Unter der Oper liegt der Strand
Der freie Journalist Andreas Schnell über Schorsch Kamerun und seinen Weg zur Barockoper.
Als Schorsch Kamerun, Jahrgang 1963, in Timmendorfer Strand aufwuchs, war der Globus noch in Ost und West aufgeteilt, die Supermächte hatten genug Waffen angehäuft, um die Menschheit auszulöschen, während die Hippies und die globalen Revolten von 1968 den alten Muff aufgewirbelt hatten. Als die Sex Pistols auf der Szene erschienen und in dem Song God Save The Queen verkündeten: „There is no future in England‘s dreaming“, war das auch für Kamerun ein Fanal. Dessen Bedeutung er damals allerdings noch gar nicht erfassen konnte, sagt er heute.
„Ich war mit Leib und Seele Punk und wollte die beklemmenden Autoritäten nerven.“
„Wir sind damals am Timmendorfer Strand herumgelaufen und haben ‚Anarchy‘ gebrüllt, ohne zu wissen, was das umfänglich bedeutet. Aber wir haben in der Stimme von John Lydon (Sänger der Sex Pistols) verstanden, dass es möglich ist subversiv sehr wirkungsvoll zu irritieren“, erzählt der Musiker im Gespräch am Rande der Proben zu King Arthur. Wenn Schorsch Kamerun im Jahr 2021 in Bremen nun eine Barockoper inszeniert, scheint das auf den ersten Blick nur wenig mit jenem fröhlich-nihilistischen Impuls zu tun zu haben. Eine Art roter Faden lässt sich aber bei einem genaueren Blick auf Kameruns künstlerische Biografie doch entdecken. In den 80er Jahren gründete er mit Gleichgesinnten in Hamburg die Goldenen Zitronen, sang formal recht schlichte Songs wie Am Tag als Thomas Anders starb und Für immer Punk. Als dann in Deutschland Asylbewerberheime brannten, ging es so nicht weiter. Die Zitronen veröffentlichten das Album Punkrock mit dem Song 80 Millionen Hooligans.
Wenn sie je „Fun-Punk“ gewesen waren, hatten sie ihn nun endgültig überwunden. Und Punkrock als Form gleich mit.
Waren die „Hooligans“ noch eine rumpelige HipHop-Anverwandlung, verleibten sich die Zitronen in den kommenden Jahren spröden Jazz, Elektronik, No Wave und etliches mehr ein, entwickelten neben ihrer Musik auch ihre Inszenierung als Band weiter. 2000 war dann das Jahr, in dem Schorsch Kamerun ans Theater kam. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg inszenierte er Hubert Fichtes Die Palette, mit dabei unter anderem Jens Rachut, Sänger legendärer Hamburger Punk-Bands wie Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut und Oma Hans. Weitere Inszenierungen folgten. Im Juli 2009 inszenierte er Leonard Bernsteins Oper Trouble In Tahiti an der Bayrischen Staatsoper.
Der Weg zum Musiktheater führte für Kamerun eher über Hanns Eisler, Kurt Weill und Bertolt Brecht als über Mozart, Puccini oder Verdi.
Was einerseits auch Einfluss auf die Arbeit mit der Band hatte, die Arbeit mit Gästen, Kostüme, die Erweiterung des Vokabulars, Einflüsse aus Minimal Music und Neuer Musik. Zur Seite des Theaters hin mit der Zeit aber auch die Beschäftigung mit klassischer Musik mit sich brachte – bis hin zu Bach. Oder eben Purcell. So etwas wie Werktreue spielt da allerdings wenig überraschend keine Rolle: Formen zu sprengen, zu collagieren, eigene Lieder einzuarbeiten, das muss schon drin sein. „Ich glaube, mich kann man nur an die Oper holen, wenn man etwas Spezielles vorhat“, sagt Kamerun. „Mich müssen die Themen interessieren, und da ist King Arthur natürlich cool.“ Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft, das Schüren von Angst, Populismus – das sind Dinge, die Kamerun schon länger beschäftigen.
„Die Themen haben sich gar nicht so sehr geändert, aber in der Form ist es natürlich anders, gebrochener.“
Nicht zuletzt ist es wohl genau dieses Bestehen auf gesellschaftlichen Fragen, für die es immer wieder neue Formen zu finden gilt, das eine Konstante in Schorsch Kameruns künstlerischen Aktivitäten bildet. Und dass das auf sehr interessante Weise nerven kann wie ein Song der Goldenen Zitronen, hat dann schon noch was mit Punk zu tun.