Trotzig das Leben umarmen
Ein Gespräch mit Schauspielerin Susanne Schrader und Regisseur Klaus Schumacher über Verlust, Trotz und den Geruch einer Dauerwelle, moderiert von Dramaturgin Marianne Seidler.
Ein urkomisches Stück über ein todernstes Thema: All das Schöne von Duncan Macmillan und Jonny Donahoe feierte am 6. September 2020 Premiere im Theater am Goetheplatz. Auf der Bühne steht Susanne Schrader – allein für einen 60-minütigen Monolog. Regie führt Klaus Schumacher, Marianne Seidler, die das Stück als Dramaturgin begleitet, hat sich mit beiden zu einem Gespräch getroffen.
Marianne Seidler: Recht spontan habt ihr beide euch in der Zeit des Lockdowns für dieses Stück stark gemacht, warum? Wieso gerade jetzt?
Susanne Schrader: In einer Zeit, in der viele vereinsamen und wir uns mit vielen Schwierigkeiten befassen, beschreibt das Stück in meinen Augen das Gegenteil: das Schöne an der Welt, das was die Menschen zusammenbringt und das Leben lebenswert macht. Und gerade in der momentanen Situation wird deutlich, wie sehr wir das brauchen. Was vermisse ich? Was möchte ich unbedingt wieder machen? Was ist das Schöne für mich? Viele sagen: Ich möchte so gerne mal wieder meine Freunde umarmen oder in einem vollen Theater sitzen.
Klaus Schumacher: Beim Konzert tanzen!
Susanne Schrader: In einer vollen Straßenbahn rumrempeln. (lacht) Alltägliche Dinge. Und ich habe mich auch gefragt, was das Theater jetzt überhaupt kann?
Ihr seid euch ja schon lange sehr vertraut, wer hat den Stoff in eure Arbeitsbeziehung gebracht?
Klaus Schumacher: Ich habe Suse das Stück schon vor 1 ½ Jahren gegeben. Aber sie kam dann mit der Idee, das gerade JETZT zu machen. Was wir im Theater ja so lieben, ist Gemeinschaft. Gemeinschaft, die sich bildet indem wir uns mit einer Figur identifizieren oder ihr genau zuhören. Die Tochter im Monolog ist eine Figur, die von ihren Schwächen erzählt, die Humor hat, die unglaublich warm ist und Wärme im Raum erzeugt. Ich glaube, es gibt die Sehnsucht miteinander zu sprechen und dabei zu erleben, dass man doch nicht allein ist. Mit der Einsamkeit, mit der Angst vorm Leben manchmal. Vorm Tod.
Die Liste beinhaltet recht herkömmliche Punkte, denen fast alle Menschen zustimmen können. Es ist schön ein Eis zu essen. Und dann gibt es Dinge auf der Liste, die spezifischer sind, eine Handlung beschreiben oder auch eine Erinnerung. Da kommt einem beim Lesen der Gedanke, dass das Leben in der Liste beschrieben wird. Lohnt sich das Leben um seiner selbst willen? Gibt es denn etwas auf der Liste, Susanne, mit dem du dich sofort verbinden konntest?
Susanne Schrader: Da gäbe es viele Highlights. Das eigentlich Besondere an der Liste ist aber, dass es den Blick schärft. Jemanden sehen, der es gerade noch in den Zug schafft, bevor sich die Türen schließen, Blickkontakt haben und gemeinsam den kleinen Sieg feiern. Da denkt man: Klar, kenn ich, habe ich erlebt. Und dir fallen dann immer mehr eigene Situationen ein. Die haben wir zum Teil auch übernommen. Zum Beispiel der Geruch beim Friseur, zu dem mich meine Oma immer mitgenommen hat, um sich die Dauerwelle machen zu lassen. Es fallen mir viele, kleine Dinge ein, die eher absurd klingen und nicht in der Werbung auftauchen würden. Aber man empfindet sie selbst als wohlig und angenehm.
Euch verbindet nicht nur eine langjährige Arbeitsbeziehung und Freundschaft, sondern auch die Erfahrung von Verlust, die auch viele andere Menschen machen.
Susanne Schrader: Ich würde sagen, uns verbindet, dass wir trotzig das Leben schön finden! Trotz all dem, was man so erlebt hat. Das man trotz allem sagt: Wir genießen das, was da ist und es geht weiter. Man lebt mit den Verlusten und Erfahrungen, aber man lässt sich nicht unterkriegen. Ich glaube das verbindet uns.
