Wenn die Kritik fehlt

Pressesprecherin Diana König über einen Arbeitsalltag ohne Theaterkritiker*innen und den Beginn einer neuen Reihe im Onlinemagazin

Der Wintergarten ist aufgeräumt, die Autokorrektur hat hartnäckig zum dritten Mal das Wort „probenfrei“ in „problemfrei“ geändert, zwei Zeitungen sind gelesen und Christian Drosten hat im Radio beim Corona-Update das Neueste schon souverän erklärt: Alltag im Homeoffice in der Spielpause. Eigentlich keine Pressemeldungen gehen raus, keine Premierenankündigungen, keine Nachfragen nach Fotos und O-Tönen der neuesten Inszenierung müssen beantwortet werden. Stattdessen Berichte über den Stillstand. Über die Versuche, trotzdem über die Homepage und soziale Medien theatrales Leben nach außen zu tragen, aber keine Kritiken. 

Die Spannung am Tag nach der Premiere, wenn die ersten Besprechungen kommen

Die sind eigentlich mein täglich Brot. Die Spannung am Tag nach der Premiere, wenn die ersten Besprechungen kommen: Wer fand was wie? Warum? Sehe ich die Inszenierung anders, nachdem ich die Argumente von der Kollegin gelesen habe oder stimme ich mit dem Kollegen überein? Was denkt der Intendant? Wer aus dem Team meldet sich wohl zuerst mit einer Frage, einer Freude oder einem Ärger? Wer schreibt immer schlecht über den oder versteht nie das? Wer versteht es, auf die Kunst des Theaterspielens am nächsten Tag mit der Kunst des Rezipierens glorreich und amüsant zu antworten? Und was zur Hölle heißt eigentlich „Tausend-Volt-Schauspieler“? Und: Ja, „febril“ musste ich auch nachschlagen. Das ist Leben, Theater, Journalismus: der Austausch, die Diskussion, das Wertschätzen der gemeinsamen Passion Kunst in der Auseinandersetzung. Und nun: auch dort Stille. 

Für viele bricht damit nicht nur ein beglückender Lebensinhalt weg, sondern auch die Finanzierung des nächsten Monats ist gefährdet

Die Kolleg*innen in den Kulturredaktionen und die vielen freien, theaterpassionierten Journalist*innen müssen sich neue Themen zur Berichterstattung suchen, wenn es denn welche gibt. Für viele bricht damit nicht nur ein beglückender Lebensinhalt weg, sondern auch die Finanzierung des nächsten Monats ist gefährdet. Mitte März schrieb Falk Schreiber dazu einen Artikel in der taz (Wenn der Vorhang fällt), über den ich mit vielen Menschen gesprochen habe, weil er mich und viele andere bewegt hat. Und er hat eine Idee aufkeimen lassen: Machen wir doch im Onlinemagazin eine Reihe mit denen, die normal über uns schreiben! Damit die Kritik nicht fehlt, damit die Reflexion und die Verbundenheit in der Liebe zum Theater bleibt. 

Machen wir doch im Magazin eine Reihe mit denen, die normal über uns schreiben

Viele Kolleg*innen haben zugesagt und wir werden in den kommenden Wochen in loser Folge Texte von Kulturjournalist*innen veröffentlichen, die aus ihrem Leben ohne Theater berichten. Wenn die Kritik fehlt beleuchtet verschiedene Facetten: Tim Schomacker schreibt über eine verpasste Wiederaufnahme, Christine Gorny über die Möglichkeiten von Theater online, Jens Fischer ist traurig über die verpassten Premieren im norddeutschen Theaterraum, Andreas Schnell muss sein Sozialleben neu planen und Hendrik Werner nochmal über den Müßiggang nachdenken. Wie schön, dass Falk Schreiber, der den Ausschlag gab für die Idee, bereit war, auch einen Artikel beizusteuern, er wird der erste sein in unserer Reihe ...