Über das Ritterwerden und die radikale Zärtlichkeit im Theater
Wie der Versuch zu lieben, der Wunsch, als Subjekt sichtbar zu sein und >Don Quixote zusammenhängen: Ein Gespräch zwischen Regisseurin Caroline Kapp, Kostümbildnerin Carla Loose und Dramaturgin Theresa Schlesinger.
Theresa Schlesinger: Wie wird man denn eigentlich zum Ritter?
Caroline Kapp: Ich glaube man wird Ritter, indem man wahnsinnig wird. Das heißt für mich, dass man verzweifelt über den Zustand der Welt. Und das passiert so: Man realisiert, dass diese Welt nicht für einen gemacht ist und trotz dessen gibt man sich der selbst auferlegten Aufgabe hin, sich dieser Welt entgegenzusetzen. Im Theater wäre das dann ein Entgegensetzen mit dem eigenen Körper.
Theresa Schlesinger: Was braucht es dafür noch, neben dem eigenen Körper, für das Ritterwerden im Theater? Ganz konkret: Wir arbeiten gerade an einem Projekt zu Miguel de Cervantes und Kathy Ackers Versionen von Don Quixote, der zu viele Romane gelesen hat und sich schließlich auf den Weg macht, um Ritter zu werden. Bei beiden ist das Ritter-Werden eng verbunden mit dem Versuch zu Lieben. Das Gefüge in dem sich Kathy Ackers Don Quixote bewegt, ist allerdings anders als bei Cervantes, ein brutales, nämlich die Straßen von New York City der 80er Jahre und vor allem die kapitalistische patriarchale Gesellschaftsordnung. Bei uns im Theater wiederum finden wir uns wieder in einem Bühnenraum, der sich keiner Zeit zuordnet, außer vielleicht der Gegenwart. Hier begegnen wir drei Spieler:innen, die sich in diesem Raum bewegen und denen Text, Raum, Requisiten und Kostüme zur Verfügung stehen, um den Fragen von Don Quixote nachzugehen: Wie kann eine Frau lieben? Mit all den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, suchen die drei auf ihre Art auch danach, Ritter zu werden. Wie war denn dein Ansatz, Carla, beim Konzipieren der Idee unserer Ritterwerdung im Kostüm?
Carla Loose: Die Bühne hat Amina Nouns, unsere Bühnenbildnerin, als feindselige Umgebung konzipiert, sehr stählern, ohne eine Art von Weichheit. Das Kostüm wendet sich dagegen. Wenn man an Ritter denkt, ist oft das erste, was einem in den Sinn kommt eine Art eiserne Rüstung. Und das wiederum ist eine sehr männlich geprägte Vorstellung von Schutz oder Ausstattung, die man braucht, um zu kämpfen in dieser Welt. Uns war eigentlich von Anfang an klar, dass so eine Art von Ritterlichkeit für die weibliche Don Quixote nicht funktionieren kann. Bei Kathy Acker bedeutet Ritter sein sich von diesen männlichen und auch kapitalistischen Zuschreibungen der anderen auf ihren Körper zu befreien. Bei uns erkennt Don Quixote, dass in dem Gegenteil, also in einer Art Öffnung, Assimilation, Transformation, ein Einlassen auf die Umwelt, auch ein Schutz besteht. Es geht nicht darum, durch das Kostüm eine Barriere zur Welt herzustellen, wie es eine Ritterrüstung eben wäre, sondern eher um Transzendenz. Es geht darum, sich selbst zu öffnen und den eigenen Körper nicht zu limitieren oder abzuschirmen, sondern sich zu zeigen. Wir haben während der Konzeption immer von radical softness gesprochen, was es glaube ich ganz gut zusammenfasst. Eine Strategie, sich durch vollkommene Schutzlosigkeit der Welt auszusetzen und sie dadurch zu verändern.
Theresa Schlesinger: Das beschreibt sowohl das Kostümbild, aber auch die Spielweise sehr gut. Wie habt ihr beide denn zusammen gearbeitet und was hat euch zusammen gebracht?
Caroline Kapp: Ich hatte sowieso vor mich mit Kathy Acker zu beschäftigen und ihrer Überschreibung von Miguel de Cervantes Jahrhundertroman Don Quijote und Carla hatte schon von Kathy Acker erfahren und Texte gelesen. Es gab also bereits eine geteilte Faszination dafür wie Kathy Acker mit ihrer Technik des Cut-Ups Stoffe adaptiert und verarbeitet und so auf eine absurde Art und Weise Situationen, Körper und Räumen nebeneinander stellt. Für mich ging es dann darum, herauszufinden, was wir brauchen, um Ackers Überschreibung heute weiter zu schreiben. Dafür haben wir an Versionen dieser Don Quixote Figur gearbeitet.
Carla Loose: Ja genau, ich glaube das war der erste Ansatz. Wir haben überlegt, was es für Tools braucht, was für eine Art von Ausrüstung nötig wäre, um sich überhaupt diesen Abenteuern anzunähern. Wir sind dann auf verschieden Versionen von Don Quixote gekommen und dann wurde es erst relativ spät wirklich konkret.
Theresa Schlesinger: Schön, dass euch quasi Kathy Acker so zusammen gebracht hat. Ihr Text, sowie die Zeichnungen und Gedanken ziehen sich ja auch durch das Kostümbild – buchstäblich. Das Kostümbild selbst hat hier auch eine eigene Dramaturgie, denn es befindet sich genau wie Worte, Handlung und Figuren in Auflösung begriffen, vielleicht auch ganz ähnlich zur Dramaturgie des Abends, wo sich auch alles immer mehr auflöst: Die Vorstellungen von Liebe, Figuren, Narrative und Erwartungen.
Caroline Kapp: Ich würde hier gerne noch einmal anknüpfen an das Gegensatzpaar: Die Zartheit im brutalen Gefüge. Was heißt es also vulnerable zu sein als weiblich gelesene Person in einem brutalen Gefüge? Für mich ist das bei uns eben das brutale System Bühne. Dort gibt es diese Verabredung, dass bis zu 200 Menschen den Spieler:innen dabei zuschauen, wie sie sich körperlich und emotional verausgaben. Und in diesem brutalen Spannungsfeld ist unser Versuch, in dem man den Blicken von diesen Unbekannten ausgeliefert ist, so etwas wie einen dritten Körper zu schaffen, etwas wie das gemeinsame Ereignis. Der Begriff stammt aus dem Text Kein Archiv wird dich wiederherstellen der US-Amerikanischen Wissenschaftlerin und Autorin Julietta Singh, den wir auch bei den Proben gelesen haben. So versuchen wir anhand der Szenen aus den Texten gemeinsam mit dem Kostüm, Requisiten und dem Raum, eben diese temporäre Gemeinschaft und die konkrete Theatersituation zu befragen: Wie kann man eine gleichberechtigtere Form von Zusammensein schaffen? Eigentlich gilt ja hier die Verabredung, dass etwas Einstudiertes gezeigt wird und das Publikum dabei zuschaut. Aber wie können die drei Spielenden diese Situation mehr in den Griff bekommen und dadurch schließlich mehr zu Subjekten werden? Das ist vielleicht dann auch der Weg hin zu mehr Vulnerabilität.
Theresa Schlesinger: Sich also vulnerabel zeigen durch Nicht-Wissen, wirklich reagieren im Moment auf das, was da ist und das zum Teil eben ohne feste Verabredungen, jedes Mal aufs Neue, da ja jede Aufführungssituation eine andere ist, mit anderen Menschen …
Veröffentlicht am 7. März 2024