Soundtrack für den Kampf gegen die Unterdrückung
Die Sängerin Liraz, Tochter persisch-jüdischer Eltern, die vor Ausbruch der islamischen Revolution nach Israel emigrierten, kommt in den CLUB. Bremen Zwei-Moderator Reza Vafa über die Bedeutung der weiblichen Stimme im Iran.
Bei jedem politischen Umbruch, bei jeder Revolution spielt Musik eine zentrale Rolle. Sie dient als Sprachrohr der Unterdrückten, weckt weltweit Aufmerksamkeit für den Protest und verbindet Millionen Menschen emotional. Volkslieder wie „Die Gedanken sind frei“ sind so entstanden oder die französische Nationalhymne, die Marseillaise. Genau so eine wichtige Rolle spielt die Musik auch im Iran, wo die Menschen in Massen vor gut einem Jahr für einen Systemwechsel auf die Straße gegangen sind. Beobachter sprechen davon, dass es sich um einen revolutionären Prozess handelt, der weitergeht und bei dem Frauen eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind die „Stimme“ dieses revolutionären Prozesses, und auch in der Musik spielen sie eine entscheidende Rolle.
Die Stimme der Frauen in Iran ist vor mehr als 43 Jahren quasi über Nacht verstummt, mit der islamischen Revolution 1979.
Es war eine der ersten Amtshandlungen des damaligen Religionsführers Ayatollah Khomeini, Musik und Tanz zu verbieten. Männer durften unter bestimmten Umständen in der Öffentlichkeit singen, Frauen gar nicht mehr. Es wurde ein striktes Gesangsverbot eingeführt, das heute noch gilt. Dieses Gesangsverbot hat weitreichende Auswirkungen gehabt.
Wenn die Stimme der Frau verstummt, wird die Stimme des Mannes automatisch lauter.
Frauen wurden plötzlich zum Zuhören verbannt, zum passiv sein; egal ob in der Konversation oder in der Musik. Frauen mussten in jeder Hinsicht abtauchen um Musik machen zu dürfen. Es entwickelte sich eine Art Untergrundszene, in der Frauen sich untereinander stimmlich und musikalisch geschult und ausgebildet haben – und auch männliche Alliierte hatten, die ihnen dabei privat halfen und sich in ihren Songs für Feminismus stark machten. Ende der 80er Jahre durften Frauen wenigstens im Chor mitsingen, aber selbst dort durften die weiblichen Stimmen nicht lauter als die männlichen sein, sonst wurden Konzerte auch schon mal abgebrochen.
Während Männer heute wieder öffentlich musizieren, bleibt es den Frauen immer noch untersagt.
Im Laufe der Jahre durften Frauen aber immerhin vor anderen Frauen singen; nicht vor einem gemischten Publikum und auch nur mit einer behördlichen Erlaubnis. Die unglaubliche Stimmakrobatik vieler Künstlerinnen ging wegen des Bannstrahls der religiösen Herrscher verloren; unter anderem weil viele Sängerinnen den Iran in dieser Zeit verlassen haben. Die Stimme der Frauen im Iran ist seit 1979 trotzdem nicht verstummt – in den vergangenen Monaten ist sie im Zusammenhang mit den Protesten lauter denn je. Vor allem soziale Medien haben sich zu einem Schallverstärker für iranische Frauen entwickelt. Frauen haben so plötzlich ein weltweites Publikum und brauchen keine offizielle Genehmigung mehr, um ihre Stimmen erklingen zu lassen.
Mit ihrer Musik bittet die israelisch-iranische Sängerin Liraz Charhi die Welt darum, die Stimme des Protestes im Iran zu hören.
Liraz verneigt sich mit ihrem aktuellen Album außerdem vor den großen iranischen Pop-Diven der 1970er Jahre – also, bevor die Stimmen der Frauen verstummten. Ihr Album Roya („Fantasie“) hat sie heimlich mit persischen Musikerinnen und Musikern in der Türkei aufgenommen. Der Grund für die heimliche Session: Kontakte zu israelischen Musikern sind für Iraner verboten. Sie verstößt also in jeder Hinsicht gegen die Vorgaben der Islamischen Republik und setzt sich für den Kampf der Frauen im Iran für Freiheit und Gleichberechtigung ein.
Für Zan, Zendegi, Azadi – Frau, Leben, Freiheit.
Unser Autor:
Reza Vafa ist von Geburt an ein echtes Nordlicht. Er wurde im Norden der iranischen Hauptstadt Teheran als Sohn einer norddeutsch-nordniederländischen Mutter und eines nordiranischen Vaters geboren. In der Schulzeit in Bremen entwickelte er eine Leidenschaft für Radio-Quizsendungen, an denen er regelmäßig teilnahm und hin und wieder auch gewann. Jetzt stellt er beim Halbwissen-Quiz bei Bremen Zwei am liebsten selbst die Fragen.
Veröffentlicht am 6. Dezember 2023