Warum eigentlich ... das Rad neu erfinden?
Wolfgang Geißler, Gründer und Sprecher von Einfach Einsteigen, im Gespräch mit Schauspieldramaturg Stefan Bläske über öffentlichen Nahverkehr, autofreie Innenstädte und die Zukunft der Mobilität.
Am 11. Mai habt ihr, also Einfach Einsteigen gemeinsam mit BUND, Denkhaus Bremen und über 60 erstunterzeichnenden Organisationen, einen „Fahrplan Verkehrswende“ vorgestellt. Und ab Juni soll es bundesweit Monatstickets für 9 Euro geben. Kommt jetzt die Wende?
Wolfgang Geißler: Leider noch nicht. Das 9 Euro-Ticket ist eine sozialpolitische Maßnahme zur Entlastung ärmerer Menschen. Die kurzfristige Einführung verhindert, dass Verkehrsbetriebe zusätzliche Fahrten anbieten und Menschen langfristig auf einen verbesserten Nahverkehr umsteigen. Dafür kämpfen wir mit unserer Forderung für einen Fahrplan für die Verkehrswende.
Was sind konkrete Ideen, Lebensqualität und Nahverkehr in Bremen zu verbessern?
Wolfgang Geißler: Die Grundlage für nachhaltige Mobilität muss ein Umdenken von der seit den 1960er Jahren aufs Auto fokussierten Politik hin zu einer Stärkung des Fuß-, Rad- und Nahverkehrs sein. Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden und es braucht auch keine Technikutopien, wie Hyperloops oder Flugtaxis. Was es braucht ist eine offensiv geschilderte Vision, wie fantastisch eine Stadt mit deutlich weniger Autos sein kann.
Bei einer Umfrage unter unserem Theaterpublikum gaben von denen, die Auto fahren, viele an, dass sie nachts sonst nicht mehr gut nach Hause kommen – oder sich nicht sicher fühlen.
Wolfgang Geißler: Das glaube ich sofort. Genau deshalb brauchen wir ein besseres Angebot, mit dem die Menschen auch abends noch gut nach Hause kommen – und auch über einen besseren Service in Form von Begleitpersonal am Abend ließe sich dann nachdenken.
Immer mehr Kulturinstitutionen berechnen ihren ökologischen Fußabdruck und Untersuchungen legen nahe, dass die Fahrten von Mitarbeiter:innen und Publikum einen Großteil des Energieverbrauchs ausmachen. Auch das zeigt, wie wichtig attraktive Öffis sind?
Wolfgang Geißler: Genau, aber sie sind eben aktuell noch nicht so attraktiv, wie sie sein müssten, damit Menschen ganz von selbst und ohne groß darüber nachzudenken, umsteigen. Hierfür braucht es massive Investitionen in das Netz, die Taktung und die Aufenthaltsqualität im ÖPNV. Wir von Einfach Einsteigen haben ein Modell vorgelegt, wie diese Verbesserungen finanziert werden können.
Ihr wollt kostenfreien Nahverkehr und eine Umlage für alle. Aber ist das fair? Warum sollte ich, wenn ich immer nur Rad fahre, 237 Euro im Jahr für den Nahverkehr zahlen? So viel kostet die DB-BahnCard 50 ... Dann könnten wir per Umlage auch den Fahrradkauf subventionieren, das wäre noch ökologischer?
Wolfgang Geißler: Ja, Radfahren ist ökologischer. Aber wenn man älter ist, oder die Distanzen zu weit werden, braucht man den Nahverkehr. Die Umlage ist deshalb fair, weil mit der Verbesserung des Nahverkehrs eine Verkehrswende in Bremen ermöglicht wird, von der alle profitieren. Denn auch wenn ich selber weiter Rad fahre, profitiere ich von weniger Autos in der Stadt. Ohne die Umlage sehe ich keine finanziellen Spielräume im knappen Bremer Haushalt, um die Verkehrswende ernsthaft zu forcieren.
Die Straßenbahn spielt eine zentrale Rolle in euren Überlegungen. Doch die ist laut und rumpelnd, lässt Wände wackeln, Menschen schlecht schlafen, Radfahrer:innen in den Schienen stürzen. Sind (technologische) Besserungen in Sicht?
Wolfgang Geißler: Die neue Straßenbahn „Nordwind“ ist schon deutlich leiser als die alten Bahnen. Genauso wie Elektrobusse. Man muss die Frage aber umdrehen: Ein gewisses Maß an Belastung durch Verkehr in einer Stadt wird immer da sein. Aber will man Mobilität über hunderttausende von Autos organisieren, die Unfälle verursachen, die Stadt voll parken, unökologisch sind und obendrein noch einen Riesenhaufen Geld kosten – oder durch Bahnen, Busse und Fahrräder, die in all diesen Kriterien deutlich besser abschneiden.
Veröffentlichung: 1.6.22