Was tun eigentlich unsere Regisseur*innen...

... jetzt, wo sie nicht probieren können. Felix Rothenhäusler, Hausregisseur am Theater Bremen, schreibt Mails mit dem Intendanten. Teil 2 mit Nachrichten vom 21. bis 23. April.

Lieber Felix,
in was für einer Verabredung bist Du eigentlich mit München? Es ist ja eher unwahrscheinlich, dass Du im Mai dort schon wieder probieren kannst…

Sollten wir uns nicht jetzt schon auf die sichere Seite begeben und Trüffel Trüffel Trüffel für das Frühjahr 21 planen? Zum einen haben wir da viel Luft und wenn du da nach dem 5. März beginnst, kannst du im Prinzip über alle verfügen. Zum anderen haben wir am Anfang vermutlich einen ziemlichen Stau an Stücken, Pussycat, Frühlingserwachen, Madonna
Nur mal als kleine Denksportaufgabe fürs Wochenende!

Liebe Grüße, schöne Tage mit den Deinen!
m.

 

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Lieber Michael,
mit München gibt es noch keine konkrete Verabredung. Ein möglicher Plan sieht vor, dass wir es vor dem Sommer fertig proben, es gefilmt und gestreamt wird und in der neuen Spielzeit von Barbara Mundel ins Repertoire genommen wird. Aber das ist natürlich alles noch nicht sicher. 

Zeitlich wäre es mir jedenfalls möglich, auch erst im März 21 Trüffel zu machen. 

Ich hänge durch die letzten Tage. Hölderlin zieht mich runter, wie das alles scheitert, was da so sehnsüchtig hinauswill. Nicht unbedingt ein glücklicher Sisyphos. Aber vielleicht haben ihm die Jahre im Turm dann doch noch Spaß gemacht. 

Ich habe mich schon sehr gefreut auf Komödie, Tempo, unser Ensemble, Bremen und die Neubegegnungen. Davon abgesehen gefällt mir, dass wir gleich am Anfang mit einer Komödie rauskommen. Aber wir können einfach verschieben, wenn es insgesamt besser passt.

 

Lieben Gruß,
Felix

 

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Lieber Felix,

ich verstehe, dass Hölderlin in diesen Zeiten nicht unbedingt gut tut. Yoga und Draußen Sein ist da sicher besser - ich schaffe im Augenblick auch nur Krimis...
Vor Mitte nächster Woche wissen wir sicher nichts Neues, so lange sollten wir alle Optionen offenhalten. Was ich am meisten befürchte wäre, dass wir erst nach dem Sommer wieder spielen dürften und aber schon bald unter Auflagen proben - vielleicht muss man dann doch über Geisteraufführungen nachdenken ... Bezahlkanäle entwickeln, Fernsehspielstudios bauen ... Keine Ahnung.

Liebe Grüße m. 

 

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Lieber Michael,

oder Autotheater auf dem Goetheplatz.  Wer keines hat, bekommt ein Theaterauto. Die Autokinos kommen auch am Versammlungsverbot vorbei. Die Fernsehspielstudios sollten wir jedenfalls bauen! Nicht, dass Thomas Meinecke noch zum Prophet wird mit seinem „Theater zu Parkhäusern“.

Lieben Gruß,
Felix

 

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Lieber Felix,

auch mein guter Freund Herbert Grieshop (https://herbertliest.wordpress.com) liest Leif Randt - vielleicht sollte ich es doch lesen und wir setzen unseren kleinen Mailverkehr fort?
Aber wie kriegt man da jetzt einen neuen Anschluss - nach Hölderlin mit Hilmar Klute: Was dann nachher so schön fliegt (meine Osterlektüre, Achtziger Jahre - als wir noch jung waren und noch träumten) zu kommen, ist vermutlich nicht wirklich spannend.

Daneben die Aprilausgaben von Theater heute, Theater der Zeit, Opernwelt, Tanz gelesen, geblättert - alle aus dem Theater mit nach Hause genommen - alle fertig geschrieben vor dem Ausbruch der Coronakrise, Kritiken, Ausblicke, Pläne, Premieren, Festivals. Vollkommen aus der Welt plötzlich.

