Tom Waits‘ Woyzeck

Zur Wiederaufnahme von Schumachers Woyzeck-Inszenierung sprach die Dramaturgin Marianne Seidler mit dem Ensemble über den Zauber von Waits‘ Musik.

„Ich mag schöne Melodien, die mir schreckliche Dinge erzählen.“ (Tom Waits)

Es gibt Inszenierungen, die sich ins Gedächtnis einbrennen, die ihre Kraft bewahren und uns immer noch etwas zu erzählen haben. Klaus Schumachers Woyzeck mit der unverwechselbaren Musik von Tom Waits, die live auf der Bühne erklingt, ist so ein Abend. „Tiefsitzend, anrührend, echt, rau und unverwechselbar.“ Das sind die Worte, mit denen das Ensemble noch heute die Musik von Tom Waits beschreibt. Und Peter Fasching, der das Kind spielt, bringt es auf den Punkt: „Tom Waits ist mit seiner Musik etwas gelungen, was nur wenige Musiker:innen geschafft haben – er hat ein ganz eigenes Genre gefunden, das man auch nur schwer beschreiben kann, außer einfach mit ‚Tom Waits‘. Mich inspiriert sehr, wie er immer einen großzügigen Sicherheitsabstand zur Perfektion hält, und im sogenannten ‚Fehler‘ oder ‚Unschönen‘ ganz viel Persönlichkeit entdeckt.“

Diese Musik ist es auch, die diesen Woyzeck auf eine brachiale Weise adelt.

Die Verbindung aus der sehnsuchtsvollen Musik der Live-Band, der in viele Köpfe eingebrannten Geschichte Büchners, einer beeindruckenden Bühne und dem musikalischen Ensemble macht diesen Abend zu einem, der unverwechselbar bleibt und deshalb nach fast zehn Jahren wieder seinen Weg auf die große Bühne findet. Wir folgen einem getriebenem Woyzeck (Simon Zigah), der in seinem eigenen Horrortrip gefangen zu sein scheint, einer nach Leben suchenden Marie (Annemaaike Bakker), die Raum einnimmt und mit Offenheit in eine düstere Welt hineinschaut und der neu besetzten Tambourmajorin (Lieke Hoppe), die auf ihre ganz eigene Art ein Spiel der Verführung anzettelt.

In großen Bildern und holzschnittartigen Szenen taumelt Woyzeck durch seinen eigenen Albtraum.

Diese flotten Szenen sind im besten Sinne einfach („eine Reihe von surrealen Schnappschüssen“ Tom Waits) und schaffen es dennoch in Verbindung mit der Musik ganz unmittelbare Gefühlszustände herzustellen, auf die man sich direkt einlassen möchte. Das ist die große Kraft der Komposition. Hinzu kommt damals wie heute ein sehr musikalisches Schauspiel-Ensemble, von dem die Mehrheit wieder auf der Bühne stehen wird (einzig Lieke Hoppe kommt neu dazu). Genau wie Klaus Schumacher ist auch die Band der Musik von Tom Waits immer noch verfallen. So beschreibt der Musiker Stefan Ulrich, dass die Musik gefühlvoll sei, ohne kitschig zu werden und Tom Waits es schaffe, das Thema der Klasse, das für den Woyzeck so entscheidend sei, in die Gegenwart zu transportieren.

Etwas wieder zurück zu holen, funktioniert oftmals gar nicht so leicht, wie wir uns das wünschen würden.

Groß ist das Risiko eines nur aufgewärmten, lauwarmen Gefühls. Vermutlich funktioniert das Wiederherstellen gerade dann besonders gut, wenn man sich mit den Veränderungen, die wir in uns tragen, auf das Alte einlässt. Und auf dieses Einlassen freut sich ein ganzes Ensemble samt Band!

 

„All the good in the world
You can put inside a thimble
And still have room for you and me“

(Tom Waits aus dem Song: Misery is the River of the World)

 

 

Veröffentlichung: 27.12.21