Über Mut und Kompromisslosigkeit
Ursel Allenstein hat bereits mehrere Werke von Tove Ditlevsen ins Deutsche übersetzt. Auch „Die Kopenhagen-Trilogie“, die in einer Inszenierung von Anja Behrens am Theater Bremen nun Premiere feiert. Das Gespräch führte Dramaturgin Regula Schröter.
Tove Ditlevsens Kopenhagen-Trilogie wird ab September am Theater Bremen auf die Bühne gebracht. Die Wiederentdeckung der Autorin im deutschsprachigen Raum ist eng mit deinen Übersetzungen verbunden. Du bist gewissermaßen ihre Stimme geworden. Was fasziniert dich ganz persönlich an der Kopenhagen-Trilogie?
Ursel Alleinstein: Wie auf so wenigen Seiten und mit einer so großen poetischen und emotionalen Kraft ein halbes Leben erzählt werden kann – noch dazu eines voller persönlicher und historischer Umbrüche und Dramatik. Als Übersetzerin fasziniert mich auch, wie modern und unverstaubt Tove Ditlevsens Sprache bis heute wirkt, obwohl sie vor mehr als fünfzig Jahren über eine noch viel weiter zurückliegende Zeit schrieb. Außerdem: die Unmittelbarkeit der Bilder aus der von ihr so genannten „Seelenbibliothek“ ihrer Kindheit. Ihre psychologische Beobachtungsgabe und ihr Galgenhumor.
Und an der Autorin?
Ihr Mut und ihre Kompromisslosigkeit. Tove Ditlevsen war zwar schon zu Lebzeiten eine berühmte und vielgelesene Schriftstellerin, litt aber unter der mangelnden Anerkennung der Literaturkritik, die ihre Modernität oft verkannte und ihre „Frauenthemen“ für banal und naiv hielt. Wie sie trotzdem daran festhielt, mit einer erstaunlich radikalen Tabulosigkeit und Ehrlichkeit über sich selbst – und damit auch über weibliches Leben – zu schreiben, weshalb sie heute zurecht als Vorreiterin der autofiktionalen Literatur gilt. Das Schreiben hatte für Tove Ditlevsen eine lebensrettende Funktion, und diese Energie spürt man vor allem in ihrem Spätwerk, zu dem auch die Kopenhagen-Trilogie gehört: dass bei ihr immer alles auf dem Spiel steht.
Die Inszenierung der deutsch-dänischen Regisseurin Anja Behrens haben wir bereits vor der Sommerpause fertig geprobt. Du hast uns bei der Generalprobe besucht und konntest erste Eindrücke sammeln. Wie war es für dich, Ditlevsens Kopenhagen-Trilogie in unserer Fassung zu sehen – welche Gedanken oder Gefühle hat das in dir ausgelöst?
Theater ist für mich auch eine Form der Übersetzung, die sich auf eine so intensive Weise mit dem Text – und in Bremen auch mit dem Gesamtwerk und der Biografie der Autorin – beschäftigt, wie man es sonst nur selten erlebt, was schon an sich sehr beglückend für mich ist. Bei der Generalprobe hat mich beeindruckt, wie gut es in dieser Inszenierung gelungen ist, die Untrennbarkeit von Leben und Werk bei Tove Ditlevsen auf die Bühne zu übertragen, ohne dass es abstrakt oder statisch wirkt. Überhaupt: ihre Themen so dynamisch herauszuarbeiten! Dazu haben auch das Bühnenbild und die Musik beigetragen, deren unprätentiöse Klarheit für mich perfekt zu Tove Ditlevsens Sprache passen. Außerdem hatte ich das seltsame Gefühl, dass alles, was auf der Bühne passiert, auf besondere Weise in einen Dialog mit unserer Gegenwart und unserem eigenen Leben tritt, ich glaube, deshalb kommt mir die Inszenierung besonders lebendig und gegenwärtig vor. In Bremen habe ich „meine persönliche Tove“ sehr wiedererkannt, in allen Facetten ihres Schreibens und ihrer Persönlichkeit – nicht zuletzt dank der einfühlsamen schauspielerischen Leistung von Emma Floßmann, Lisa Guth und Irene Kleinschmidt.
In der Inszenierung verwenden wir Gedichte von Tove Ditlevsen, die bislang noch nicht auf Deutsch erschienen sind – und die du für uns vorab übersetzt hast. Wie unterscheidet sich für dich die Arbeit an ihrer Lyrik im Vergleich zur Prosa? Und wie hast du diesen Übersetzungsprozess persönlich erlebt?
Es ist ein ganz anderer Vorgang, bei dem alle Herausforderungen des (Prosa-)Übersetzens wie unter dem Brennglas verstärkt werden, weil jede noch so kleine Silbe ein riesiges Gewicht hat und ich mich gleichzeitig paradoxerweise noch viel stärker von den einzelnen Wörtern und Versen lösen muss, um eine möglichst genaue Entsprechung in Bild, Rhythmus und Form, manchmal auch Reimen, zu finden. Mitunter kann das sehr langwierig und sogar quälend für mich sein, und einem halbwegs zufriedenstellenden Ergebnis gehen etliche Versuche und Versionen und frustrierende Momente voraus. Umso schöner sind dann aber die euphorisierenden „Heureka-Momente“, wenn ich die Lösung finde. Oder wenn ich einfach nur das beruhigende Gefühl habe, allmählich fügt sich doch (mehr oder weniger) alles zusammen.
Wovon handeln die Gedichte, die wir in der Inszenierung verwenden? Gibt es eines darunter, das du besonders magst?
Selbst in den ganz frühen Gedichten, die Tove Ditlevsen in ihrer Jugend und mit Anfang zwanzig schrieb, geht es schon um existenzielle Themen, die ihr gesamtes Werk prägen sollten: Mutterschaft, Vergänglichkeit, den Verlust eines Kindes und auch den eigenen Tod. In den späteren Gedichten schwingt oft eine große Einsamkeit mit und eine ziemlich abgeklärte Haltung gegenüber dem eigenen Leben und Alltag, aber auch die ständige, melancholische Sehnsucht nach der eigenen Kindheit, auf die Tove Ditlevsen ständig zurückkam und die in ihrer Erinnerung immer lebendig blieb. In Blinkende Lichter wird dieses Thema besonders schön verarbeitet, und ich habe auch deshalb eine besondere Beziehung zu diesem Gedicht, weil es das erste war, das ich von Ditlevsen kennenlernte. Es ist auch eines ihrer berühmtesten, das in Dänemark Kultstatus hat.
Veröffentlicht am 1. September 2025.