Über Posaunen im Keller und Geigen im dritten Stock
Dramaturgin Brigitte Heusinger unterhält sich mit dem Generalmusikdirektor der Bremer Philharmoniker über sein Einstandsdirigat im Graben des Theater Bremen: Das schlaue Füchslein von Leos Janáček.
Brigitte Heusinger: Wie ist dein Verhältnis zu Janáček?
Marko Letonja: Schon zu Beginn meiner Karriere habe ich „als sinfonischer Dirigent“ in meiner Heimat Slowenien viel Dvořák, Smetana und Janáček gespielt. Später kamen die Opern dazu: Aus einem Totenhaus, Die Sache Makropoulos und Kátja Kabanová. Janáčeks musikalische Welt ist sehr speziell. Wenn man einen Takt hört, weiß man, um welchen Komponisten es sich handelt. Natürlich liegt es am Material, seinen Ideen, seiner Nähe zu Volksmusik. Aber es liegt ebenso an der Instrumentierung und den ganz starken Kontrasten: Gerade warst du mit den Posaunen ganz tief im Keller und danach nahtlos mit den Piccoloflöten und den Geigen in der dritten Etage. Oder der metrische Aspekt: Ständig wählt Janáček die 5 als Metrum. Wir Musiker können ganz gut in 2, 3 oder 4 zählen, die 8 geht auch noch, zur Not die 9, aber bei 5 und 7 tun wir uns schwer.
Welche Gefühle erzeugt das beim Zuhören?
Marko Letonja: Einen instabilen Zustand, einen Rhythmus, der schwebt. Man kann nicht bestimmen, wo sich der Schwerpunkt des Taktes befindet.
Wie auf einem schwankenden Schiff. Hat das etwas mit Janáčeks Weltsicht zu tun?
Marko Letonja: Was wir von ihm wissen, ist, dass er im positiven Sinne ein Nationalist war. Er hat sich für Tschechien und Moldawien, wo er herkam, stark eingesetzt. Elemente der Volksmusik sind bei ihm sehr präsent. Aber er hat sie auf sehr eigene Weise überformt, in eine musikalische Sprache übersetzt, die nur ihm gehört. Das war auch ein Grund, warum ich unbedingt wollte, dass wir die Oper auf Tschechisch machen. Aber vor allem wegen des Duktus´ der Sprache. Ich bin kein Purist im eigentlichen Sinne. Ich habe auch schon mal eine Zauberflöte auf Englisch gemacht. Aber Füchslein in Bremen auf Deutsch zu machen, wäre genauso als würde man in Prag die Götterdämmerung auf Tschechisch singen. Ein Komponist bemüht sich meist jahrelang um ein Libretto und schreibt die Noten exakt auf die Worte. Wenn man dann eine andere Sprache unterlegt, bedeutet das, dass man Notenwerte verändern und in die musikalische Struktur eingreifen muss.
Und gerade Janáček hat ja der Sprache, dem Sprechen genau zugehört und dem Sprechen seine musikalische Struktur abgelauscht. Er lief ja mit einem Notizbuch durch seine Welt und notierte: den Gesang der Vögel und die Gespräche der Nachbarn ….
Marko Letonja: Ja, und das alles hat er in seinen Kompositionen genutzt und manchmal so kompliziert notiert wie es nur geht. Extrem schwer zu singen, extrem schwer zu spielen.
Warum ist es so schwer?
Marko Letonja: Manchmal wegen der extremen Intervallsprünge, aber vor allem durch die Art der Notation, also wie die Partitur geschrieben ist. Es gab ja Versuche – nicht nur bei Janáček, sondern beispielweise auch für Stravinskys Sacre du Printemps – die Notation zu vereinfachen, den Rhythmus, die Metrik in eine einfachere Form zu bringen. Doch der Zeitgeist seit zwanzig Jahren kehrt zum Original zurück.
Komplizierte Strukturen brauchen mehr Konzentration. Ist das ein positiver Nebeneffekt einer schwierigen Notation?
