Unangepasst auch in der Musik
Der freie Musikjournalist York Schaefer über die Theater Bremen CLUB-Reihe
Künstlerisch neue, unbekannte Wege zu beschreiten, kann auch mal etwas verstörend wirken und leichte Erschütterungen provozieren. So geschehen, als im Oktober 2017 die brasilianische Band Metá Metá das zweite Konzert der damals neuen CLUB-Reihe am Theater Bremen bestritt. Statt flockig tanzbarem Samba oder sanft dahinfließender Bossa Nova, wie von einigen Konzertbesuchern erwartet, arbeitete das Quintett aus Sao Paulo an einer Dekonstruktion brasilianischer Musik und agierte zwischen dynamischer Rock-Energie, Afrobeat und Free Jazz-Ausbrüchen. Manchen war das zu wild, sie verließen das ausverkaufte Haus.
Clubtauglicher Jazz
Nun geht es Gregor Runge, seit der Spielzeit 2012/2013 Dramaturg - und mittlerweile Künstlerischer Leiter - der Tanzsparte und Kurator der CLUB-Reihe, nicht um den kalkulierten Tabubruch oder die bewusste Provokation. Aber schon darum Impulse zu setzen und auch mal musikalische Erwartungshaltungen aufzubrechen. „Mein Anliegen ist es, die Bremer Livemusik-Szene, die historisch vor allem in Punk und Indierock verwurzelt ist, zu erweitern. Deshalb setzen wir auf Musiker, die sich zwischen verschiedenen Genres und Kulturen bewegen“, erklärt der 34-jährige Theatermacher. Was er damit meint, sind clubtauglicher Jazz wie jüngst von der britischen Saxophonistin Nubya Garcia, progressiver Soul und Hip Hop von Künstlern wie Akua Naru und Cities Aviv sowie globale, hybride Popentwürfe wie sie die Holländer der Mauskovic Dance Band oder die Palästinenser von 47 Soul favorisieren.
Musikalisch geschärftes Profil
Die Idee für die CLUB-Reihe entstand einige Zeit nachdem der ehemalige Schauspieldramaturg Tarun Kade das Theater Bremen 2015 verlassen hatte. Auch Kade hatte einige Jahre Konzerte im Theater veranstaltet und Musiker wie Dillon, Chilly Gonzales und Peter Licht in die Stadt geholt. Mit einem musikalisch geschärften Profil machen Gregor Runge und sein Team hier weiter. Nach einem Testballon bei der Jazzahead-Clubnight 2016 ging man ein Jahr später mit den Funkbands Trio Frenetiko und Diazpora aus Bremen und Hamburg zum ersten Mal ins Kleine Haus. „Es waren 400 Leute da, das war die Geburtsstunde der CLUB-Reihe“, erzählt Runge über den gelungenen Auftakt. Mit dem Andromeda Mega Express Orchestra ging es dann auch programmatisch in die vom Kurator angedachte Richtung sich stilistisch durchmischender Musikformen. Die 18-köpfige Großformation pendelt zwischen Jazz als Ausgangspunkt über freie Improvisation und Neue Musik bis hin zu Rock und Pop.
„Auch innerhalb der Sparten eines Theaters werden hybride künstlerische Formen ja immer wichtiger. Im Tanz zum Beispiel arbeiten wir fast immer mit Livebands auf der Bühne oder mit experimenteller elektronischer Musik“, erklärt Gregor Runge den interdisziplinären Ansatz. Und mit der Kafka-Band zum Beispiel in der Inszenierung von „Amerika“, werden diese Schnittstellen zwischen vermeintlich leichtem und eingängigem Pop auf der einen und seriösem Schauspiel auf der anderen Seite im Theater Bremen schon länger offen gelegt.
Stadttheater sollte divers und international sein
Auch an anderen Theaterhäusern in Deutschland gehören seit einigen Jahren Pop-Konzerte zum Repertoire: am Thalia und auf Kampnagel in Hamburg, im Hebbel am Ufer und der Volksbühne in Berlin, am Schauspielhaus Bochum. „Ein Stadttheater ist für mich ein Haus für Kunst und Kultur, das sich auch mal erlauben darf in Randgebiete vorzudringen, das divers und international sein sollte und so auch ein ganz anderes Publikum anspricht“, meint Kurator Runge, der mit der CLUB-Reihe nicht als Konkurrent zur Bremer Livemusik-Szene auftreten will. „Es geht darum, sich sinnvoll in eine inhaltliche Lücke im Konzertprogramm der Stadt hineinzubewegen“. So sind auch die längeren Tanznächte des SUPERCLUB mit renommierten elektronischen Acts Teil der Reihe.
Auch die Diskussion über Synergieeffekte oder über Konzerte als erweitertes Marketinginstrument, mit dem man Menschen auch für andere Produktionen eines Theaters abholt, ist für Runge nicht so entscheidend. „Entscheidender ist für mich, dass diese Menschen in genau dem Moment bei uns sind und das Haus als genau diesen Ort für Kunst, Kultur und Musik wahrnehmen“.
Die nächsten CLUBs
Die nächsten Konzerte in der CLUB-Reihe bestreiten Idris Ackamoor & The Pyramids am Samstag, 16. November sowie The Heliocentrics am Samstag, 07. Dezember.
Anfang der siebziger Jahre brachen der junge afroamerikanische Saxofonist Idris Ackamoor und eine Gruppe Gleichgesinnter aus dem Umfeld des Free Jazz-Pianisten Cecil Taylor zu einer „Cultural Odyssey“, einer Studienreise durch Afrika auf. Nach ihrer Rückkehr gründeten sie das Spiritual-Afro-Jazz-Kollektiv The Pyramids, mit dem sie in den Folgejahren drei Alben in der Tradition von Musikern wie Sun Ra und John Coltrane aufnahmen. Dreißig Jahre nach ihrer Auflösung 1977 tauchte in Japan ein Bootleg ihres bis dato letzten Albums auf und katapultierte die Musik der Pyramids wieder ins Rampenlicht. Es folgten Wiederveröffentlichungen, Tourneen und drei neue Alben. Ihre aktuelle Platte „An Angel Fell“ beweist, dass Idris Ackamoor & The Pyramids nichts von ihrer kosmischen Kraft zwischen afrikanischer Polyrhythmik, Free-Jazz-Eskapaden, Funk-Breaks und verspultem Space-Jazz eingebüßt haben.
Auf der langen Liste ihrer Kollaborationen stehen legendäre Namen wie Orlando Julius, Mulatu Astatke und DJ Shadow. The Heliocentrics aus London sind sicherlich eines der vielseitigsten Musiker-Kollektive der Gegenwart. Für ihr aktuelles Album „A world of masks“ hat sich die Instrumentalband mit der slowakischen Sängerin Barbara Patkova verstärkt. Die Musik der Heliocentrics ist ein unberechenbarer Bastard aus Jazz, Funk, Psychedelia und Krautrock, aufgenommen mit Vintage-Equipment im Studio „Quatermass Sound Lab“ im Londoner Stadtteil Hackney. „Wir streben einen analogen Sound an, der sich weder auf ein Genre noch auf eine bestimmte Ära reduzieren lässt“, sagte Drummer und Bandleader Malcolm Catto dem Magazin „Jazzthing“. „Wir wollen zeitlos klingen.“ Genau das richtige also für den CLUB am Theater Bremen!
Veröffentlichung: 05.11.2019