Über die Musikalität von Sonne / Luft
Regisseurin Christiane Pohle, Musiker Philipp Haagen und Dramaturgin Elif Zengin sprechen über permanente Vielfältigkeit und die Möglichkeit eines Gesprächs zwischen Jelineks Text und der Musik.
Elfriede Jelineks Text besteht aus den zwei Teilen Sonne / Luft. Wie verhält sich euer musikalisches Konzept zu diesem Titel?
Christiane Pohle: Ausgehend von Elfriede Jelineks Quellenverweis „Mal schauen, wo meine Eier versteckt sind“, der sich darauf bezieht, dass sie im Text viel mit Zitaten und Bezugnahmen auf bestehende Texte und Musiken spielt, und die dann miteinander kommunizieren und sich beeinflussen lässt, haben wir uns zuallererst für diese von ihr im Text versteckten musikalischen Zitate interessiert. Die tauchen in der Inszenierung jetzt in unterschiedlicher Form auf. Da Sonne sich stark auf den Prolog im Himmel aus Faust 1 von J. W. von Goethe bezieht, haben wir dafür ein Äquivalent gesucht und uns zusätzlich zu den musikalischen Zitaten für ein Präludium und die dann folgende Fuge aus dem wohltemperierten Klavier von J. S. Bach entschieden.
Philipp Haagen: In Sonne spiele ich auf einem präparierten Flügel, der durch Handtücher und Gummikeile gedämpft wird, wodurch der Sound nicht klassisch pianistisch klingt, sondern teils wie ein Clavichord, ein historisches Instrument zu Bachs Zeiten. Das Präludium und die Fuge von Bach werden durch die Präparationen wesentlich geprägt. In Luft haben wir den Fokus auf Luftinstrumente gelegt: Harmonium und Tuba. Das Harmonium wird von einem Blasebalg angetrieben, den ich mit meinen Füßen über Pedale aktiviere. In die Tuba singe und blase ich gleichzeitig hinein, wofür ich einen großen Luftaufwand benötige. Ich spiele die ausgewählten Stücke selten komplett, sondern entwickle im Probenprozess Fragmentierungen, Bearbeitungen und Variationen. Ich zupfe die Saiten im Flügel, ich singe, wechsele die Instrumente innerhalb der Stücke, arbeite also ähnlich assoziativ, wie der Text.
Die Autorin verwendet, wie ihr schon erwähnt habt, musikalische Zitate, die größtenteils aus dem romantischen Lied stammen. Wie sehr orientiert ihr euch an Jelineks Referenzen?
Christiane Pohle: Elfriede Jelinek zitiert u. a. Texte aus Liedern von Hugo Wolf und Eduard Mörike oder aus der Winterreise von Franz Schubert und Wilhelm Müller. Diese Motive kommen in der Inszenierung vor, es wird z.B. eine Platte aufgelegt oder Philipp greift Lieder fragmentarisch am Instrument auf.
Christiane, du meintest bei einer Probe, dass die Musik auch eine räumliche Rolle spielt. Dorothee Curios Bühnenbild schafft ja auch mit dem fahrenden Podium, worauf der Flügel steht, verschiedene Bühnenebenen und auf allen spielt Philipp Musik. Welche Musikalität erwartet das Publikum sonst auf der Bühne?
Christiane Pohle: Der musikalische Text entsteht in Kommunikation mit dem auf der Bühne gesprochenen Text, er verhält sich also kommunizierend. Inhaltlich, räumlich, kontrastierend, verstärkend, überflutend oder er hört plötzlich auf, verschwindet, wird still. Wir haben also versucht, im weitesten Sinne ein Gespräch zu initiieren zwischen dem geschriebenen Wort und dem musikalischen Text. Das ist etwas, was ich aus dem Schreiben von Elfriede Jelinek abgeleitet habe.
Philipp Haagen: Ich finde es ziemlich erstrebenswert, Text und Musik parallel zu erzählen, obwohl es vielleicht von vornherein klar ist, dass das nicht möglich sein wird, dass man nicht alles gleichzeitig aufnehmen kann. Diese Überforderung ist für mich interessant. Wenn ich bspw. die Fuge in ihrer ganzen komplexen Vielfalt spiele und gleichzeitig Unmengen von Text gesprochen werden, ist das absolut gewollt so.
Christiane Pohle: Es ist die permanente Vielstimmigkeit, die uns interessiert. Eine gesprächshafte, sich überlagernde, sich teilweise auslöschende, durcheinanderdenkende Vielstimmigkeit.
Philipp, an einer Stelle singst du „Wo ist die ganze Luft jetzt wieder hin?“ Was ist für euch so wichtig an dieser Frage aus Sonne / Luft, sodass ihr sie musikalisch hervorhebt?
Christiane Pohle: Es ist ein großes Thema, dass die Luft ausgeht. Ohne Atem können wir nicht leben, auch nicht sprechen und schon gar nicht singen. Ein Text will aber sprechen! Dass die Luft durch Umweltverschmutzung verdorben ist, dass die Luft wegbleibt, weil der Körper älter wird oder dass man irgendwann ganz aufhört zu atmen, wird von der Autorin in so vielen Schleifen umkreist, dass ich während den Proben das Gefühl hatte, dass das Thema vergrößert werden muss. Ich habe also mit Philipp überlegt, ob aus der Frage „Wo ist die ganze Luft schon wieder hin?“ ein Song kreiert werden kann.
Philipp Haagen: „Wo ist die ganze Luft jetzt wieder hin?“ ist für mich musikalisch und inhaltlich ein Leitmotiv dieser Arbeit geworden.
Veröffentlicht am 30. April 2024