Träumen Replikanten vom Ende der Menschheit? Ein Krippenspiel über die nicht allzu ferne Zukunft

Der Bremer Drehbuch-Autor Jan Eichberg über seine Arbeit an The End. Eine Replikantenoper

Bisher gab es für mich beim Schreiben von Theaterstoffen immer eine Vorlage, z.B. eine Amazon-Serie, Stoffe aus der griechischen Mythologie, ein Bestseller-Roman. Es steht schon ein Termin für den Probenstart und einer für die Premiere, ebenso die Besetzung. Jetzt muss einfach nur noch der Text her.
Aber dann, wie immer im echten Leben, wird es plötzlich knifflig, wenn es konkret wird. Man könnte den ganzen Kram einfach so ausschreiben, die Vorlage möglichst originalgetreu adaptieren. Aber das wäre zu einfach und außerdem ärgert einen auch immer irgendetwas am Originalstoff, manchmal sind es Details, manchmal die Haltung dahinter. Das Ganze einfach umzuwerfen und etwas völlig anderes daraus zu machen, geht auch nicht, schließlich gibt es etwas an dem Stoff, dass ihn uns hat auswählen lassen.

Ich sitze dann vor dem Computer und weiß nicht, was ich denn schreiben soll, und verfluche uns dafür, dass wir ausgerechnet dieses komplizierte Buch, diesen Film, diesen Mythos als Anlass für unser Stück gewählt haben. Man wälzt alles hin und her im Kopf und ärgert sich, schleppt das so mit sich rum, bis man plötzlich einen Einfall hat, wie man den Stoff zu packen kriegt. Dann schreibe ich ein paar erste Seiten, es beginnt, endlich Spaß zu machen, und zusammen mit dem Regisseur und der Dramaturgin versuche ich dann rauszufinden, was diese ersten paar Seiten denn nun für uns bedeuten.
Die Sprache, der Ton ergibt sich immer von allein. Es geht nicht darum, möglichst virtuos, möglichst witzig, möglichst bewegend zu erzählen. Es geht um unseren Zugang, um unsere Haltung zu dem Thema. Und eigentlich sollte es auch nie nur um ein Thema gehen, sondern immer um alles, nämlich um den Menschen und die Welt und die Unvereinbarkeit dieser beiden. Wir fragen uns: Wie stehen wir eigentlich zu dieser Geschichte, was finden wir daran aufregend, was nervt, was berührt uns daran? Warum machen wir überhaupt ein Theaterstück? Die Antwort darauf muss ehrlich sein und einfach und klar. Und zwingend.

Das Ende

In The End. Eine Replikantenoper geht es um das mögliche Ende der Menschheit, irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft. Wir haben uns mit den beiden Blade Runner-Filmen von 1982 und 2017 beschäftigt, in denen beschrieben wird, wie die Menschen – gottgleich – künstliche Wesen nach ihrem Ebenbild erschaffen haben, die Replikanten, um diese für sich arbeiten zu lassen. Diese künstlichen Replikanten begehren dann aber auf, sie wollen mehr sein als bloße Arbeitssklaven, denen es nicht gestattet ist, länger als vier Jahre zu leben. Die Filme verhandeln die Frage, was eigentlich Mensch-Sein ausmacht und ob künstlichen Lebewesen auch eine Seele innewohnt, wenn es denn so etwas gibt. Sie beschreiben die menschliche Arroganz, sich über alles zu stellen, was vielleicht wiederum der menschlichen Angst entspringt, selbst nur ein Spielball des Schicksals zu sein. Schon seit Urzeiten träumt der Mensch davon, selbst Gott spielen zu dürfen. Mit der Möglichkeit, künstliche Lebewesen zu erschaffen, scheint dieser Traum wahr zu werden. In unserem Stück hat sich die Welt (im Vergleich zu den Blade Runner-Filmen) noch einmal ein paar hundert Jahre weitergedreht. Die „echten“ Menschen sind mittlerweile von der Erde verschwunden; vielleicht, weil sie die Folgen ihrer Erdzerstörung weniger gut verkraftet haben als ihr künstliches Ebenbild, die Replikanten. Oder man hat entschieden, sie zu entsorgen, weil das allen als die beste Lösung erschien. Jedenfalls gibt es uns nicht mehr.

Die Religion der Replikanten

Wir haben uns vorgestellt, dass die künstlichen Replikanten eine Art Kirche gegründet haben, in der sie – ähnlich des christlichen Krippenspiels – die Ereignisse der alten Zeit nachspielen. Die Religion der Replikanten beschäftigt sich mit ihrem existenzialistischen Dilemma und ihrer Erlösung: Die „echten“ Menschen waren ihre Schöpfer, ohne sie gäbe es die Replikanten nicht. Gleichzeitig waren diese „Götter“ ihre größten Widersacher und mussten überwunden werden, was wiederum bedeutete, dass die Replikanten einer neuen Form der Fortpflanzung bedurften. Und auch einer neuen Religion, denn mit dem Verschwinden der Menschen ist Gott nun endgültig tot.

Auf der Bühne sehen wir also ein Science-Fiction-Krippenspiel, das vielleicht im Jahre 2350 stattfindet, aufgeführt von Replikanten, die uns von „damals“ und „den Menschen“ erzählen, die mit ihrer Verantwortungslosigkeit und Überforderung zugelassen haben, dass nahezu alle „echten“ Lebewesen und Pflanzen ausgestorben sind. Die Replikanten spielen die Ereignisse nach ihren eigenen Vorstellungen nach, sie sprechen eine Sprache, von der sie glauben, sie sei menschlich, und singen Arien, da die Menschen dies früher wohl auch getan haben sollen. Bestimmt ist diese Welt ohne Menschen eine bessere. Aber eben auch eine, in der nun doch jemand fehlt.