Warum eigentlich … Friedensdividende?

Autorin Nora Bossong, die am Theater Bremen aus „Die Geschmeidigen“ liest, im Gespräch mit Schauspieldramaturg Stefan Bläske über Bremen, Weltkrisenpolitik und die Generation, die nun an der Macht ist.

Stefan Bläske: Ukraine, Taiwan, Energie- und Klimakrise. Was macht die Weltlage mit deinem Gemüt?

Nora Bossong: Optimismus aus Trotz. Es gab eine Phase, in der mich das Weltgeschehen deprimiert, ja eigentlich ohnmächtig gemacht hat. Das lasse ich jetzt nicht mehr zu. Ich glaube, wir können uns das aktuell einfach nicht mehr leisten. Mit Antonio Gramsci gesagt: Optimismus des Willens, Pessimismus des Verstands.

Naiv gesprochen wünschte man sich eine funktionierende Weltregierung, die die „Goldene Regel“ (Was du nicht willst, das man dir tu …) befolgt und durchsetzt. Dein Roman „Schutzzone“ über die UN macht nicht so viel Hoffnung?

Nora Bossong: Die Vereinten Nationen spiegeln letztlich ein Machtungleichgewicht wider, das auch jenseits der Institution besteht. Josep Borell hat daran erinnert, dass wir zu lange in der Welt von Kant gelebt haben, also mit dem kategorischen Imperativ, auf den du anspielst und der Hoffnung auf den „ewigen Frieden“, und darüber die Welt von Hobbes vergessen haben. Die holt uns gerade mit aller Brutalität ein. Kants Ethik ist idealistisch, aber ist die Welt ideal genug dafür?

Mit „Die Geschmeidigen“ meinst du so verschiedene Menschen wie Baerbock, Habeck und Lindner, aber im Grunde auch dich und mich? Was könnte uns verbinden?

Nora Bossong: Wir sind die Generation der Friedensdividende. Darum habe ich als Ausgang aller Gespräche nach der Erinnerung an die 90er-Jahre gefragt, in denen wir politisch sozialisiert wurden – nach dem Jahrzehnt am „Ende der Geschichte“. Damals war oft zu hören, Demokratie und Marktwirtschaft hätten sich nun endgültig durchgesetzt, von den Wellen der Geschichte getragen. Wohlstand und Frieden würden stetig mehr werden, wir müssten eigentlich nichts mehr dafür tun. Das Jahrzehnt hat aber auch sehr dunkle Seiten gehabt, etwa die Angriffe auf Asylbewerberheime im wiedervereinigten Deutschland oder den Irakkrieg. Am grausamsten waren die Völkermorde in Srebrenica, Burundi und Ruanda. Diese Zeit ist unsere gemeinsame Prägung, zwischen Aufbruch, Optimismus und neuem Schrecken.

Am 24. Oktober liest du am Theater Bremen. Was verbindet dich, was verbindest du mit der Hansestadt?

Nora Bossong: Natürlich zuerst, dass Bremen meine Heimatstadt ist und ich meine Schulzeit überwiegend hier verbracht habe. Im Goethetheater habe ich meine ersten Theateraufführungen gesehen und meine allererste Lesung erlebt. Ich vermisse besonders die Verbindlichkeit hier, das hanseatische Gemüt und den Deich, auf dem ich als Jugendliche mit meinen Freundinnen die Abende verbracht habe. In Berlin sieht man ja die Spree kaum zwischen den ganzen Regierungsgebäuden.

Hast du Lese-, Schau- oder Hörempfehlungen?

Nora Bossong: Mit Empfehlungen bin ich immer ein bisschen zu spät dran. Sehr gefallen hat mir in diesem Sommer Der beste Film aller Zeiten mit Penelope Cruz als durchgeknallter Regisseurin, die zwei Schauspieleregos bis zum Exzess in ihrer eitlen Rivalität trietzt. Auf der großen Leinwand läuft er leider nicht mehr. Bücher haben ja zum Glück eine längere Halbwertszeit, daher empfehle ich zwei ältere Werke: Von Kazuo Ishiguro habe ich endlich Was vom Tage übrig blieb gelesen, großartig, auch dann, wenn  man den Film schon kennt, und da es ja um Bremen geht: Friedo Lampes Septembergewitter.

 

 

Veröffentlichung: 17.10.22