Vergessen sie es! #2 Regisseur Frank Hilbrich

Brigitte Heusinger, die leitende Dramaturgin des Musiktheaters, denkt über die Stadt nach, in der sie aufgewachsen ist: Bremen. Und manchmal trifft sie auch Bremer*innen. Dieses Mal Frank Hilbrich, den Regisseur von Der Rosenkavalier.

Ja, Sie wissen es schon, wenn Sie Kolumne 1 gelesen haben. Oder auch nicht. Denn, wenn Sie die Kolumne zu Ende gelesen haben sollten, haben Sie sie ja mir zuliebe vergessen. Also zur Auffrischung: Ich tue mich mit dem Schreiben dieser Kolumne schwer. Über ein paar Gründe dafür habe ich Ihnen schon das letzte Mal berichtet, aber ein weiterer war: Der Start war schwierig.
Dabei hatte die Redaktionskonferenz, der ich diese ungeliebte Kolumne verdanke, eigentlich eine ganz gute, wenn auch ziemlich banale, weil naheliegende Idee: Der erste Gesprächspartner sollte Frank Hilbrich sein. Er erfüllt das Kriterium in Bremen geboren und aufgewachsen zu sein. Und unlängst kam der inzwischen überregional arbeitende Regisseur zurück, um in Bremen die Neuinszenierung von Der Rosenkavalier zu machen. Das war doch die Gelegenheit, nebenbei ein bisschen indirekte Werbung für die Strauss-Oper zu machen und ganz subkutan, völlig undurchschaubar, unsere Ideen in die Köpfe der Leser*innen zu implantieren.

Jetzt über Bremen zu reden und wie man sich als Bremer so fühlt, das war wirklich eine Pflichtanstrengung

Also trafen wir uns noch vor den Theaterferien, draußen vorm noon in der Sonne zum Interview. (Lang, lang ist es her!) Wir beide waren ziemlich durch, denn eine Spielzeit lag hinter und ein zu inszenierendes Mammutwerk vor uns. Vieles ging uns durch den Kopf, vieles war zu besprechen, aber jetzt über Bremen zu reden und wie man sich als Bremer*in so fühlt, das war wirklich eine Pflichtanstrengung. Was man auch überdeutlich an meiner geschraubten, gekünstelt wirkenden Eingangsfrage merkte, die sich wirklich krampfhaft bemühte, den Bogen von Bremen zum Rosenkavalier zu schlagen. Sie lautete: „Der Rosenkavalier spielt in Wien zurzeit von Maria Theresia und atmet katholischen, barocken Geist. Die Initiative von Yoel Gamzou, eine konzentrierte, gestraffte Version zu spielen, kam dir, Frank, entgegen. Zeugt das von einer protestantischen Herangehensweise? Passen wir uns einem nordischen Zeitgefühl an, indem wir so kürzen, dass der Abend unter vier statt fünf Stunden lang ist?“ Ich erspare Ihnen die Antwort von Frank Hilbrich, den ich eigentlich wegen seiner geschliffenen Formulierungen überaus schätze, denn sie fällt ähnlich – nennen wir es mal höflich – elaboriert aus.

Es war der Wurm drin

Es hat auch nichts geholfen, dass ich mich tagelang hingesetzt, gefeilt, erfunden, verbessert, mich beim Betriebsausflug heimlich auf einer Parkbank mit Computer auf dem Schoß versteckt habe, während die anderen Boot fuhren, Minigolf spielten und Kaffee tranken. Es war der Wurm drin. Die Kolleg*innen haben monatelang höflich bis zunehmend energisch nachgefragt, wo sie denn bliebe, die Kolumne, und ich habe immer gehofft, dass sie in Vergessenheit gerät. Und jetzt lang nachdem unser Content Magazin online gegangen ist, habe ich mir zwangsweise das Material noch mal angeschaut. Abgesehen davon, dass jetzt alles „Schnee von gestern“ ist, ist immer noch nicht wirklich was damit anzufangen. Daher muss ich Sie leider um Verständnis bitten, mit Schnipseln zu leben.

Schnipsel 1

Frank Hilbrich: Bei aller Direktheit, die die Bremerinnen und Bremer haben und die ich ja sehr liebe, gibt es hier auch eine ausgeprägte Art, über Dinge zu schweigen. Das in Bremen typische: „Ich sach‘ da nichts zu“ ist ja letztlich nur auf den ersten Blick tolerant. Auf den zweiten wird dadurch deutliches Missfallen ausgedrückt und höflich Distanz genommen. Das funktioniert für das Zusammenleben in der Gesellschaft hier offenbar ganz gut. Ich persönlich habe mich aber immer schon mehr dafür interessiert, dass die Dinge ausgesprochen und Konflikte ausgetragen werden. Vielleicht war deswegen das Theater für mich so anziehend.

Schnipsel 2:

Frank Hilbrich: Die Gegensätze zwischen Arm und Reich sind auch in Bremen gewachsen, wie in den meisten deutschen Großstädten. Und wie überall thematisiert man das nicht gern. Dennoch war auch ich jetzt wieder begeistert davon, wieviel Schönheit es gibt, wieviel Kunstsinn und Aufgeschlossenheit. Krasse Gegensätze.

Brigitte Heusinger: Der Geschmackssinn wird hier deutlich weniger beleidigt als andernorts.

Frank Hilbrich: Als wir Kinder waren, war Bremen durchaus noch eine Arbeiterstadt. Da gab es die AG Weser, den Hafen. Ich habe noch bei Kellog‘s gejobbt.

Brigitte Heusinger: Ich auch, am Band, ich habe Müsli verpackt.

Frank Hilbrich: Die Stadt ist seitdem vermutlich sauberer und schöner geworden, auch ruhiger. Aber manchmal bin ich nicht sicher, ob es nicht zu ruhig geworden ist. Wenn ich zum Beispiel mitbekomme, wie verzagt über neue Gebäude am Brill diskutiert wird, denke ich, es geht den Bremer*inen wie den Figuren im Rosenkavalier: Man hat Angst vor dem Voranschreiten der Zeit, vor der Veränderung. Man ruht sich lieber auf dem Mut der Vergangenheit aus. Nicht einzuschlafen, das wäre mein Wunsch für Bremen.

Durchaus ein bisschen böse

So, da war er dann doch noch, der Bogen vom Rosenkavalier zu Bremen und durchaus ein bisschen böse – aber direkte Worte halten Sie als Bremer*in ja gut aus. Wenn nicht, machen Sie es wie beim letzten Mal. Denn, wenn Sie Kolumne Nummer 1 gelesen haben, wissen Sie, worum ich Sie bitte. Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden, wenn wir wieder so verfahren könnten.