Von der Klebeblockade bis zur Ungehorsamen Versammlung

Dramaturgin Theresa Schlesinger im Gespräch mit Jula Eichhorn von der Letzten Generation über ungehorsamen Protest und Antigones Trauer (um die Zukunft).

Theresa Schlesinger: Ich steige einfach direkt ein in das Thema unserer Protagonistin Antigone: Trauer. Und die verlorene Zukunft. Antigone trauert ganz offensichtlich um ihren verstorbenen Bruder Polyneikes, der durch Dekret des Herrschers Kreon kein Begräbnis erhalten darf. Aber diese sehr spezifische Trauer vermischt sich auch mit der Trauer um eine verlorene Zukunft und eine Rebellion gegen bestehende Strukturen. Das verbindet sie auf eine Art mit uns in der Gegenwart und auch mit euch Aktivist:innen der Letzten Generation. Sowohl die Trauer als Protestbewegung, in der um Sichtbarkeit von Verlorenem gekämpft wird, als auch der Protest an sich. Siehst du hier eine Anbindung an eure aktivistische Arbeit mit der Letzten Generation?

Jula Eichhorn: Ich finde das ganz interessant, weil ich glaube, dass die Frage nach der Trauer einen sehr zentralen Punkt des Aktivismus trifft: die Frage nach dem grundlegenden Antrieb. Und gerade beim Klimaaktivismus würde ich sagen, ist das eigentlich erstmal die Überzeugung, dass wir noch etwas tun können, damit ganz viel eben nicht verloren geht. Wenn wir uns beispielsweise den letzten IPCC-Bericht anschauen, können wir da eine klare Aussage erkennen, die von den Wissenschaftler:innen hervorgehoben wird. Die positive Nachricht ist, wir können wirklich noch etwas reißen. Das steht dann eben in einer Balance mit der Frage danach, was passiert, wenn wir untätig bleiben, die die Aktivist:innen immer wieder nach vorne setzen. Es geht um unsere Zukunft und das können wir auch nicht leugnen. Die Klimakrise ist auch jetzt schon präsent und sorgt schon für Leid. Wofür wir uns einsetzen, ist, Spielräume zu erhalten und Leid zu begrenzen. Aber ich würde mir nicht anmaßen zu sagen, an welchem Punkt wir die Zukunft verloren haben.

Zu Beginn des Stücks sagt Antigones Schwester Ismene, sie könne ihr nicht helfen, sie habe keine Macht. Dieses Gefühl kenne ich auch aus der heutigen Zeit. Denkst du, dass die aktivistische Arbeit dir geholfen hat gegen eine solche Ohnmacht an zu gehen oder hast du eine Idee, wie man diesem Gefühl der Machtlosigkeit entkommen kann? 

Was das Gefühl von Machtlosigkeit auflösen kann, das ist ja eigentlich die Ermächtigung. Und diese Ermächtigung kommt für mich ganz unmittelbar durch das Handeln und das kann ganz verschiedene Formen haben. Was ich jeder Person gern mitgeben würde, wäre als ersten Schritt immer das Gespräch zu suchen. Das heißt mit den eigenen Gedanken nicht allein zu bleiben und auch von der Annahme wegzukommen, dass andere Menschen nicht dieselben Gedanken und Gefühle hätten. Ich glaube, es steckt ganz viel Kraft darin, wenn wir uns zusammentun. Hier werden schon Veränderungen in Gang gesetzt. Oft ist das ja nicht vorhersehbar, welche Gedanken man anstößt bei anderen. Ich frage mich auch, ob das dann nicht schon Aktivismus ist. Der Begriff ist ja sehr hoch gesteckt, so dass viele vielleicht denken, das wäre nichts für sie. Schön wäre aber ja, wenn wir das viel niedrigschwelliger ansetzen. Ein weiterer Faktor, der das Gefühl von Machtlosigkeit vorantreibt ist mit Sicherheit auch das „Alles ist schlimm und wir können nichts tun“, was wir in den Medien oft sehen. Ein faktenbasierterer breiter Zugang zu Informationen kann da helfen und auch der Blick darauf, was es um einen herum schon alles gibt, was da bereits passiert ganz direkt und lokal. Da ist ja oft schon viel in Gang, bei Initiativen oder Ausschüssen beispielsweise, bei denen man sich dann einklinken kann. Genauso auch im direkten persönlichen Umfeld. So ist es manchmal sogar einfacher Menschen zu erreichen, als über einen Protest auf der Straße. Dadurch, dass man sie eben da sensibilisiert, wo sie schon verankert sind, um zu zeigen, dass die Veränderung schon Teil des Alltags werden kann, kann eine Hand gereicht werden. 

Und dennoch werden die Protestformen, die Die Letzte Generationen wählen, als Ziviler Widerstand oder Ziviler Ungehorsam benannt. Wie gehst du dann damit um, wenn das eher als Abgrenzung, denn als Gesprächsangebot wahrgenommen wird? 

Einerseits sehe ich natürlich auch uns immer in der Verantwortung diesen Protest zu gestalten, dass er Menschen anspricht, dass er auch immer kommuniziert, dass er offen ist und dass wir auch abseits der Straße auf Leute zugehen und das Gespräch suchen. Wir haben uns auch bewusst entschieden, keine Klebeblockaden mehr zu machen und stattdessen Ungehorsame Versammlungen zu veranstalten. Für Leute, die zum Beispiel nicht bereit sind Repressionen in Kauf zu nehmen, ist das eine Möglichkeit relativ einfach Solidarität zu zeigen, indem sie sich daneben stellen. Vernetzungsarbeit durch Gesprächsangebote ist für uns sehr wertvoll und wichtig. Die Proteste möchten wir dahin bringen, dass sie zu einem Selbstläufer werden und alle, die möchten, ihre Ideen einbringen können. Letztlich geht es darum, die Dringlichkeit zu vermitteln, die wir als Grundlage dafür nehmen, bewusst rechtliche Normen und Grenzen zu überschreiten ohne aber Sicherheit von anderen in irgendeiner Form zu gefährden. Darin liegt für mich schon eine Art Gesprächsangebot, das ja eben aber leider oft nicht angenommen wird. Denn man kann sich ja immer fragen: Warum machen diese Leute das? Warum nehmen sie sich jetzt die Zeit das zu tun? Es ist ja auch nicht unbedingt immer spaßig, diese Proteste zu machen.

Woran denkst du, liegt das, dass eurem Protest so viel Ablehnung entgegen gebracht wird? 

Ich glaube, die Ablehnung hängt schon mit dem Thema zusammen, was uns antreibt: die Klimakrise. Denn die lässt sich nicht auf einfache Lösungen reduzieren. Und es gibt das schlummernde Bewusstsein der Menschen, dass sie etwas damit zu tun haben, alle miteinander, sowie auch erwiesene Triggerpunkte, die durch die Thematik angeregt werden, wie zum Beispiel der Kontrollverlust und die Angst schlechter behandelt zu werden als andere. Und, naja, Überbringer der schlechten Botschaft zu sein, ist natürlich nicht wirklich die beste Position.

 

 

Veröffentlicht am 25. September 2024