Animal Farm. Ein Experiment mit Patrick Balaraj Yogarajan
Was passiert, wenn die Schweine die Macht übernehmen? Dramaturgin Sonja Szillinsky hat die Proben zu Animal Farm als Outside Eye begleitet.
„Vier Beine gut, zwei Beine schlecht!“, so lautet der verkürzte Grundgedanke des „Animalismus“, der neuen Ordnung, die nach der Revolution auf der Farm der Tiere gilt. Denn die Tiere hatten genug von der Unterdrückung durch die Menschen und haben sie erfolgreich vom Hof gejagt. Nun soll das Handeln dem Gebot „Alle Tiere sind gleich“ folgen, und alles, was vom Menschen ausgeht oder an menschliche Verhaltensweisen erinnert, muss verhindert werden. Doch dieses klar umrissene Feindbild nutzt eine kleine Gruppe von Schweinen, um ein unterdrückerisches und ausbeuterisches System zu errichten, das mit der Zeit gewaltsamer ist als jenes, von dem sich die Tiere befreit haben.
Die Parabel Animal Farm ist neben 1984 wohl der bekannteste Text des britischen Schriftstellers George Orwell und zählt zu den einflussreichsten Romanen des 20. Jahrhunderts.
Der Schauspieler Patrick Balaraj Yogarajan beschäftigt sich schon lange mit Orwells Text. „Was mich am meisten daran interessiert, ist, dass die Tiere am Anfang sieben Gebote aufstellen, die es ihnen ermöglichen sollen, die Farm gut zu führen und ein besseres Leben zu haben – und dass dann alles ganz anders verläuft: Am Ende stehen völlig andere Gesetze da als zu Beginn.“, erzählt er bei den Proben zu seinem Schauspiel-Solo, das im Rahmen von Common Ground zu sehen sein wird. Diese Beobachtung mache ihn nachdenklich, denn auch Grundsätze und Versprechungen in Demokratien lösten sich nicht für alle ein: „Der erste Artikel des deutschen Grundgesetzes heißt ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘. Aber wenn ich sehe, was vielen meiner Mitmenschen passiert, dann glaube ich, dass gegen diesen Grundsatz oft verstoßen wird.“ Auf der Farm der Tiere werden die Gebote mit der Zeit angepasst, um die Privilegien und den Machtanspruch der Schweine zu legitimeren:
„Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher als andere“, heißt es dann – und damit ist alles erlaubt.
George Orwell hat sich in seinem Leben immer wieder literarisch mit gewaltvollen Herrschaftsformen auseinandergesetzt: Mit dem totalitären System Stalins, das ihm als historisches Vorbild für Animal Farm diente, und mit dem britischen Imperialismus, den er als Sohn eines Kolonialbeamten früh erlebte und mit der Zeit immer stärker ablehnte, vor allem, als er selbst Beamter wurde. Am 25. Juni wäre Eric Arthur Blair, der unter dem Pseudonym George Orwell veröffentlichte, 120 Jahre alt geworden. Als Animal Farm 1945 erschien, war die Welt eine andere als heute. Doch die Fragen, die darin aufgeworfen werden, scheinen noch immer aktuell: Was führt dazu, dass einzelne Personen oder Gruppen ihre Macht missbrauchen, um den eigenen Einfluss zu festigen und andere zu beherrschen? Wie lassen sich Diktaturen verhindern?
Auf dem Goetheplatz lädt Patrick Balaraj Yogarajan das Publikum ein, mit ihm darüber nachzudenken, was Freiheit bedeutet.
Er hofft auf Interaktion mit dem Publikum: „Ich nenne es ein Experiment, weil ich auch nicht genau weiß, was passieren wird. Das Plus von Theater ist ja, dass alle in diesem Moment die gleiche Luft atmen. Das birgt das Potenzial, gemeinsam etwas zu erzählen oder zu hinterfragen.“
Veröffentlicht am 20. Juni 2023