Was ist in deinem System relevant? #5
Auf einen Spaziergang mit Aziz Kaya, 16 Jahre alt, Junger Akteur, aktuell bei der Produktion Frühlingserwachen dabei. Das Interview führte Nathalie Forstman, Leiterin Junge Akteur*innen.
Was ist dein erster Gedanke, wenn du am Morgen aufwachst?
Aziz Kaya: „Ich möchte weiterschlafen.“ (lacht) Mein Hund weckt mich morgens so um 10 Uhr, dann gehe ich eine Stunde mit ihm spazieren. Danach sitzen wir meistens auf dem Balkon und beobachten, was draußen so passiert. Später schaue ich bis vier Uhr Filme oder so. Oder ich mache einen Mittagsschlaf. Dann schnappe ich mir oft das Fahrrad und geh mit einem Freund raus. Ich brauche das. Diese Freiheit. Ich kann nicht die ganze Zeit zu Hause hocken.
Was tust du gerade, was du sonst nicht tust?
Aziz Kaya: Lesen, philosophieren, über die Zeit nachdenken. Über das Leben nachdenken. Und Filme schauen – ich hasse eigentlich Filme schauen. Ich habe jetzt zwei Serien durch, dabei mag ich normalerweise gerade Serien überhaupt nicht. Das ist für mich eigentlich Zeitverschwendung. Aber da mir jetzt öfter langweilig ist, habe ich das für mich entdeckt. Außerdem wollte ich ein Buch schreiben, oder wenigstens eine Song. (lacht) Jetzt wo ich so viel Zeit habe – nach einer halben Seite habe ich wieder aufgehört. Ich bin in dieser Zeit gar nicht produktiv geworden. Mir fehlt der Antrieb.
Was ist gerade wichtig – und was ist unwichtig?
Aziz Kaya: Man sollte die Zeit wertschätzen und nutzen, zum Beispiel um mit der Familie etwas zu tun, was man sonst nicht tut. Das Allerwichtigste für mich ist gerade tatsächlich Essen. Zurzeit gehe ich sehr oft in die Küche. Meine Schwester hat neulich gesagt: „Ich weiß, dass du keinen Hunger hast, dir ist nur langweilig.“ Unwichtig ist für mich gerade die Schule, ehrlich gesagt. Ich habe in fast einem Monat meine Abschlussprüfung – aber ich lerne gar nicht. Wobei das Homeschooling gut läuft bei mir – also ich finde das besser als den Präsenzunterricht während der Coronazeit. Letzte Woche war ich mal wieder in der Schule, da dachte ich mir so: „Komm, das können wir auch eben über Zoom oder über Jitsi machen“.
Was wird nach dieser Corona-Phase wichtig sein? Meinst du, dass sich etwas verändern wird?
Aziz Kaya: Es wird sich sehr, sehr viel verändern. Die Menschen werden netter werden, sie werden sich gegenseitig mehr respektieren und wertschätzen. Ich würde auch sagen, dass sich das Klima verbessern wird. Ich war ja am Grambker See letztens, der war so sauber und klar. Ich war richtig geschockt und froh darüber.
Hat sich für dich persönlich etwas verändert?
Aziz Kaya: Ich freu mich riesig, wenn ich Freunde auf der Straße treffe. Ich verbringe viel lieber Zeit mit Menschen. Ich kann das besser wertschätzen. Ich hab mich zum Beispiel sehr gefreut, dass du mich angeschrieben und für das Interview angefragt hast.
Wünschst du dir etwas vom Theater?
Aziz Kaya: Ich find es toll, dass wir uns jetzt treffen. Und ich feiere die „Aus dem off“-Videos. Ich vermisse das Theater sehr. Ich kann es kaum erwarten, dass es wieder losgeht.
Was nervt dich?
Aziz Kaya: Corona hier, Corona dort. Das Thema ist überall, aber eigentlich spielt es für mich gar nicht so eine große Rolle. Was mich echt aufregt, ist, dass ich meine Freunde nicht richtig begrüßen kann. Der körperliche Kontakt ist mir sehr wichtig. Ich hatte eine gute Note in meiner Prüfung und da habe ich meine Freundin einfach umarmt – und dann habe ich Ärger bekommen von den Lehrern. Und ich meinte nur so: „Das interessiert mich gerade nicht. Wir müssen jetzt einfach mal feiern.“ In der ersten Woche in der Schule haben wir aus unserem Alltag berichtet, und da haben viele gesagt: „Meine jüngeren Geschwister nerven mich.“ Und da dachte ich mir – wie schön ist das. Bei mir ist es so ruhig; ich wünschte, bei mir wäre es auch mal laut.