Vergessen Sie es! #6 Literaturwissenschaftlerin und Opernliebhaberin Barbara Vinken
Brigitte Heusinger, die leitende Dramaturgin des Musiktheaters, denkt über die Stadt nach, in der sie aufgewachsen ist: Bremen. Und über die Menschen, die dieser Stadt verbunden sind. Dieses Mal trifft sie Barbara Vinken.
Die Kolumne Vergessen Sie es hat fast zwei Jahre geruht. Es war schwer, Menschen zu treffen. Und es war schwer, einen Stil aufrecht zu erhalten, der vorwiegend ironisch war. So manches passte einfach nicht mehr. Ausgangspunkt meiner vernachlässigten und schon damals unregelmäßig geführten Unterhaltungen war die Heimatstadt Bremen. Meine jetzige Gesprächspartnerin ist nicht gerade eine Expertin zu diesem Thema. Zwar war sie als gebürtige Hannoveranerin nah dran, aber sie ist, wie sie sagt, schon lange weg. Seit 2004 jedenfalls ist sie Professorin für Französische und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Man kennt Barbara Vinken aus der 3Sat-Talkrunde Buchzeit und kann regelmäßig in Zeitungen wie der Süddeutschen Zeitung, der Zeit, der NZZ oder in Harper´s Bazaar von ihr lesen. Und sie schreibt Bücher über Literatur, Mode oder brisante Themen wie die überaus nötige Revision des deutschen Mutterbildes. Jetzt gerade plant sie, sich publizistisch Musiktheaterthemen zu widmen. Doch Musiktheater ist ihr Wort nicht, sie spricht von Oper.
„Musiktheater klingt nach Verstandeskontrolle. Oper hingegen hat etwas Überwältigendes, ist hinreißend, ist sinnlich.“
Gerade ist Barbara Vinken in einer Hauptstadt des Operngesangs, in Wien, „wo der Flieder wieder blüht“. Wir telefonieren also und stellen ihn dann doch fest, den Bremenbezug. Regelmäßig freitagnachmittags war Barbara Vinken mit ihrer Kolumne Stilfältig bei Bremen Zwei zu hören mit einem Thema, für das sie wie keine andere deutsche Wissenschaftlerin steht: der Mode. Trotzdem bleibt unser Austausch zu Bremen naturgemäß kurz: „Die Kombination Mode und Bremen ist nicht gerade kongenial.“ Und dann sagt sie noch:
„Man muss auch in der Wüste predigen“.
Das lasse ich jetzt einfach mal so stehen. Der Anlass unserer Unterhaltung ist ja sowieso ein anderer. Schließlich wird Barbara Vinken demnächst live im Theater zur Erotik der Oper sprechen. Ich greife dem Vortrag schon mal vor: „Frau Vinken, was ist erotisch an der Oper?“ „Die Oper zieht ihre Erotik daraus, dass die Stimmen nicht mit dem Geschlecht der dargestellten Figuren in Deckung gebracht werden müssen. Männer, Kastraten, hatten hohe Stimmen, spielten Frauen, Frauen singen in Hosenrollen Männer. Es ist ein Spiel der Geschlechter, es ist das Changieren zwischen den Geschlechtern, das Flirrende, das Unbestimmte, das Undefinierte, das Zweifeln, das Schmunzeln, das den spezifischen, erotischen Reiz der Oper hervorzaubert.“
Die Mode spielt mit Crossdressing, mit Travestie, und die Oper tut es auch.
Octavian aus Richard Strauss´ Rosenkavalier und Cherubino aus Wolfgang Amadeus Mozarts Die Hochzeit des Figaro sind vielleicht die Figuren, die am offensichtlichsten für den Geschlechter- und Stimmenclash stehen. Auf letzteren möchte sie sich in ihrem Vortrag fokussieren, diesem Irrlicht, das ein Knabe ist, der von einer Frau (einem Mezzosopran) gesungen wird und im Verlauf der Oper als Mädchen verkleidet wird. Also eine zweifache Geschlechter-Volte. Und nicht nur das. Barbara Vinken: „Und was ich auch noch interessant finde, ist, dass das heterosexuelle hierarchische Begehren, verkörpert im Grafen, der seiner jungen Zofe und sowieso allem, was Röcke träge, nachstellt und dem Recht der ersten Nacht nachtrauert, ausgehebelt wird.“ Wie der Igel vor dem Hasen ist auch Cherubino immer schon da, wo der Chef vom Ganzen sein will.
Hier werden Geschlechtsrollen und die Hierarchie der Geschlechter, die die bürgerlich-patriarchalische Ehe bestimmt, ausgehebelt.
Jetzt sind wir schon mitten im Vortragsthema drin und bevor wir zu viel verraten, kommen wir auf ein anderes Opernthema, mit dem sich Barbara Vinken gerade beschäftigt: „Oper und Opfer“. Meine spontane Reaktion: Müsste es nicht eigentlich – grammatikalisch höllisch falsch und doch eben irgendwie richtig – Oper und Opfer:in lauten? Denn es ist ja die dekorative weibliche Leiche, die so manches Musiktheaterwerk ziert, sei es als „femme fragile“, die wie Traviata an Lungenentzündung sterben oder als „fatale“ Frau wie Salome, die ihr eigenes Morden nur knapp überleben wird. Das sieht Barbara Vinken auch so. Aber sie möchte sich der unisono verkündeten Rezeption dieser schwindenden Wesen entgegenstellen. Sie möchte das „weibliche Opfer umkodieren“ und die sterbenden Frauen in ihrer strahlenden Glorie, in ihrem heroischen Liebesopfer aufleuchten lassen.
Das „erlösende Opfer“ der Opernfrauen sei keine Niederlage, sondern ein weibliches Privileg, ein selbstbestimmter Akt.
„Verdis Traviata ist doch eine unglaubliche Figur, die in ihrer alles überstrahlenden Liebesfähigkeit den Eigennutz des Patriarchats vorführt. Alle bürgerlichen Ehrvorstellungen stellt sie in den Schatten.“ Ja, die Hingabe zum Tode als Befreiungsakt, da ist was dran, denke ich, aber man könnte auch dagegen halten. Vielleicht ist das ja noch mal einen Vortrag in Bremen wert. Vielleicht lassen sich Barbaras Vinkens Opernfrauen erlösende Thesen ja auch demnächst in einer Publikation nachlesen. Wir werden es sehen.
Veröffentlichung: 18.5.22