What it’s worth fighting for
Beim Festival Vier Tage Tanz ist ein Solo von Milla Koistinen zu sehen. Der Dramaturg Gregor Runge im Gespräch mit ihr über Profisport und Aufhören, Widerstand und Hingabe.
– english version below –
In GRIT beschäftigst Du dich mit Themen wie Resilienz und Ausdauer. Im Rahmen deiner Recherchen hast du mit ehemaligen Profisportler:innen gesprochen. Was hast du sie gefragt?
Ringa Ropo ist eine finnische Ex-Weitspringerin. Sie war in den 1990er Jahren sehr aktiv, ich war also etwa zehn Jahre alt, als ich sie im Fernsehen sah. Sie hält immer noch den finnischen Rekord im Weitsprung, was ziemlich erstaunlich ist. Als wir uns bei ihr zu Hause trafen, war ich überrascht über ihre Offenheit, mit der sie über ihre Karriere sprach. Sie erzählte mir von ihrer Verletzungsgeschichte, einschließlich einer schweren Rückenoperation, und wie sie es geschafft hat, ihre professionelle Sportkarriere fortzusetzen, obwohl sie mit vielen körperlichen Problemen zu kämpfen hatte. Als wir uns auf dem Sportplatz trafen und einige physische Grundlagen des Weitsprungs übten, kam die Athletin in ihr sofort wieder zum Vorschein. Da begann ich zu begreifen, dass Sport nicht nur ein Werkzeug ist, um choreografisches Material für mein Stück zu schaffen, sondern eine Metapher für etwas viel Größeres.
Du hast auch den ehemaligen Profifußballer Thomas Broich getroffen.
Ich begleitete Thomas auf den Fußballplatz, wo er einen 12-jährigen Nachwuchsspieler trainierte. Dieser junge Spieler kam kaum ins Schwitzen, während Thomas und sein Co-Trainer versuchten, mit ihm Schritt zu halten. Es war faszinierend, diese Professionalität in jungen Jahren zu sehen, die Entschlossenheit und den Willen, eine Sache immer wieder zu üben. Ich fand das erfrischend in Bezug auf meine eigene Tanzpraxis. In GRIT hantiere ich mit diesem großen Gummisegel. Es ist sehr schwer, es riecht, es ist nicht einfach zu handhaben. Ich musste es manchmal täglich ins Studio tragen, und das war ein gutes Training. Die Hingabe, die ich bei den Profisportler:innen beobachtet habe, hat mich in meiner eigenen Hartnäckigkeit bestärkt, dieses Element durch die Stadt zu schleppen, nur um arbeiten zu können.
Ich habe mich gefragt, ob du dich ursprünglich für die Recherche des Profisport interessiert hast oder ob es dein Interesse an Themen wie Widerstand und Entschlossenheit war, das dich dazu gebracht hat, dich mit Sport zu beschäftigen?
Ich war neugierig auf Sportler:innen, die einen etwas anderen Weg einschlugen und nicht einfach nur einen Wettbewerb gewinnen wollten. Wie Billie Jean King, die berühmte Tennisspielerin, die während ihrer gesamten Karriere eine wichtige Aktivistin für die Rechte der Frauen war. Oder Diana Nyad, die Schwimmerin, die so oft versucht hat, von den Vereinigten Staaten nach Kuba zu schwimmen und es schließlich im Alter von 64 Jahren geschafft hat. Ich habe auch den Leiter von Don't break the game interviewt, einer Kampagne, die in Finnland auf Menschenrechtsfragen im Sport aufmerksam macht. Bei näherer Betrachtung ist der Sport, genau wie die Kunst, sehr stark mit gesellschaftlichen Fragen verbunden. Je mehr ich recherchierte, desto mehr interessierte ich mich dafür, wie Sport, Kunst und Politik tatsächlich miteinander verflochten sind.
Was würdest du sagen, was diese Bereiche miteinander verbindet?