Marko Letonja: Ja, aber die Zuschauer:innen dürfen es nicht merken. Es soll alles so klingen als hörten sie eine ganz normale Arie von Mozart im Drei- oder Viervierteltakt.
Bei Janáček gibt es ja durchaus Melodien, aber vielleicht sind es die kürzesten der gesamten Musikgeschichte.
Marko Letonja: Ja, das stimmt und einige davon könnte man durchaus als Leitmotive bezeichnen, die allerdings kontrapunktisch sehr kompliziert sind. Aber diese kurz aufscheinenden Formeln werden im Füchslein unterbrochen von Passagen mit langen Linien mit einer nahezu romantischen, lyrischen Klangsprache. Das Liebesduett zwischen Fuchs und Füchslein zum Beispiel. Oder das Orchesterzwischenspiel, nachdem der Förster das Füchslein gefangen hat. Das sind die Momente, in denen sich die hart verdiente Abendgage, das Durchbeißen durch die Noten, lohnen: diese Momente, die vom Himmel kommen. Oder das kleine Duett am Ende des zweiten Aktes, in welchem der Fuchs zu seiner Frau sagt: Sag mal, wie viele Kinder haben wir eigentlich? Und sie antwortet, dass sie es nicht weiß. Und er daraufhin vorschlägt, dass noch welche dazukommen könnten und sie ihn wiederum auf den Mai vertröstet.
Das geschieht kurz nach der Hochzeit. Man sieht daran, wie verdichtet die zeitliche Struktur in dieser Oper ist.
Marko Letonja: Ja, nach zwanzig Minuten sind Fuchs und Füchslein schon ein älteres Ehepaar. Die Oper ist zackig kurz. Und natürlich ist dieser Zeitsprung auch witzig.
Humor?
Marko Letonja: Ja gerade in der Welt der Tiere. Nehmen wir die Begleitmusik zu den Hühnern, dem Hühnerchor: eine ganz motorische Musik, eigentlich ein Vorgriff auf die Minimalmusik.
Die Hühner picken notorisch, während das Füchslein ihnen ganz im Sinne des Feminismus erklärt, dass sie sich doch vom Hahn befreien sollten, der sie nur unterdrücken würde.
Marko Letonja: Ja, im Hühnerchor reagieren die Hühner gar nicht auf das Füchslein, das ihnen erklärt, dass sie alle vom Hahn ausgebeutet werden. Es ist so, als würde in einer Monarchie ein Demokrat reinkommen und die Frauenrechte proklamieren. Aber die Hühner bleiben stoisch und picken weiter. Das Füchslein – das sieht man hier einmal mehr – springt als einzige zwischen den Welten hin und her.
Ist die Tierwelt in dem Werk die bessere, steht sie der verderbten Menschenwelt als Ideal gegenüber?
Marko Letonja: Sagen wir mal, in der Tierwelt sind die Regeln klarer. Die Füchse fressen die Hühner und Hasen. Bei der ersten Begegnung fragt der Fuchs das Füchslein: „Rauchen Sie?" Sie sagt: „Noch nicht.“ Dann fragt er: „Essen Sie gerne Hasenfleisch?“ Und sie antwortet: „Liebend gerne.“ Und das Ganze ist in eine überaus zärtliche Musik verpackt.
Auf dem Programm deines Abschiedskonzertes in Straßburg, wo du seit 2012 Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters warst, standen auch zwei Werke von Janáček: die Glagolitische Messe und die Sinfonietta.
Marko Letonja: Ja, ich habe in kurzer Zeit drei komplexe, aber sehr unterschiedliche Partituren eines Komponisten erarbeiten dürfen. Alle zeigen ein völlig anderes Gesicht von Janáček, der sich aber immer treu bleibt, sei es in der Melodik, dem Rhythmus oder der extremen Instrumentierung. Das war mein Glück. Es ist etwas anderes, die Werke einfach nur im Verbund zu hören, als sie wirklich aufführen zu dürfen, die Musik in den Händen, in den Knochen, im Herzen und auch im Gehirn zu haben.
Veröffentlichung: 24.09.2021