Und die Liebe höret nimmer auf?
„Kasimir und Karoline“ aus theologischer Perspektive: Pastorin Christine Kind ist Theologische Referentin in der Bremischen Evangelischen Kirche. Für ein Gespräch in der Reihe „Blickwechsel“, einer Kooperation von Theater Bremen und Kulturkirche St. Stephani, hat sie sich Gedanken über Horváths Stück und Alize Zandwijks Inszenierung gemacht.
Karoline ist mit Kasimir auf dem Oktoberfest. Die beiden sind verlobt. Und lieben sich. Karoline hat es sich nicht leicht gemacht, musste ihre Liebe ihren Eltern gegenüber verteidigen. Die hätten es besser gefunden, sie hätte einen Beamten gefunden und wäre versorgt. Doch die Liebe hält der Wirklichkeit nicht stand. Karoline ärgert sich über Kasimir: „Er hat mich gerade sehr gekränkt. Nämlich gestern ist er abgebaut worden und da hat er jetzt behauptet, ich würde mich von ihm trennen wollen, weil er abgebaut worden ist.“ Karoline hatte gedacht, dass sie bei ihm bleibt. Vielleicht, wie es in den Trauversprechen heißt:
In guten wie in schlechten Zeiten.
Doch dann kommt es genauso, wie Kasimir es vorausgesagt hat. Karoline bleibt nicht. Sie geht umher, trifft Männer, fährt Achterbahn. Sie wird schlecht behandelt von den Männern, die sie trifft. Und geht doch mit ihnen mit, die Männer haben die Beziehungen, die Drähte nach oben, um weiter zu kommen. Und die Macht. Ein bunter Theaterabend. Eine grelle Inszenierung. Ein beeindruckendes Bühnenbild. Französische, und deutsche Wortwechsel, englische Übertitel. Drei Paare gleichzeitig spielen Kasimir und Karoline. Sie zeigen die Vielschichtigkeit der Personen, aber eben auch, dass dies, was ihnen passiert, nicht nur ein persönliches Problem der beiden ist. Es hat auch zu tun mit den Umständen. Und es geschieht überall auf der Welt, immer wieder und betrifft viele.
„Man hat halt so eine Sehnsucht in sich.“
Sehnsucht. Ich bin wie du. Der musikalische Beginn. Marianne Rosenberg singt von Sehnsucht. Von Verschmelzung mit einem, einer anderen, von fließenden Übergängen wie Sand und Meer. Von Polen wie Tag und Nacht. Von Freiheit, einer besonderen Liebe, die nie endet. Sehnsucht. Danach geliebt zu werden – auch wenn man abgebaut wird, die Arbeit verliert. Sehnsucht danach, dass die Liebe stärker sein möge als die Umstände, als Geld und Beziehungen. Sehnsucht, dass die Liebe bleibt, und dass eine Frau noch stärker an ihrem Mann hängt, wenn es ihm schlecht geht. Das zumindest sagt und versucht vielleicht auch Karoline, aber es gelingt nicht.
Das Stück wurde von Ödön von Horváth mit einem Motto überschrieben. „Und die Liebe höret nimmer auf“.
Ein Satz aus der Bibel. Aus dem 1.Korintherbrief, Kapitel 13. Das Hohelied der Liebe ist es überschrieben, ein poetischer Text des Apostels Paulus. „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe höret nimmer auf.“ (1 Korinther 13, 4-8) Ein Text, der ganz häufig bei Hochzeiten gelesen wird. Und viele Paare suchen sich aus diesem Abschnitt ihren Trauspruch aus. Vielleicht haben auch sie, die Paare, so eine Sehnsucht in sich. Nach Liebe, nach zusammenhalten, auch wenn der Wind einem Paar rau um die Nase weht und die Umstände schlecht sind, danach, dass die Liebe bleibt.
Wir beide gegen den Rest der Welt.
Zusammen schaffen wir alles, egal was passiert. Und so verständlich das ist und so sehr ich diese Sehnsucht verstehen kann und manchmal auch in mir trage: Es geht in diesen Worten um mehr als zwei, um mehr als ein Paar. Es geht Paulus um die Gemeinschaft. Um Menschen, die gemeinsam Christinnen und Christen sein wollen, und zwar zunächst einmal ganz konkret in der antiken Hafenstadt Korinth am Peloponnes: einer Gemeinde zwischen zwei Häfen in einer pulsierenden Metropole, in der es Probleme gibt, weil Menschen unterschiedlich sind und bleiben: Da klafft die Schere zwischen arm und reich auseinander. Da gibt es Konkurrenzen und Ungerechtigkeiten. An diese Menschen wendet sich Paulus. Und in den Worten über die Liebe, da schreibt er nicht vor, sondern er beschreibt. Vorschreiben kann er in diesem Kapitel vielleicht gar nichts, denn Liebe lässt sich nicht machen.
Liebe lässt sich nicht machen, aber sie lässt sich „üben“.
„Liebe üben“ überhaupt ist ein schöner Ausdruck. Im Sinne von „ausüben“ – denn Liebe meint mehr als das warme Gefühl, mehr als ein klopfendes Herz und flatternde Schmetterlinge: Liebe zeigt sich und besteht im handfesten Tun, das den Anderen ins Recht setzt und eine Beziehung auf Augenhöhe ermöglicht. „Liebe üben“, das heißt auch, dass solches Handeln trainiert, „eingeübt“ werden kann und muss. Wer ein Instrument spielt, zum Beispiel, weiß, dass man ein Leben lang übt, auch als versierter Profi.
„Man hat halt so eine Sehnsucht in sich.“
Ja, gut, dass man so eine Sehnsucht in sich hat. Und gut, dass es Poesie gibt und Texte, aus der Bibel oder anderswoher. Denn sie öffnen den Horizont. Wecken Hoffnung. Hoffnung darauf, dass nicht alles so bleiben muss, wie es ist. Das Leben kann auch anders sein. Ohne einen solchen Ausblick, eine Sehnsucht, eine Idee, wie es anders sein kann, verändert sich auch nichts. Ohne die wenigstens leichte Hoffnung, dass es ja doch stimmen könnte: „Und die Liebe höret nimmer auf.“ Und Veränderungen brauchen wir. Genauso wie Menschen, die dafür etwas tun. Die Liebe üben. Und die so eine Sehnsucht in sich haben.
Veröffentlichung: 7.12.21