„What is past is prologue“
Über „Falstaff“, seine sechste Arbeit in Bremen, die Ende Januar Premiere feiert und über die Oper überhaupt: Ein Gespräch von Regisseur Paul-Georg Dittrich und Dramaturgin Caroline Scheidegger.
Caroline Scheidegger: Ein zentrales Element des „Falstaff“-Bühnenbilds ist ein Zitat aus Shakespeares „The Tempest“, das in großen Versalien Bühnenrund und Zuschauerraum umschließt. „What is past is prologue“ ist dort zu lesen, frei übersetzt: „Das Vergangene ist der Prolog.“ Dir war das Mittel Text im Bühnenbild seit Beginn der Vorbereitung sehr wichtig und wir haben als Team lange nach dem passenden Zitat gesucht, bis wir schließlich noch nach der Modellabgabe bei Shakespeare, der ja auch die literarische Vorlage für Verdis letzte Oper lieferte, fündig wurden. Warum dieses Zitat?
Paul-Georg Dittrich: Zum einen, um die Architektur des Bühnenbilds, die Arena zu unterstreichen, die sich mit dem Zuschauerraum verbindet und Falstaff ins Zentrum rückt, ja ins Fadenkreuz nimmt. Falstaff steht in dieser Gesellschaft von Windsor, in die er hereinplatzt und gegen deren Normen er verstößt, buchstäblich auf der Anklagebank. Zum anderen bringt Shakespeare in nur fünf Worten auf den Punkt, was mir für unsere Interpretation sehr wichtig ist: Dass wir es mit Falstaff nicht nur mit einem sehr konkreten und körperlichen Charakter zu tun haben, sondern vor allem auch mit einem zeitlosen Prinzip. Er ist das freie Radikal, das Andere, das Zahnrad, das eine Gesellschaft braucht, um überhaupt lebendig zu bleiben, und er setzt sich durch Anziehung und Abstoßung immer wieder zu ihr in Beziehung. Einen Falstaff wird es immer geben bzw. die Gesellschaft wird sich immer einen Falstaff kreieren, in jeder Generation, in jeder Epoche. Und ich finde auch, dass das Zitat sehr gut zu Verdi passt. Verdi schreibt mit Falstaff seine letzte Oper, geht am Ende seines Lebens stilistisch noch mal in eine andere Richtung, wagt sich nach über 50 Jahren noch mal an eine Komödie, die nicht weniger politisch ist als ihre dramatischen Vorgänger. Im scheinbar leichten Gewand verabschiedet er sich mit einem bitterbösen Kommentar auf die Gesellschaft und hält uns mit der Schlussfuge gnadenlos und auf fast postdramatische Weise den Spiegel vor. Mich erinnert das immer ein bisschen an Brecht, der an dieser Stelle vielleicht sagen würde: „Glotzt nicht so romantisch!“
„What is past is prologue“ passt auch ganz gut zu deiner Arbeit als Musiktheaterregisseur. Du hast es fast immer mit Vergangenem, mit alten Stoffen und Werken zu tun. Was reizt dich daran?
Paul-Georg Dittrich: In allererster Linie, dass die Stoffe und Werke immer wieder eine Gültigkeit haben, egal wie alt sie sind. Es lässt sich immer ein Kern herausschälen, der die Zeiten überdauert und etwas mit uns und mit der Wirklichkeit, die uns umgibt, zu tun hat. Das ist jedes Mal eine große Entdeckungsreise und vor allem eine intensive Suche nach den richtigen ästhetischen Mitteln, mit denen man einen 100-, 200- oder 300-jährigen Stoff befragt und in unsere Wirklichkeit reinzieht.
Du gehst ja mit den Mitteln eher verschwenderisch um.
Paul-Georg Dittrich: Verschwenderisch klingt jetzt so negativ (lacht), ich würde eher sagen verspielt. Ich möchte einfach auf ganz vielen verschiedenen Ebenen berühren, Fragen stellen oder zum Nachdenken anregen. Mit dem Publikum bestenfalls in einen Dialog treten. Widersprüche zulassen. Gerade heute, im 21. Jahrhundert, sind wir und unsere Wirklichkeit oft so unglaublich widersprüchlich, dass ich es sehr reizvoll finde, dies auch auf die Bühne zu übertragen.