Ein sehr freundlicher Mittelfinger ans Leben?
Klaus Schumacher: Ja, aber natürlich erzeugt ein großer Verlust auch ein großes Loch. Dieses Loch muss man ja füllen. Sonst wird es sehr, sehr schwer weiterzuleben. Es wird leichter, wenn man in Liebe mit anderen Menschen verbunden ist. Der Schlüssel ist immer, diese lieben Leute um sich zu haben. Es gibt im Stück sehr viele Begegnungen und sie gehen alle von einem sehr freundlichen, positiven Menschenbild aus. Ich glaube, das verbindet uns beide auch. Und uns verbindet, dass wir eigentlich sehr gerne und liebevoll auf unsere Mitmenschen schauen. Und nicht mit Zynismus oder Abgelöschtheit. Wir sind teilweise naiv und neugierig. Das hört sich pastoral an, aber das ist so eine wichtige Kraft im Leben. Weiter lernen und kennenlernen wollen. Und Neugierde auf neue Begegnungen. Das kann man im Theater gut üben.
Es mag pastoral klingen, aber die gesellschaftliche Atmosphäre ist gerade tatsächlich so angezündet, dass solche Worte sich stimmig anfühlen.
Klaus Schumacher: Viele Menschen gehen momentan von Machenschaften im Hintergrund aus. Unter ihnen gibt es sicherlich auch einige, die sehr allein sind und sehr viel vorm Bildschirm sitzen und sich steuern lassen. Es ist gerade schwer einen Gemeinsinn zu entwickeln, aber wir müssen es tun.
Susanne Schrader: Ich habe die Befürchtung, dass die angezündete Stimmung unter anderem auch damit etwas zu tun hat, dass wir in den letzten Jahrzehnten die Demokratie in der wir leben als selbstverständlich hingenommen haben und Werte in der Politik und im gesellschaftlichen Zusammenleben gar nicht so gepflegt und kommuniziert wurden. Hauptsächlich geht es um Wachstum, Markt, Wettbewerb. Das was eine Gesellschaft eigentlich zusammenhält – und da verweise ich auf das tolle Buch Im Grunde gut von Rutger Bregman – wird gar nicht so thematisiert.
Klaus Schumacher: Das sind aber auch leider oft die Dinge, die nicht so laut sind.
Eines der entscheidenden Kriterien der Liste ist ja auch: nicht so viele materielle Dinge zu benennen. Worauf konzentriert sich die Figur am Stärksten und ist das politisch zu verstehen?
Klaus Schumacher: Politik beginnt da, wo ein Mensch auf einen anderen trifft, ihn beurteilt oder verurteilt, ihn liebevoll anschaut oder verächtlich. Von der kleinsten Zelle, von der kleinen Begegnung: davon erzählt das Stück so viel. Der Mann der Figur sagt an einer Stelle: „Du musst mit jemanden reden.“ Das wünsche ich uns allen. Freund*innen, die uns sagen: Du brauchst Hilfe. Jetzt muss etwas passieren. Das finde ich hochpolitisch. Das erzeugt eine Gesellschaft, die aufeinander achtet.
Die Figur verschafft sich in gewisser Weise auch die Möglichkeit mit dem Publikum das nachzuholen, was eigentlich hätte passieren sollen in einem wichtigen Moment im Stück. Das zeigt auch, was für eine besondere Form der Beteiligung im Theaterraum entstehen kann. Es geht nicht um das reine „Mitmachen“ sondern darum, der Figur etwas zu geben. Als Stellvertreter*innen. Wird das Publikum das mitmachen?
Susanne Schrader: Ich habe natürlich, wenn ich selbst Zuschauerin bin, immer das Gefühl, auf keinen Fall mitmachen zu wollen. Es gibt ja für die Zuschauer*innen auch gute Gründe warum sie den Beruf nicht ergriffen haben und nicht auf der Bühne stehen (alle lachen). Aber ich denke schon, dass ein Gemeinschaftsgefühl im Zuschauerraum entstehen wird. Diese Geschichte muss einfach von Menschen mit erzählt werden, das ist sinnfällig. Denn diese Erfahrungen stecken in uns allen.
Wenn Sie oder jemand in Ihrer Umgebung Hilfe braucht, wenden Sie sich bitte an: www.suizidpraevention.de