Vom Gewehr an der Wand

Wir bringen „Eileen“ von Ottessa Moshfegh auf die Bühne. Thriller kommen häufiger ins Kino als in den Theatersaal, deswegen haben wir taz-Kinokritiker Wilfried Hippen gebeten, für uns doch mal „Eileen“ zu lesen und über Romanadaptionen nachzudenken. Ein Text von Wilfried Hippen.

Zwei Ziegen stehen auf einer Weide. Einer hängt ein Streifen Zelluloid aus dem Maul. „Wie war er denn?“, fragt die andere. Und sie antwortet: „Das Buch war besser“. Diesen Witz erzählte Alfred Hitchcock Francois Truffaut bei deren berühmtem Marathoninterview in den 1960er Jahren, und das Problem der Filmadaptionen hat sich seitdem nicht verändert.

Bei gelungenen Verfilmungen haben sich Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen immer souverän von der Vorlage befreien können und eine eigene Vision des Stoffes entwickelt.

Das konnte so extrem sein wie bei To Have and To Have Not von Howard Hawks, bei dem außer dem Titel und den Namen einiger Protagonisten kaum etwas von Ernest Hemingways Roman übrig blieb. Und auch ein für seine Werktreue bekannter Regisseur wie Volker Schlöndorff hat bei seinem größten Erfolg Die Blechtrommel den Roman von Günther Grass um mehr als ein Drittel gekürzt.

Bei der Filmadaption von Eileen, deren Dreharbeiten in New Jersey im Januar 2022 unter der Regie von William Oldroyd  mit Anne Hathaway, Shea Whigham sowie Thomasin McKensie in den Hauptrollen stattfanden, muss auch viel am Drehbuch gebastelt worden sein, denn im Roman wird radikal subjektiv aus der Perspektive der Titelheldin erzählt.

Es ist ein literarischer Triumph, bei dem ihre Worte einen ganz eigenen, grotesken Erzählkosmos heraufbeschwören.

Nun kann man aber im Theater viel besser mit der Kraft von Worten arbeiten als beim Film, denn im Kino sollte möglichst wenig geredet und viel gezeigt werden. Und es sollte auch etwas  passieren, doch Ottessa Moshfegh verzögert in ihrem Roman extrem lange die Handlung. Als alte Frau erzählt die Titelheldin von ihren letzten Tagen als junge Frau in ihrem Heimatort an der Ostküste der USA, den sie verächtlich X-Ville nennt. Und sie beschreibt dabei ausführlichst, wie schlimm ihr Leben vor fünfzig Jahren war. Wie hässlich, ignorant und unglücklich sie selber war, wie langweilig ihre Arbeit, wie heruntergekommen ihr Haus, in dem sie mit ihrem stumpfen, alkoholsüchtigen Vater lebte.

Dieses masochistische Suhlen im eigenen Unglück nimmt den größten Teil des über 300 Seiten langen Romans ein.

Die Protagonistin verspricht zwar immer wieder von ihren „letzten Tagen als die kleine, zornige Eileen“ zu erzählen, doch sie schweift dann immer wieder in lange Schilderungen ihres damaligen öden Lebens ab. Von ihren Worten kann man sich dabei auch auf einer Bühne mitreißen lassen, doch im Kino ist solch eine Suada, deren Weltekel und Sprachgewalt an Thomas Bernhard erinnert, nicht abendfüllend. Dabei erzählt sie durchaus filmisch, ja sie gibt sogar Hinweise darauf, wie ihre Geschichte als Film aussehen könnte. Von einer Situation schreibt sie etwa, sie wäre „wie ein Film, der in Zeitlupe abläuft.“ Eine andere nennt sie „der reine Slapstick“.

Ottessa Moshfegh eine Meisterin darin, Spannung aufzubauen.

Allerdings liest man bei ihr nicht darum gespannt weiter, weil man wissen will, was mit der (Anti)Heldin passiert, sondern man wartet stattdessen gespannt darauf, dass endlich überhaupt etwas geschieht. Moshfegh arbeitet zwar mit den Mitteln des Kriminalromans in der Tradition des Roman Noir, enttäuscht dabei aber ständig die so geweckten Erwartungen und dekonstruiert dessen Konventionen. Die Rückblende ist zum Beispiel in diesem Genre ein gerne genutztes dramaturgisches Instrument, mit dem auch im Kino des Film Noir Spannung aufgebaut werden kann. Der Erzähler (immer sind es Männer) ist dabei meist in einer Klemme: kurz davor gefasst oder getötet zu werden. Manchmal, wie etwa in Billy Wilders Sunset Boulevard, berichtet er sogar als Toter. Doch die Erzählerin in Eileen beschreibt sich selber als ältere Dame, die nach den Vorkommnissen in X-Ville zu einem „gelassenen, sogar friedfertigen Mensch“ wurde. Daraus lässt sich nur schwer ein Spannungsbogen basteln.

Ottessa Moshfegh folgt auch der Dramaturgie-Regel von Anton Tschechow, nach der ein Gewehr, das im ersten Akt an der Wand hängt, im letzten Akt losgehen muss.

Aber auch hier unterminiert sie selber die dramatische Wirkung, indem sie ihre Erzählerin selber auf diesen Theatertrick hinweisen lässt: „Ich erzähle das nur, um den Revolver ins Spiel zu bringen.“ Im Buch ist dies eine schöne Finte, im Film dürfte sie kaum funktionieren. Außerdem ist Eileen eine unzuverlässige Erzählerin. Nicht im herkömmlichen Sinne, sondern weil sie nur aus ihrer Perspektive erzählt und am dramaturgischen Höhepunkt X-Ville und somit auch die Geschichte verlässt. So endet der Roman im Ungefähren und ohne eine konventionelle Auflösung der Kriminalgeschichte. Auch hier gelingt es Moshfegh, die gängigen Genremuster auf den Kopf zu stellen und scheinbar aus dem Nichts Spannung zu erzeugen. Man darf gespannt darauf sein, ob auch im Film so originell und vielschichtig erzählt werden wird.

 

 

Veröffentlichung: 19.1.22