Ein Mittel, das du gerade in deinen Bremer Inszenierungen immer wieder eingesetzt hast und jetzt auch bei „Falstaff“ wieder benutzt, ist das Mitwirken von Kindern. Warum tauchen bei dir so häufig Kinder auf der Bühne auf?
Paul-Georg Dittrich: Weil Kinder und Jugendliche auf der Bühne immer sie selbst sind. Sie sind nie Rollen, egal wie sie kostümiert sind und sie haben eine Authentizität und Unverstelltheit, die kein Profi je herstellen kann. Das ist unglaublich direkt und hat eine Kraft, die für mich und alle Beteiligten bei der Arbeit immer wieder sehr erfrischend ist. Und sie bringen als Zeichen und in der Sprache ihres Spiels noch einmal einen ganz anderen Aspekt, eine ganz andere Dynamik in eine Inszenierung, gerade wenn man etwas Generationenübergreifendes erzählen will. Ich finde, sie verbinden ein „altes“ Stück und unsere Gegenwart noch einmal auf eine ganz besondere Weise.
Was ist das Fundament deiner Inszenierungen?
Paul-Georg Dittrich: Ganz klar die Narration. Um bei den Kindern und beim Verspieltsein zu bleiben: So gerne ein Kind auch spielt, so gerne will es auch mitgenommen werden. Es will träumen, weinen, lachen, Angst haben und das geht nur über die Erzählung. Der narrative Bogen durchzieht die Inszenierung im besten Fall wie eine DNA und nährt und vergrößert die verschiedenen ästhetischen Ebenen, die darüber liegen.
Du hast in den letzten Jahren sehr oft in Bremen gearbeitet: „Falstaff“ ist deine mittlerweile sechste Inszenierung hier am Theater. Was hat dich bei deinen Arbeiten begleitet?
Paul-Georg Dittrich: Am Theater Bremen habe ich meine Liebe zum Musiktheater entdeckt. Ich komme ja ursprünglich von der Schauspielregie und habe in Bremen 2015 mit Wozzeck meine erste Oper inszeniert, dann folgten ganz unterschiedliche Werke von Beethoven über Donizetti, Verdi bis hin zu Berlioz. Das Theater Bremen und die Menschen, mit denen ich hier arbeite, haben mir sehr viel ermöglicht, waren offen für Experimente, Versuche, die in ganz unterschiedliche Richtung gingen. Ich sage das immer gerne und meine das auch wirklich so: Bremen ist für mich in den letzten Jahren eine Theaterheimat geworden.
Deine letzte Inszenierung „Ich bin Carmen“, die im November 2021 im Kleinen Haus Premiere hatte, trägt den Untertitel „Musiktheater nach Georges Bizet“. Es ist ein Musiktheaterabend, für den du und dein Team nicht nur den Carmen-Stoff neu befragt, sondern auch Bizets Oper musikalisch überschrieben habt. Was war das Besondere an dieser Arbeit?
Paul-Georg Dittrich: Auch mit der Musik so frei spielen zu können, wie ich mit den anderen Mitteln spiele. Jetzt im Rückblick ist mir klargeworden, dass das Musiktheater noch mal eine ganz andere Facette gewinnt, wenn man in speziellen Projekten die Chance hat, in die Musik einzugreifen, Musik als Material zu verstehen. Dass ich dann eben nicht nur über die visuellen Ebene versuche, einen Stoff ins Heute zu ziehen, sondern auch auf der musikalischen. Das ist eine Spur, die ich sehr gerne weiterverfolgen würde, vielleicht in einem etwas größeren Rahmen. Um wieder eine große Oper zu nehmen, die jeder kennt, Aida oder Don Giovanni zum Beispiel, und dann mit einem präparierten Klavier, zwei Flügeln vielleicht, zwei Live-Elektronikern und ein paar Sänger:innen ein neues Stück daraus zu entwickeln.
Andere Spuren, Stücke, die dich interessieren?
Paul-Georg Dittrich: Früher gab es mal so eine Liste mit Wunschstücken, die ich immer mit mir geführt habe, aber das war noch zu meiner Zeit als Schauspielregisseur, um immer eine Antwort parat zu haben. Was mich wirklich sehr reizen würde, ist bei Alban Berg anzuknüpfen und mich noch mehr mit modernen oder zeitgenössischen Stücken zu beschäftigen. Etwas von Luigi Nono zu inszenieren zum Beispiel oder Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann.
Veröffentlichung: 25.1.22