Von mystischen Welten, unbequemen Themen und besseren Zeiten
Regisseurin Hannah Biedermann im Gespräch über die neue Moks-Produktion „Der rote Baum“ mit Dramaturg Nils Matzka.
Nils Matzka: Unsere Vorlage, „Der rote Baum“ von Illustrator und Autor Shaun Tan, erzählt von der Traurigkeit eines Kindes. Wie würdest du den Charakter dieses Bilderbuchs beschreiben?
Hannah Biedermann: Shaun Tan hat eine gute Art, sehr konkrete Situationen in einer mystischen und merkwürdigen Welt zu skizzieren. In Der rote Baum finde ich das sehr gelungen, weil es von einer Gefühlswelt handelt. Die Figur, um die es geht, ist ein reales Kind, und die Bilder spielen mit Elementen, die aus unserem Leben kommen. Trotzdem bilden sie keine realen Situationen ab, sind auf irritierende Weise kombiniert. Ich denke zum Beispiel an das Bild, auf dem das Kind an einem verregneten Strand in einer Flasche sitzt und eine Taucherglocke auf dem Kopf trägt. Dazu der Satz: „Keiner versteht dich.“ Man kennt die einzelnen Bildelemente, aber nicht in der Kombination. Das Bild wirkt auch nicht wie etwas völlig Verrücktes. Es ist eher sinnbildlich: Du fühlst dich getrennt vom Rest der Welt – ein klares Bild für Einsamkeit. Das kann Emotionen wecken. Zumindest funktioniert es so bei mir.
Welchen Herausforderungen bist du zusammen mit dem Ensemble bei der Umsetzung für die Bühne begegnet?
Hannah Biedermann: Die großen Welten der Bilder kann man kaum auf die Bühne bringen. Wir mussten sie sehr stark in etwas anderes übersetzen. Gleichzeitig wollte ich den Bezug zur Vorlage nicht verlieren. Mascha Mihoa Bischoff, mit der ich viel zusammenarbeite und die für die Ausstattung verantwortlich ist, ist die richtige Partnerin in diesem Prozess. Ihre Bühne, ein grauer Rasen voller Lampen, erzeugt die Anmutung einer Landschaft, die aber keine reale Landschaft ist. Auch das Kostüm spielt mit Elementen, die den Körper verwandeln und nicht aus dieser Welt zu sein scheinen. Die Proben mit dem Ensemble waren ein Sammelprozess: Wir haben ausgehend vom Buch Improvisations-Aufgaben generiert, die in Verbindung zu den Bildern zu assoziativen Handlungen führten. Am Ende war es mir nicht wichtig, dem Ausgangsstoff sehr treu zu bleiben.
Wir haben als Team gemeinsam Schulklassen besucht, Kinder nach ihrem Verhältnis zu Traurigkeit befragt und diese Interviews für die Inszenierung gesammelt. Das ist eine Arbeitsweise, die in deinen Produktionen wiederkehrt. Was bleibt dir aus den Begegnungen für „Der rote Baum“ besonders in Erinnerung?
Hannah Biedermann: Ich habe mit jungen Menschen schon über viele Themen geredet, die als unbequem gelten. Dabei habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass Kinder das total angenehm, wertschätzend und erleichternd finden, dass man mit ihnen darüber spricht. Die Schwierigkeit bei den Gesprächen zu Der rote Baum war, dass Einsamkeit, Traurigkeit und Gefühle generell schwer in Worte zu fassen sind. Wenn man Kind ist, lernt man erst, abstrakte Dinge zu verbalisieren. Wir merkten, dass die Kinder eher darüber sprechen, wann sie traurig sind oder warum, als dass sie zwischen verschiedenen Facetten der Traurigkeit unterscheiden. Dennoch war es wichtig, diese Gespräche zu führen, weil sehr viel zwischen den Zeilen passiert. Es ging dann weniger darum, dass die Kinder uns tolle Sätze für das Stück liefern, sondern darum, zu merken: Traurigkeit geht uns alle an, und es gibt Kinder, die das mehr und weniger betrifft. Ich halte das für einen wichtigen Prozess für das gesamte Produktionsteam, sein Publikum kennenzulernen und innerlich auf den Weg mitzunehmen, den man dann auf der Probebühne weitergeht.
Was ist dir daran wichtig, ein Stück über Traurigkeit für ein junges Publikum zu zeigen?
Hannah Biedermann: Traurig sind wir alle, das begleitet uns schon sehr früh. Das Kind wird aber tendenziell von der Gesellschaft, auch gerne von Eltern, so gesehen, dass es glücklich sein müsste, weil es keine „richtigen“ Sorgen hat: Es muss kein Geld verdienen, es muss nicht die Miete zahlen – und ob man jetzt eine 6 oder eine 1 schreibt, gilt auf jeden Fall nicht als richtige Sorge im Kontext von Welt. Mir war es ein Anliegen, dieses Tabu zu brechen. Auch Kinder können einfach so traurig sein. Nicht nur, weil man nicht mit ihnen spielt oder weil irgendwer nicht zum Geburtstag gekommen ist, sondern weil das eine Veranlagung sein kann, eine Krankheit – oder auch, weil sie merken, dass die Nachrichten gerade sehr schlecht sind, und dass sie das auch belastet, egal wie sehr sie die Welt verstehen. Ich finde es gut, den Kindern zu spiegeln: Wir sehen, dass es das gibt, und wir sind jetzt zusammen, um das zu verhandeln. Traurigkeit ist schwer auszuhalten. Sie geht auch nicht immer sofort vorbei. Aber das Wissen darum, dass man mit diesem Gefühl nicht alleine ist, spendet Trost, in gewisser Weise.
Am Ende des Buchs ist im Zimmer des Kindes ein roter Baum gewachsen, der hell und leuchtend der Traurigkeit ein vorläufiges Ende setzt. “Hoffnung” ist hier ein Wort, das uns oft in den Sinn kam. Was liegt für dich in diesem Bild?
Hannah Biedermann: Ehrlich gesagt mag ich, dass ich überhaupt nicht weiß, was dieser rote Baum ist und ob ich ihn so hoffnungsvoll finde. Das eigentlich Interessante an dem Bild ist für mich, dass der Baum einfach da ist. So, wie du oft nichts dafür kannst, dass du traurig bist, so ist es vielleicht auch Glück, dass es wieder besser wird. Nicht, weil du hart an dir gearbeitet hast, die Welt anders siehst oder weil du ja dafür gelernt hast, dass du jetzt eine 1 schreibst. Du musst nicht wertvoll genug dafür sein, du musst nichts leisten. Der rote Baum wächst, weil einem das einfach geschenkt wird.
Veröffentlicht am 24. Februar 2023