500 Animationsplatten, 10 Episoden, 4 Schauspieler:innen: Live Animation Cinema
Dramaturg Sebastian Rest über die Entstehung von POST PARADISE.
Wenn über 500 sogenannte Animationsplatten Grundvoraussetzung für eine Theaterinszenierung am Moks sind, dann bedeutet das: Live Animation Cinema. POST PARADISE ist Live Animation Cinema in zehn Episoden. Doch was ist Live Animation Cinema? Im Folgenden soll darauf geantwortet und ein kleiner Einblick gegeben werden, was diese Art Theater zu machen für den Produktionsprozess bedeutet.
Warum es eine sehr passende Form ist, um ein Stück zum Klimawandel zu machen.
Wie das Wort Cinema verrät, gibt es eine enge Verbindung zum Film und so lässt sich Live Animation Cinema knapp als Animationsfilm beschreiben, der allerdings während der Aufführung auf der Theaterbühne überhaupt erst hervorgebracht wird. Dabei werden die Animationsplatten abgefilmt. Die dafür verwendeten Kameras sind wiederum so miteinander verschaltet, dass zwischen ihnen hin und her geschnitten werden kann, wodurch der Schnitt-Effekt eines Filmes entsteht. Ohne die Platten keine Aufführung, ohne die Aufführung kein Animationsfilm. Aber ohne die Platten auch keine Proben: Denn bevor die Proben beginnen können, müssen für jede der zehn Episoden von POST PARADISE diese Animationsplatten erstmal angefertigt werden. Zehn Illustrator:innen und Comic-Zeichner:innen haben dafür in ihrem künstlerischen Stil zu je einer Episode Bilder angefertigt.
So entsteht der Entwurf einer Inszenierung, der an ein Storyboard erinnert, wie man es allgemein aus Filmproduktionen kennt: der zeichnerische Plan der einzelnen Einstellungen eines Filmes.
Die Illustrationen der jeweiligen Geschichten werden dann in einer Plattenwerkstatt in virtuoser Bastelarbeit zu beweglichen Bildern, animierbaren Animationsplatten, weitergebaut – Münder können sprechen, einzelne Figuren und Objekte sich bewegen. Die Bühnenproben beginnen also erst, wenn die ersten Platten fertig sind und orientieren sich dann genau an diesen, folgen dem Entwurf des Storyboards, Platte für Platte, um den Animationsfilm über die Verschaltung der Kameras live hervorzubringen.
Zusätzlich zu den ca. 500 Animationsplatten mit ihren analogen Mechaniken, die von den Schauspieler:innen bedient werden, befinden sich mehrere Modelle auf der Bühne.
Neben kleineren, an Dioramen erinnernde Papiermodellen, steht in der Mitte der Bühne ein Objekt, das produktionsintern „Klimatisch“ genannt wird und mit dem verschiedene Szenarien simuliert werden. Es ist ein Modell-Tisch: kompliziert verkabelt, mit verschiedenster Technik ausgestattet, mit Kameras, Monitor und Beamer, die sich über die Länge des Tisches fahren lassen, mit kleinen Modellfiguren bestückt und mit Wasser befüllbar. Eine kleine Bühne auf der Bühne, auf der Entwürfe durchgespielt werden. Auf faszinierende Weise werden dabei analoge Mechanik mit digitaler Software verbunden.
Dieser Tisch ist das Herzstück in der Verbindung von analogen Animationsplatten und digitaler Videotechnik.
Das Live Animation Cinema von POST PARADISE besteht aus einem besonderen Umgang mit Modellen, Entwürfen und Szenarien und das in einer Zeit, in der uns Forscher:innen und Wissenschaftler:innen anhand von Modellen und Szenarien vor einer zerstörerischen Zukunft warnen, dem Klimawandel. Die Klima-Modelle spielen ein Zukunftsszenario durch, das irgendwann in einer Gegenwart zur Aufführung kommen könnte.
Das Gute an diesen Modellen, in der Wissenschaft und bei POST PARADISE: Sie können auch immer der Inspiration dienen, die Zukunft zu ändern.
Die ganzen Szenarien sollen uns helfen, uns ein Bild von etwas zu machen, unser Denken anzuregen. Bei POST PARADISE werden die Modelle auf der Bühne ausagiert und ermöglichen so überhaupt erst ein Handeln. Sie sollen in dem Sinne Motivation sein, für Abweichung und Veränderung, für eine Weiterentwicklung und somit einen Eingriff in die Wirklichkeit. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und im Sinne der Wissenschaft dienen die Entwürfe, Szenarien, Pläne und Modelle sowohl der Warnung als auch der Hoffnung. Als Live Animation Cinema appellieren sie an die Zeit der Gegenwart als Zeit des Handelns. Es ist die Zeit zwischen einer Zukunft modellierenden Inszenierung und dem Moment, in dem ein Zukunftsmodell Wirklichkeit werden könnte.