Und weiter Pläne gemacht - ich hänge Dir einen neuen Besetzungsplan an, mehr zum Spielen, aber einer, der tatsächlich davon ausgeht, dass es erst nach den Ferien wieder losgeht. Schau doch mal auf Deine Daten und stelle ein paar Besetzungsbehauptungen, Wünsche auf.

Liebe Grüße m.

 

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Lieber Michael,

Hilmar Klute, die 80er und träumen klingt nicht so schlecht und gut melancholisch. Und würde mich schon interessieren, was du zu Randt denkst. 

Ich lese Park von Marius Goldhorn, ein Debut gerade bei Suhrkamp erschienen, bisher als Ebook, sollte eigentlich letzten Monat als Buch erscheinen, aber aufgrund der Umstände verzögert sich das mit dem Druck in den Juni. Arnold aus Berlin reist da mit Mitte 20 durch ein unsicheres Europa, er ist in Paris während der Anschläge, in Athen auf Demonstrationen. Ein Reiseroman, sehr lakonisch und glaubt trotzdem an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt. 
Ich halte es immer schwerer aus je länger es dauert, ärgere mich über die Krise als Chance Artikel, mache weniger Yoga und mehr Liegestützen.

Joseph Vogl hat ein paar Gedanken zur Corona Krise, die ich teilen würde, u.a. „dem Rausch des Epochalen zu misstrauen“.

https://www.monopol-magazin.de/joseph-vogl-coronakrise

Ansonsten bereite ich gerade ein Online-Seminar zusammen mit Volker Bürger für die Theaterakademie vor. Thema: Was ist eine Stückentwicklung? Nächste Woche beginnt das Sommersemester. Arbeit und Struktur. Klingt eigentlich so als könnte ich da was lernen. 

Mit Theresa, Jan, Moritz und Jo gab es ein Zoommeeting zum Darwin-Projekt. Ich schreibe dir in den nächsten Tagen ein paar Gedanken dazu.

Mein größter Besetzungswunsch wäre, dass wir unseren ursprünglichen Plan für Trüffel im März halten. 

Ist die Verschiebung sicher? (natürlich wir können die Abstände noch vergrößern und machen das gleiche bei den Zuschauern und haben die Fake it - Comedy zum Einstieg in die Spielzeit ...?)

 

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Lieber Felix,

Alexander Kluge ist jetzt 88 Jahre alt und hat sich zum ersten Mal gegen Pneumokokken impfen lassen. „Vorsicht ist angeraten“ sagt er in einem sehr schönen Gespräch mit Lothar Müller in der Süddeutschen. Ihn erinnere die Naturalwirtschaft, die er heraufkommen sieht („Wenn alle Schutzmasken in China produziert werden und alle Medikamente in Indien, dann fangen wir wieder mit der Naturalwirtschaft an und produzieren in den Nähereien der Stadttheater Gesichtsmasken“) unmittelbar an 1945: „Ich habe einmal in meinem Leben einen anerkennenden Blick von meinem Vater bekommen, das war, als wir Jungens mit Handwagen das Proviantamt stürmten und anschließend ein mittelalterliches Kaufhaus plünderten, das sieben Keller hatte, und ganz unten lag Kaffee aus dem Jahr 1938, nicht geröstet. Für das Klauen dieses Kaffees habe ich den anerkennenden Blick bekommen. Moralische Erziehung im Frühjahr 1945.“

