Tschüss!

Über vierzig Jahre steht er auf der Bühne, jetzt verlässt er als festes Ensemblemitglied das Theater Bremen: Siegfried W. Maschek steht nochmal bei Faust und bei Wasserwelt. Ein Musical auf der Bühne. Schauspielerin und Weggefährtin Irene Kleinschmidt hat ihn getroffen und mit ihm über Pläne, Freiheit und Lebensweisheiten gesprochen.

Irene Kleinschmidt: Lieber Siegi, ich habe in all den Jahren deinen großen Fundus, dein großes Wissen, dein Interesse an so vielen Dingen, dein immer so zart, zärtliches, genaues, klares Spiel sehr genossen. Wir sind quasi durch dick und doof zusammengegangen, haben immer wieder Stücke, Situationen gehabt, in denen wir uns miteinander oder aufeinander gefreut haben, freuen konnten. Ich sehe dir Dinge an der Nasenspitze an, du mir, deshalb freue ich mich sehr, dieses Interview mit dir zu führen.

Siegfried W. Maschek: Vielen Dank, ich freue mich auch sehr.

So, die erste Frage. Was hältst du von dem Pollesch-Zitat aus Schmeiß dein Ego weg: „Es gibt nicht ein bisschen Theater, ich kann dir ja auch nicht ein bisschen meine Telefonnummer geben“?

Davon halte ich sehr viel. Einer meiner Lieblingssprüche ist: „Ein bisschen schwanger gibt es nicht“ und in diesem Sinne trifft es eigentlich genau zu. Das heißt jetzt nicht, dass Theater alles ist, aber wenn man sich darauf einlässt, dann ist es für diesen Moment alles.

Daraus ergibt sich im Weiteren vielleicht eine Frage nach der Balance. Einer Balance von Kreieren, Aufnehmen, Nähren, Abgeben. Also, wie hat Siegi es geschafft, durch so viele Berufsjahre seine Kreativität zu erhalten?

Es gibt ja dieses Klischee, man müsse immer wieder in die Welt hinaus, um die Welt wieder neu zu erfahren und sie neu spiegeln und spielen zu können. Ich glaube, dafür bin ich ein ganz schlechtes Beispiel, weil so wahnsinnig viel Welt habe ich nicht erfahren und nicht erlebt. Ich muss mir nicht unbedingt die letzte Pagode im hintersten Thailand auch noch anschauen. Ich denke schon, dass ich neugierig bin, aber eben auf meine Weise, und die Kreativität wächst immer mit den Leuten. Ich war immer neugierig auf die Menschen, mit denen ich zu tun hatte, ich war immer neugierig auf die Texte und Themen, mit denen ich konfrontiert war, ich war immer neugierig auf möglichst neue Theaterformen und Herausforderungen und das hat mir für diese vierzig Jahre eigentlich gereicht.

Drittens, was möchte der nun alternde – auf sehr schöne Art und Weise, wie ich sagen möchte – alternde Siegi, dem jungen Siegi, der am Beginn der Berufskarriere an den Theatern steht, sagen, mitteilen, wenn er es könnte, in einer Zeitreise, welches Ass würde er dem jungen Siegi in die Hosentasche stecken? Welchen Joker?

Ich glaube gar keinen, weil ich glaube, dass man alle Fehler, alle Krämpfe, alle Verspannungen, allen Ehrgeiz, alle Weltrettungsgedanken, dass man die braucht und dass man die auch alle durchgehen muss, um vielleicht irgendwann als alternder - ob jetzt schön oder hässlich alternder Mensch … 

Nimm das Kompliment bitte an, Herr Maschek … 

 … um dann irgendwann sagen zu können: „Meine Güte, hättest du ja auch mal alles lockerer haben können, hättest du ja auch alles mal ein bisschen entspannter angehen können“. Das stimmt sicher so, aber ich glaube nicht, dass es dem jungen Schauspieler etwas genutzt hätte, es ihm zu sagen.
Ich freue mich immer wahnsinnig, jungen Menschen zuzuschauen – das war ja Grund, warum ich diesen Beruf machen wollte: mich immer wieder neu zu verlieben! Ich freue mich sehr, wenn junge Menschen und junge Kolleg:innen was von mir hören wollen oder ich ihnen was sagen darf. Das freut mich wahnsinnig, aber ich weiß auch immer, dass das ein anderer Mensch in einer anderen Lebensphase, in einer anderen Entwicklungsphase ist, mit einem komplett anderen Blick auf die Welt. Und die Welt selbst hat sich ja auch rasend verändert in diesen Jahren. Also von daher ist ein Rat an die Jungen extrem schwierig.

Kein Joker, also, man geht seinen Weg.

Ja, würde ich mal so behaupten.

Man muss den Weg gehen, der Weg ist das Ziel.

Ja, ob er gleich das Ziel ist …  das sind dann alles die großen Worte.

Der Weg ist der Weg.

Ja, der Weg ist der Weg. –

Doch noch was …?

Ja, vielleicht eine einzige Sache, von der ich mir gewünscht hätte, dass sie jemand dem jungen Siegi und all den anderen jungen queeren Menschen am Theater gesagt hätte, damals: seid lauter! Ihr habt ein Recht darauf!

Es gibt ein schottisches Gedicht, es heißt Warning von Jenny Joseph: “When I am an older woman, I shall wear purple with a red hat which doesn't go and doesn't suit me.” Was wirst du anziehen, wenn du dich jetzt außerhalb der Institution und der verankerten Zeit bewegen darfst, was wirst du tun, was willst du hören? Was wirst du anziehen: einen roten Hut und ein lila Kleid?

Genau, gerne das lila Kleid bei Gelegenheit! Keine Ahnung, vielleicht findet sich die ja in Berlin. Ich werde mich hoffentlich nie altersgemäß anziehen, auf Beige möchte ich jedenfalls noch ganz, ganz lange verzichten und lieber weiter zu diesem Rot stehen, für das mich viele hier im Haus irgendwie kennen. Und ansonsten habe ich gar nicht viele Pläne. Ich freue mich sehr, mal zu Zeiten in andere Länder fahren zu können, wo nicht nur Touristen da sind. Nicht, weil ich die Touristen nicht mag, ich war und bin ja auch immer einer, aber weil es einfach auch sehr, sehr schön ist, Griechenland mal im Frühling zu sehen, oder Mallorca im Februar. Ich habe mir wirklich viele Gedanken gemacht, was ich noch machen kann und will, denn ich werde immer wieder gefragt, ob ich ein Hobby oder so habe? Und dann denke ich, nee, Theater war und ist mein Hobby! Ich freue mich wahnsinnig, viel ins Theater zu gehen oder Theater zu machen, solange ich krabbeln kann und solange ich Interesse daran habe. Ich freue mich auf das „Nicht-Aufhören“ in gewissem Sinn, und wenn es dann irgendwann doch bedeutet, aufzuhören, dann werden wir gucken, was wir damit machen. 

Wir könnten an dieser Stelle schon aufhören, aber ich hänge trotzdem noch was ran. Der todkranke Chet Baker hat auf die Frage, wie sein Leben denn war, geantwortet: “It was a dream man, a dream man“. Was wäre dein Satz?

Ich hatte mal einen, ich kriege ihn jetzt nicht wirklich hin, aber sinngemäß: Er ist da gewesen.

Sehr schön, ich danke dir, ich werde dich vermissen, tschüss Siegi!

Ich danke dir – sehr!

 

 

Veröffentlicht am 16. August 2024