Wenn die Kritik fehlt: Freitag, der 13.

Falk Schreiber über einen Tag, der sein Leben veränderte. Der freie Journalist schreibt u.a. für die taz, Theater heute, nachtkritik und Hamburger Abendblatt

Am Montag, dem 16. März, veröffentlichte ich in der taz einen Artikel, in dem ich das Geschehen drei Tage zuvor beschrieb. Wie die kulturelle Grundversorgung am Freitag, dem 13., quasi im Minutentakt erodierte, wie im Laufe des Tages die Mails aus den Pressestellen einliefen, immer mit dem Betreff „Einstellung des Vorstellungsbetriebs“. Bühnen der Stadt Kiel: Einstellung des Vorstellungsbetriebs. Theater Bremen: Einstellung des Vorstellungsbetriebs. Deichtorhallen Hamburg: Einstellung des Ausstellungsbetriebs. Thalia Theater, Hamburger Schauspielhaus, Harry-Potter-Musical: ein Kartenhaus. Freitagvormittag eine Mail vom Staatstheater Oldenburg: Kommen Sie gerne vorbei, wir spielen. Um die Mittagszeit ein Anruf, mit brechender Stimme: Wir spielen doch nicht. Am Abend lässt sich das Gefühl auf einen Nenner bringen: Es bricht alles zusammen.

Es bricht nichts zusammen. Irgendwie geht es weiter, mit der Kultur, mit der Kunst, mit dem Theater, auch mit dem Journalismus. Eine Kollegin schreibt, dass sie noch nie so viel zu tun hätte wie gerade, das kann ich so nicht bestätigen, aber im Grunde hat sie recht: Es gibt Themen, über die sich zu schreiben lohnt. Man kann Interviews mit Theatermacher*innen führen, man kann sie fragen, wie sie mit der Situation umgehen, was sie für künstlerische Schlüsse ziehen, wie sie nächsten Monat ihre Miete zahlen. Das sind wichtige Fragen, und ihre Beantwortung hat was damit zu tun, wo sich die Kultur und mit ihr der Kulturjournalismus hinbewegen. Auf ewig sind diese Fragen witzlos, schon klar, aber Ewigkeit ist ohnehin keine Kategorie, die einem in Krisenzeiten weiter hilft, jedenfalls: Jetzt sind Aufträge da, und wie man seine Miete nächsten Monat zahlt, ist ein Thema, das einen auch noch länger beschäftigen dürfte.

Drei Wochen Ausnahmezustand der milderen Variante. 

Steigende Infektionszahlen in ganz Norddeutschland, das beunruhigt natürlich, aber im Rahmen. Man vermisst die Kultur, klar. Die Premieren. Vernissagen. Konzerte. Allerdings muss man zugeben, dass die Institutionen helfen. Dass das Internet eine Bühne sein kann, die bespielt werden will, hat sich in Windeseile in den Dramaturgiebüros rumgesprochen. Nicht mehr nur das einfallslose (und urheberrechtlich zudem nicht unproblematische) Streaming aktueller Aufführungen, sondern kuratierte Online-Produktionen. Die Berliner Schaubühne sucht Schätze aus dem Archiv, Peter Steins Peer Gynt, Klaus-Michael Grübers Bakchen, wow. Das Hamburger Festival Hauptsache frei wurde in die Videokonferenz-App Zoom verlagert. Und das Theater Bremen produziert tägliche Adventskalender-artige Videogrüße Aus dem Off. Wer Theater liebt und wer wie ein Tier darunter leidet, in diesen Tagen darauf verzichten zu müssen, für den ist sowas ein Geschenk. Es gibt Strategien, die hier zu greifen scheinen: Ästhetik. Sinnlichkeit. Humor. Warum nicht? Die Frage nach der Miete ist immer noch nicht beantwortet, aber vielleicht muss man auch nicht sofort auf alles eine Antwort haben.

Aber es reicht natürlich nicht. 

Vieles, was gerade an den Theatern passiert, mag durchdacht sein, mag klug sein und einen ganz eigenen ästhetischen Wert haben. Es ist nur nicht das, was Theater eigentlich ausmacht. Ein Abend vor einem Stream ist kein echtes Theatererlebnis, ein Videogruß ist nicht vergleichbar mit der Energie, die während einer Performance zwischen Bühne und Zuschauerraum hin- und hergeht. Aber es sind Versuche, an deren Erfolg sich ablesen lässt, wie die Stadt das Theater vermisst. Das ist schon was.