Wie sich Unusual Symptoms quer durch Europa tanzen
Zwischen Serbien und Spanien, von der Tanzplattform zum Tanzland-Programm: Die Unusual Symptoms, die Kompanie des Theater Bremen, hat seit ein paar Jahren viel Erfolg. Pressesprecherin Diana König hat Gregor Runge getroffen, der die Tanzsparte co-leitet.
Ihr seid mit eurer Produktion Harmonia, bei der Adrienn Hód die Choreografie gemacht hat, zur Tanzplattform nach Freiburg eingeladen. Das ist eine besondere Ehre, also erstmal: herzlichen Glückwunsch!
Gregor Runge: Ja, danke, das freut uns natürlich sehr. Das Theater Bremen war 2016 mit Gintersdorfer/Klaßen eingeladen, 2020 dann mit Coexist, auch da war Adrienn Hód die Choreografin, und der Koproduktion mit La Macana und Samir Akika Pink Unicorns. Dass wir nun wieder mit einer Arbeit vertreten sind, ist toll. Die Jury der Tanzplattform wählt aus 500-600 Sichtungen die zehn bis zwölf bemerkenswertesten Arbeiten Deutschlands aus, die werden dann alle zwei Jahre von der Plattform präsentiert. Deswegen freuen wir uns über die Auszeichnung und über das Signal, dass unsere Arbeit bundesweit als künstlerisch relevant wahrgenommen wird. Und wir freuen uns auch, dass die Arbeit dann dort von einem internationalen Publikum gesehen wird.
Ich denke, eine Einladung zur Tanzplattform erhöht die Wahrscheinlichkeit für Gastspiele?
Gregor Runge: Es ist schon oft so, dass die Arbeiten, die bei der Tanzplattform zu sehen waren, verstärkt auf Festivals und in Tanzhäuser in Europa und darüber hinaus eingeladen werden, denn die Tanzplattform wird von viele Kurator:innen besucht. Bei Coexist ist das leider nur vereinzelt passiert, weil das Touring unmittelbar nach der Tanzplattform 2020 aufgrund des Lockdowns vollständig zum Erliegen kam. Interessanterweise haben wir jetzt im November ein Gastspiel in Serbien, das noch aus der Präsentation bei der Tanzplattform resultiert. Was man aber auf jeden Fall sagen kann, ist dass die Sichtbarkeit unserer Arbeit hier in Bremen großes Interesse von Kolleg:innen nach sich gezogen hat, auch mit Blick auf unsere anderen Stücke. Man kann schon festhalten, dass die Arbeit, die am Theater Bremen entsteht, im internationalen Tanzsektor zunehmend wahrgenommen wird.
Die Einladung von Harmonia zur Tanzplattform war nicht die erste, die diese Produktion bekommen hat, oder?
Gregor Runge: Wir haben die Arbeit letztes Jahr auch auf dem Tanzkongress am Staatstheater Mainz gezeigt und wir waren damit bei der internationalen tanzmesse nrw. Das und die Tanzplattform sind zusammen neben den Festivals eigentlich die drei großen Plattformen für den Tanz in Deutschland. Mit Harmonia waren wir aber auch schon zu Gastspielen in Heidelberg, Potsdam, München und reisen im nächsten Jahr unter anderem nach Hamburg und Barcelona. An der Produktion wächst allgemein das Interesse. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Tänzer:innen mit und ohne Behinderung begegnen, die Radikalität, Zärtlichkeit und Selbstironie, und in welcher Konsequenz Adrienn Hód das zusammengeführt hat, darin steckt große Qualität.
Was denkst du, woran liegt es, dass ihr jetzt mehr tourt als früher?
Gregor Runge: Einerseits hat es natürlich damit zu tun, dass wir sehr viel in den Aufbau und die Pflege der Netzwerke investieren, die es braucht, um eine Touring-Tätigkeit aufzubauen. In Deutschland ist es übrigens gar nicht so üblich, dass die Tanzkompanien der Stadt- oder Staatstheater intensiv touren. Auch wenn es in den letzten Jahren immer mehr Kompanien gibt, die das versuchen und auch schaffen, wie zum Beispiel tanzmainz, die 2020 ebenfalls auf der Tanzplattform zu sehen waren. Es gibt langsam einen Paradigmenwechsel in der Tanzszene, der auch damit zu tun hat, dass mittlerweile einige Kompanien an den Stadt- und Staatstheatern in einem künstlerischen Modell arbeiten, in dem ein Ensemble im Zentrum steht, das mit einer Vielzahl unterschiedlicher Choreograf:innen produziert, die bereits über bestehende Netzwerke verfügen, was der internationalen Sichtbarkeit der Produktionen hilft.
Ihr seid auch Teil des Tanzland-Programms der Kulturstiftung des Bundes, das versucht, Stadt- und Staatstheater mit kleinen und mittleren Städten zu verbinden und so den Tanz auch außerhalb der Großstädte präsenter werden zu lassen. Die Unusual Symptoms arbeiten mit Potsdam und Templin zusammen. Wie sieht das aus?
Gregor Runge: Das sieht so aus, dass wir innerhalb von drei Jahren jeweils einmal pro Jahr mit einem Stück in diesen beiden Häusern gastieren, flankiert von einem Vermittlungsprogramm, das bestehen kann aus Gesprächen oder Workshops und zusätzlichen Projekten – mit dem Ziel auch jenseits der Metropolen möglichst vielseitige künstlerische Handschriften des Tanzes zu präsentieren und lebendig werden zu lassen.
Einmal ward ihr schon da, was habt ihr da gezeigt:
Gregor Runge: Wir waren mit Harmonia in Potsdam und mit (Little) Mr. Sunshine in Templin. Und das war total interessant. Die fabrik Potsdam ist seit Jahrzehnten ein etabliertes Zentrum für den internationalen zeitgenössischen Tanz. Wohingegen wir in Templin die erste große Tanzkompanie waren, die dort etwas gezeigt hat. Und da trifft man dann auf ganz andere Herausforderungen, denn man muss dort ein Publikum entwickeln für eine Kunstform, die bisher nicht präsent war. Da muss man schon vieles bedenken: mit welchen Stücken man hinfährt, wen man vor Ort anspricht, wie man Menschen mit der eigenen Begeisterung ansteckt. Um den Tanz als Kunstform gesellschaftlich breiter zu verankern, kann man es sich nicht leisten, nur in großen Städten aufzutauchen. Deswegen ist es toll, dass es dieses Programm gibt. Für uns ist das gut, wir können in einer Stadt wie Templin innerhalb dieser drei Jahre den Tanz in einer ganz großen Bandbreite vorstellen. In dieser Spielzeit, im Juni, fahren wir mit Harmonia hin.
Wie wirkt sich die Reisetätigkeit auf eure Arbeit hier aus?
Gregor Runge: Man bekommt darüber mit, wie Arbeiten, die wir hier produzieren, an unterschiedlichsten Orten und von einem anderen Publikum wahrgenommen werden und das ist natürlich grundsätzlich interessant. Es hat einen sehr bestärkenden Effekt darin, den Weg, den wir eingeschlagen haben, weiter zu verfolgen. Zu bemerken, dass bestimmte Themen weit über die Stadt hinaus Relevanz haben, dass sich bestimmte Handschriften durchsetzen. Der gesteigerte Bekanntheitsgrad der Kompanie hilft natürlich auch sehr dabei, spannende Künstler:innen oder Tänzer:innen nach Bremen zu holen … Und ein Stückweit geht es auch darum, Bremens wahnsinnig wichtige und große Tanzgeschichte fortzuschreiben.
Veröffentlicht im November 2023.