Warum ein Musical von David Bowie nichts mit 80er Jahre Nostalgie zu tun haben darf
Über die Vermeidung von schlechten Kopien, üblen Geschmack und sehr gute Musik. Von Simone Sterr
Ein rosafarbener Rennwagen, Studebaker Starlight. Peter Illmann lehnt lässig daran, lächelt dauergewellt in die Kamera und präsentiert die TOP TEN Deutschland. Mit Videoclips. Ein völlig neues Format. Eine komplett neue Ästhetik. Wir sind Anfang der 80er, das Privatfernsehen kommt noch, die Musiksendung Formel Eins flimmert am Vorabend durch die dritten Programme der ARD. Ab 1985 moderierte Ingolf Lück – ähnliches Lachen, ähnliche Frisur – weiter. Heute tourt er als Comedy-Clown durch die Hallen, vor einem Jahr tanzte er sich siegreich durch die RTL-Show Let´s Dance und niemand dachte dabei an den Titel und den Videoclip von David Bowie 1983 und an Formel Eins.
Ich aber. Diese Sendung war gemeinsam mit Der große Preis eine der wenigen, bei der wir vor dem Fernseher Abendbrot essen durften. Natürlich nur, weil meine Mutter sie so liebte. Nicht zuletzt der Videoclips und der Outfits wegen. Ganz weit vorne: die von David Bowie. Die kamen bei ihr noch vor denen von Boy George und den Eurythmics. Sweet dreams eben.
Meine Mama war hin und weg
David Bowie: Ein Mann, der sich schminkt, Kimonos trägt, bestickte Hemden und hohe Schuhe. Meine Mama war hin und weg. Hätte es die weißen Bundfaltenhosen aus Let´s Dance oder den Hosenanzug aus schwarzem Nappaleder aus Heroes als Schnittbogen bei Burda-Moden gegeben, sie hätte sich sofort ans Ausrädeln gemacht und an die Maschine gesetzt. Das Ergebnis gönnt man niemandem. Schon gar nicht David Bowie. Seinen „Ziggy Stardust“-Jumpsuit kann man ohnehin schon in schlechter Taft-Qualität im Internetshop für Party-Kostüme kaufen. Inklusive der roten Plateaustiefel. Für 38 Euro. Es ist eben nicht leicht, eine Ikone zu sein, verehrt zu werden, vermarket und schlecht kopiert. Ein David Bowie-Musical lässt in diese Richtung also Schlimmstes befürchten. Aber Lazarus ist anders.
Ein lang gehegter künstlerischer Wunsch
David Bowie hat es, gemeinsam mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh geschrieben, hat sich angesichts seiner schweren Krebserkrankung einen lang gehegten künstlerischen Wunsch erfüllt. Seit er 1973 die Hauptrolle in dem Film The Man who fell to earth (Der Mann, der vom Himmel fiel) spielte, wollte er die Geschichte des unsterblichen Außerirdischen, der mit Erfindungen und Patenten Unsummen verdient, sein Glück auf Erden aber dennoch nicht finden kann, als musikalische Theaterperformance fortschreiben. Zwei Jahre vor seinem Tod hat er es getan. Herausgekommen ist die Geschichte eines zum ewigen Dasein verdammten Mannes, der sich, von einem wilden Leben gezeichnet, ins Jenseits sehnt, heimgesucht von schrillen Fieberträumen und durch Gin-Konsum befeuerten Fantasien. Ein Zustand zwischen Vision und Wirklichkeit, dessen atmosphärischer Soundtrack David Bowies Musik ist. Songs von 1972 (live on mars) bis zum eigens für Lazarus geschriebenen und 2017 posthum veröffentlichten Titel No plan – ein musikalisches Vermächtnis des Künstlers, das weitaus mehr ist, als der tanzbare Mainstream der 80er, ausgestrahlt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Und meine Mama?
Eine David Bowie Kopie sucht man in Lazarus vergebens, eine nostalgische Kostümshow ebenso. Stattdessen verkörpert Hauptdarsteller Martin Baum das Psychogramm eines Mannes zwischen den Welten, ans irdische Krankenbett gefesselt, vom Sterben träumend, sich nach den Sternen sehnend. Look at me, I´m in heaven.
Und meine Mama? Die sitzt hoffentlich in einer der drei letzten Vorstellungen und entdeckt David Bowie als das, was er war: ein vielseitiger, experimentierfreudiger, innovativer Ausnahmekünstler.
Ich werde sie inständig bitten, nicht im „Ziggy Stardust“-Kostüm zu erscheinen.