The Golden Age
Ein Appell für mehr alte Frauen* auf Bühnen von Ariane Koch und Hannah Zufall, Gründerinnen der Initiative „The Golden Age“. Hannah Zufall ist mit einer gleichnamigen Diskussionsrunde zu Gast im Theater Bremen.
Sie sind da und zugleich nicht da.
Nie da gewesen.
Noch nicht da.
Sie sind alt und gleichzeitig nicht alt.
Ja, welches Alter haben eigentlich die alten Figuren einer jüngeren Autorin?
Vielleicht kommen wir uns entgegen. Sprich, ihre und meine Lebensjahre addiert und durch zwei geteilt.
Vielleicht ist das tatsächliche Alter der Figuren auch nicht so wichtig.
Oder es ist eben gerade wichtig.
Machen die Figuren mich als Autorin reicher an Perspektiven und sind sie vielleicht in manchen Aspekten jünger und mir mehr Schwester als gedacht?
Oder sind sie mir voraus, die eigenen Figuren, nicht nur an Jahren, sondern auch an Wissen?
Was weiß ich schon?
Wer spricht, wenn ich sie etwas sagen lasse? Ältere Frauen, die ich im Kopf habe?
Klischees? Potentielle Vorbilder, die es kaum gibt?
Meine Großmutter und Urgroßmütter? Wer wird sie verkörpern?
Sie werden nicht verkörpert.
Warum nicht?
Niemand möchte sie verkörpert haben.
Natürlich will man sie verkörpert haben, aber in der verjüngten Version.
Sag ich doch, eine Verkörperung der Verkörperung.
Der Wunsch nach ewiger Jugend wird mitverkörpert.
Der Wunsch nach dem ewig jugendlichen Körper wird mitverkörpert.
Frauenkörper.
Der alte Körper wird mit einem jungen Körper überblendet.
Das Altern wird zensiert.
Das Alte wird zensiert.
Die Alte.
In einer Gesellschaft, die immer stärker altert und in der Frauen* zumeist älter werden und länger gesund bleiben als Männer*, wie werden sie da am Theater repräsentiert? Fast gar nicht könnte man meinen, wenn man sich die Zusammensetzung der Ensembles und freien Theatergruppen im deutschsprachigen Raum ansieht. Bis auf wenige prominente Ausnahmen finden sich dort kaum bis keine älteren Schauspielerinnen und Performerinnen. Alte Schauspieler hingegen sind gut vertreten, für sie gibt es ja auch Rollen. Die großen Rollen für betagte Darstellerinnen aber sind selten. Sowohl im Kanon, als auch in der Gegenwartsdramatik.
In der Folge wird die berufliche Situation für Schauspielerinnen im Alter höchst prekär.
„Der Körper, von dem ein Mann, solange es irgend geht, nichts wissen will, ist das eigentliche Guthaben einer Frau, und es schwindet von Tag zu Tag mehr“ schreibt die Germanistin Hannelore Schlaffer in ihrem Buch Das Alter (2003). Anders als ihre männlichen Kollegen gelten Schauspielerinnen nicht mehr attraktiv genug für die Bühne. Frauen* mit zunehmenden Alter werden in unserer Gesellschaft allgemein immer unsichtbarer. Sie sind allemal noch als Großmütter und Mütter von Interesse, und werden mittels dieser Stereotypen auf der Bühne gezeigt. Dabei könnten doch gerade die erfahrenen Schauspielerinnen aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen, andere Register im Spiel ziehen als ihre jungen Kolleg*innen und unterpräsentierte Perspektiven aufmachen. Stattdessen wird den älteren Jahrgängen scheinbar Innovationspotential abgesprochen; an vielen Theatern werden möglichst junge Menschen engagiert.
Wo also könnte man ansetzen, um diesen wenig reflektierten Teufelskreislauf zu unterbrechen?
Es fehlt der Diskurs über Ageismus (Altersdiskriminierung), obgleich er spürbar in der Luft liegt: Fragen, welchen Wert wir älteren Menschenleben beimessen, sind während der pandemischen Situation nämlich aktueller denn je geworden. Gerade im Theater, das sich als diskursiver Ort versteht, müssten ältere Frauen* mitgemeint und vielfältig repräsentiert werden. Mit The Golden Age ist daher ein offenes Netzwerk von Akteur*innen verschiedener Jahrgänge entstanden, um diese Themen gemeinsam und in öffentlichen Formaten angehen.
Die Autorinnen:
Hannah Zufall ist Autorin und Theatermacherin. Sie lebt in Berlin. Sie hat in Hildesheim Szenische Künste und in Aix-en-Provence Les arts du spectacle studiert. 2013 wurde sie für den ersten Osnabrücker Dramatikerpreis sowie 2014 für den Leonhard-Frank-Preis in Würzburg nominiert. 2018 promovierte sie in Literaturwissenschaften und wurde für ein Schreibstipendium in das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf eingeladen. 2019 war sie Literaturstipendiatin der Stadt Jena und wurde bei dem Bochumer Dramatikwettbewerb Spiel.Frei.Gabe ausgezeichnet sowie bei dem Retzhofer Dramatikerpreis 2021 von der Jury gewürdigt. 2020 erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Kollegs Friedrich Nietzsche in Weimar sowie das Styria-Artist-in-Residence Stipendium (St.A.i.R.) in Graz. Zusammen mit Ariane Koch hat sie die Initiative The Golden Age mehr ältere Frauen* auf und hinter Bühnen gegründet. 2021 wurde die 2. Staffel von Warten auf’n Bus auf dem Filmfest Hamburg mit dem Hamburger Produzentenpreis für Deutsche Fernsehproduktionen (Serielle Formate) ausgezeichnet. 2022 wurde Hannah Zufall bei dem Deutschen Preis für Nature Writing gewürdigt und ist aktuell für den Grabbe-Förderpreis 2022 nominiert.
Ariane Koch (*1988) studierte bildende Kunst, Interdisziplinarität sowie einige Semester Philosophie und Theaterwissenschaft in Basel und Bern. Sie schreibt Theater-, Performance- und Prosatexte – oft in Kollaboration mit der Theatergruppe GKW (Moïra Gilliéron, Ariane Koch und Zino Wey) oder der Künstlerin Sarina Scheidegger. Die entstandenen Stücke wurden bereits in Basel, Zürich, Biel, Lausanne, Graz, Berlin, Bonn, Istanbul, Alexandria, Kairo, Voronezh, Krasnoyarsk und vielen anderen Orten aufgeführt. Sie erhielt verschiedene Stipendien wie den Dramenprozessor, eine Hausautorschaft am Luzerner Theater, Aufenthaltsstipendien am Literarischen Colloquium in Berlin oder am Cité internationale des Arts in Paris, sowie einige Werkbeiträge des Kantons BaselStadt und der Pro Helvetia. Aktuell arbeitet sie an ihrem ersten Roman Die Aufdrängung. Ariane Koch wird vom Felix Bloch Erben Theaterverlag vertreten.