online rehearsals: “Slow communication, the speed of the process being super slow. We did a lot, but looking back it seems like little bits only. It is hard to communicate within the feedback loops of Zoom, while waiting a lot, miscommunication happening due to the lack of body language. Through this, it seems to me that I would have had more time to judge myself, and that makes me more insecure, so it becomes harder. Also, constantly having to create videos, film myself, that makes me question myself a lot.”

It has already been there before

It has been quite a journey. We went through a week of initial rehearsals, three months spent online, two months of silence during summer break before finally getting all of us back together in the studio, starting at the end of August. So close, yet so far away from each other, we would be falling into situations of absurdity. Coming back to Germany, Núria had to wait for test results before being allowed to join us, so we would start with yet another day of Zoom rehearsals, even though she would be living just across the street. But meeting back in the studio in late summer, we realised that Futuralgia stayed with the ideas we had established during isolation: the idea of a nostalgia of the body, the counterplay of time, rhythm and physical resistance, ideas about the gaze. Back in the studio, we were now physically shaping these ideas, working with resignation, hybridisation, the sensation of confinement within the body, the inside struggle of bodies in conflict with each other – seeing these ideas finally taking shape became a powerful experience. New regulations for how to behave on stage under COVID-19 safety measures would be used as challenges, distancing rules provoked choreographic tools and decisions. The performance started to become truly framed by its present context. Núria Guiu Sagarra: “I have enjoyed this process a lot so far. Going through all these difficulties together has been a very organic learning and sharing process in the end. We all share a similar language now, through all this time we have continued to talk, finding inspiration, seeing and sharing the same images. I feel super grateful, everyone has been very generous.”

I have to admit: this whole process has been exhausting, also outlandish in some moments. Demanding, as we would face situations which were hard to grasp. But I guess that is just how this story was supposed to be written, and does not every good story bear great challenges? In „Futuralgia“, the reflection on a given idea merged with the experience of our time in a truly unique way. And as you can imagine, writing this now, I am really looking forward to finally see my colleagues on stage!

 

Veröffentlichung: 25.03.2021