Wenn die Kritik fehlt: Privatleben in der Krise wegen Krise
Rolf Stein ist Kulturredakteur bei der Kreiszeitung und vermisst nicht nur die Theaterbesuche …
Es ist erst ein paar Wochen her, aber: Ich musste doch im Kalender nachschauen: Spektrum hatte es sein sollen, ein Stück Tanztheater, dessen Premiere ich verpasst hatte, das ich aber aus beruflichen Gründen noch sehen wollte. Diese paar Wochen sind allerdings nicht nur mir schon ganz schön lang geworden. Aber welches Stück nun auf dem Programm stand an jenem Abend, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass das so in etwa der Anfang vom vorläufigen Ende war. Wenige Tage vor der Vorstellung schlossen die Theater ihre Pforten bis auf Weiteres. Wäre ich nun einfach ein geneigter Theatergänger mit Karten für den Abend gewesen, es wäre schon ärgerlich gewesen.
Nur war jetzt die Sache noch komplexer.
Wozu ich ausholen muss. Es ist wohl eine Nachwehe meiner Zeit als freier Kritiker, dass das Berufsleben zu einem wesentlichen Teil aus dem Besuch von Premieren, Konzerten und ähnlichen Terminen besteht. Es gehört zu den wenigen Privilegien jenes eher prekären Standes, dass man eigentlich ganz prinzipiell keinen Eintritt zahlt. Was sich leider oft relativiert, weil man seine Termine nicht immer danach wählt, was spannend, schön, anregend oder sonst wie interessant sein könnte. Spielplan und Blattplanung, Honorar und ein wenig auch die Notwendigkeit des Netzwerkens bedingen, dass man sich da draußen herumtreibt, und mancher Termin verdankt sich dem Umstand, dass sonst keiner hingehen mag. Das kann zwar interessant sein, aber manchmal eben auch deprimierend. Lindernd wirkt da, dass man als Kritiker eine Person eigener Wahl mit zu den Veranstaltungen nehmen kann, oft mit einer zusätzlichen Freikarte, dem berühmten „plus eins“, manchmal immerhin mit Ermäßigung. Und das zur Organisation des eigenen Soziallebens zu nutzen, ist im Grunde alternativlos. Viel Zeit für Verabredungen bleibt ja ansonsten kaum, wenn man vier Abende in der Woche im Dienste des Herrn unterwegs ist.
Es wäre jedenfalls bestimmt ein schöner Abend geworden, ein Freitag zudem, Ende also sozusagen offen.
Nach ein paar Jahren entwickelt man eine Ahnung davon, wem im Freundeskreis was gefallen könnte. Und ich hatte eine mir besonders liebe Begleitung gewinnen können. Um Sie zu beruhigen: Die Verabredung für jenen Abend fiel doch nicht ganz ins Wasser. Es waren die Abende, die da folgten, Premieren und Konzerte, die abgesagt wurden, die daran erinnerten, was eben noch dran hängt an diesem seltsamen Leben: die Begegnungen mit Menschen. Mit denen man Auseinandersetzungen führt, Zusammenarbeit verabredet und so weiter. Der informell-formelle Rahmen, von außen gar nicht leicht als solcher zu erkennen, geschweige denn zu entziffern, ist einem, der drinsteckt, wiederum geradezu selbstverständlich geworden. Dass einem das dann mal wieder klarer wird, auch als Teil des ökonomischen Kontextes der eigenen Arbeit, ließe sich mit viel gutem Willen als positiver Effekt der Krise mit dem C lesen. Im Großen und Ganzen aber ist es natürlich alles großer Mist. Wobei, das versteht sich, die Sorgen derer, die direkt am Theater arbeiten, ungleich größer sind als die zumal eines festangestellten Kulturredakteurs.
Der stellt sich nun auf weitere Wochen des „social distancing“ ein und sieht seinen Terminkalender in ganz neuem Licht.
Die Fahrten nach Oldenburg, Hannover oder Hamburg mit Kollegen und jeweiliger Begleitung, die Nachbesprechung in der Kneipe – all das liegt in weiter Ferne. Wir reden jetzt über andere Dinge, wenn wir uns zufällig beim Spazieren treffen. Und manchmal dreht man eine Runde mit den engsten Freunden, eine nach dem anderen. Einen Stream schauen wir aber doch nicht zusammen. Meistens.