Im Grunde ist das pointierte Zusammenfassung vieler Beobachtungen und Erkenntnisse von Harald Jähner in seinem Buch Wolfszeit über Deutschland und die Deutschen 1945-1955. Sein Buch durchzeiht ein Staunen darüber, dass sich die Entnazifizierung der Deutschen weniger der politischen Umerziehung verdanke als der gesellschaftlichen Praxis. Die Deutschen lernten Staatsbürgerkunde – so Jähners Beobachtung – vor allem im Umgang mit sich selbst, zum Beispiel auf dem Schwarzmarkt: „Man musste auch erleben, wie ein SS-Dolch, ein Ehrendolch der SS, plötzlich nur noch 20 Zigaretten wert war oder immerhin 20 Zigaretten, je nachdem. Und da ging der ganze Ehrenkodex, die ganze Leidenschaft für das NS-Reich ging in dem Moment buchstäblich in Rauch auf. In Zigarettenrauch.“ Ebenso löste sich der Begriff der Volksgemeinschaft auf, den die Nazis geprägt hatten. Das zeigte sich etwa im hartherzigen Umgang mit den Vertriebenen, 12 Millionen Menschen hatten sich auf den Weg nach Westen gemacht: „Diese Fremdheitserfahrung, die die Deutschen mit sich selbst machten, ist ungeheuer wichtig. Also Nationalismus kann man auf dieser Feindschaft, dieses verfeindeten Deutschtums unterschiedlicher Stämme natürlich gar nicht erst aufbauen.“

Zu diesem neuen Umgang mit sich selbst gehört aber auch der Kontakt zu den Alliierten, die Anziehungskraft amerikanischer Soldaten auf die sexuell ausgehungerten deutschen Frauen – „Tatsächlich sind die vielen Liebhaberinnen der Gis Vorreiterinnen auf dem langen Weg nach Westen, sie sind Pionierinnen der Liberalisierung unserer Republik. Ihr unpolitisches, rein privates Agieren macht uns blind dafür, wie wichtig sie für die geistige Demobilisierung der Deutschen waren. So öde die verkommenen Tanzschuppen auch sein mochten, die rund um die Kasernen in den Dörfern entstanden waren, es war Veronika Dankeschön, die den dicksten Schlussstrich unter die Vergangenheit setzte, mit Haut und Haaren und nicht selten sehr liebevoll.“

Womit ich wieder bei Kluge bin: „Die Gefühle sind rebellisch. Sie sind Glückssucher. Das ist nicht von mir, das ist die Kernthese der Frankfurter Kritischen Theorie.“ Was kaputt ist, kann man reparieren. Sagt Kluge und hat darüber sein Leben lang die schönsten Filme gemacht und die schönsten Geschichten geschrieben. Und sagt jetzt, dass die Fantasie ein Fluchttier sei. Sie suche Auswege, höre auf Warnungen, wenn Gefahr drohe, will sie fliehen. „Und dann wird man erzogen, zum Soldaten, zum kritischen Bürger, zum Kantianer. Da steckt ein Irrtum drin“. Aber vielleicht funktioniere die Fantasie nicht als Warnsystem, oder nicht bei jedem. Wir haben das Krokodil nicht gesehen - im Kindertheater rufen die Kinder dem Kasper zu, wenn er das Krokodil nicht sieht. Und jetzt hat niemand gerufen. Und das Krokodil ist da als Pandemie und wir spürten, es ist eine Demütigung für uns Menschen. Das Groß-Ich werde entthront durch diesen Winzling, dieses Virus. „Das ist für den Narzissmus verletzend. Ich bin Kronprinz gewesen, fünf Jahre war ich alleine, dann kam meine Schwester. Ich denke, mit mir ist es gut gemeint in der Welt. Und dann kommt ein Bombenangriff, und da merke ich: Es ist nicht gut gemeint mit uns. Ich behaupte nicht, dass ich das an Ort und Stelle verstanden habe, im Frühling 1945, aber vierzig Jahre später habe ich es verstanden.“

Die Fantasie als Fluchttier – vielleicht hast du Recht und es braucht keine „Krise als Chance“-Texte. Und vielleicht müssen wir auch nicht theoretisch und begrifflich verstehen, was da mit uns im Augenblick passiert. Aber wir brauchen Fluchtwege, konkrete Erfahrungen, kleine Lösungen, Distanz und Höflichkeit. Haut und Haare. Und Tanzschuppen, offene Häuser, Enttrümmereung. Und sicher auch ein ganz und gar unverdientes Glück – wie die Deutschen nach 45 …

Liebe Grüße m.