Ich bin sehr interessiert an dieser Debatte, die besagt, dass Sport nicht politisch ist. Bei meinen Gesprächen mit Ringa Ropo habe ich auch mit ihrer Tochter gesprochen, die selbst Sportlerin und Teil der Don't break the game-Kampagne ist. Sie setzt sich sehr leidenschaftlich für die Rechte der Frauen im Sport ein. In der Welt des Profisports sind politische Äußerungen während der Wettkämpfe sehr streng geregelt. Wie kann man seine Sichtbarkeit nutzen, um die Menschen nicht nur zu unterhalten, sondern auch über wichtige soziale oder politische Fragen zu sprechen, trotz gegensätzlicher Interessen der Sponsoren? Wie können Profisportler:innen etwas bewirken? Meine eigene Arbeit ist nicht politisch im Sinne von politischen Aussagen. Aber ich frage mich schon: Welche Art von Themen möchte ich diskutieren, welche Art von Arbeit möchte ich in der heutigen Zeit machen, was ist die Rolle eines Künstlers und welchen Einfluss habe ich, um Veränderungen zu bewirken?
GRIT ist ein Solostück, aber wie du schon sagtest, bist du nicht allein auf der Bühne, denn du trittst in einen physischen Dialog mit einem Objekt, das für das Werk ziemlich zentral ist.
Mein Bühnenbildner Teo Paaer hatte die Idee mit diesem riesigen Gummisegel. Es ist im Grunde wie ein riesiges Widerstandsband, das man beim Training benutzt. Es ist eine Art Hindernis, mit dem ich arbeiten muss, und es ist eine Menge Arbeit. Sein Verhalten ist immer ein bisschen unberechenbar, es ist groß, schwer und bietet viel Widerstand für meine körperliche Interaktion mit ihm. Während der Proben musste ich Räume finden, die groß genug waren, um mit ihm zu arbeiten, also schleppte ich ihn in diese großen, altmodischen Sporthallen, wo er ziemlich viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Der ganze Prozess war sehr interessant, es hat mich viel Mühe gekostet, dieses Objekt zu handhaben, es von A nach B zu schleppen, und ich habe das Gefühl, dass diese Interaktion sehr eng mit dem Thema und der Recherche für mein Stück verbunden ist.
Während sich GRIT mit Resilienz als einer Eigenschaft beschäftigt, die den Weg durch Schwierigkeiten weisen kann, hast du dich in deinem jüngsten Werk mit den Unusual Symptoms, Dawn mit der Idee der Hoffnung beschäftigt. Würdest du sagen, dass es zwischen diesen beiden Werken Gemeinsamkeiten gibt?
Die beiden Stücke sind recht unterschiedlich, aber es gibt definitiv eine Verbindung. Während der Entstehung von Dawn war ich auf der Suche nach Dingen, für die es sich noch zu kämpfen lohnt, wenn die Dinge anfangen ziemlich düster auszusehen. Und das ist eine Frage, die mich auch bei der Entstehung meines Solos beschäftigt hat. Wenn man diese Dinge findet, dann gibt es Hoffnung, und wenn es Hoffnung gibt, dann gibt es Zähigkeit, Ausdauer und Beharrlichkeit. Sie ist immer da draußen, aber man muss sie suchen.
Veröffentlicht am 17. April 2025.
– english version –
A solo by Milla Koistinen can be seen at the Vier Tage Tanz festival. Dramaturg Gregor Runge talks to her about professional sport and quitting, resistance and devotion.
In GRIT (for what it’s worth) you are dealing with themes such as resilience and endurance. As part of your research, you have talked to former professional athletes. What did you ask them?
Ringa Ropo is a Finnish ex-long-jumper. She was very active in the 1990s, so I was like ten years old when I was watching her on TV. She still holds the Finnish record in long jump, which is quite amazing. When we met in her home, I was surprised about her openness when talking about her career. She told me about her history of injuries, including a severe back surgery, and how she managed to continue her professional sports career while dealing with a lot of physical problems. At one point in her life, she lost her child, and when we met, it was only a year after her second husband had passed away. Her whole life is entangled with sports, but not only hers. When she quit her career, it was her husband back then who started to cry, as after all the years of supporting her, it felt to him as if it would be his career which ended that day. Yet, when we met on the field and practiced some physical basics of long jump, this athlete in her was immediately coming back. It’s when I started to realize that sports is not only a tool to create choreographic material for my piece, but a metaphor for something much bigger.
You also met former professional soccer player Thomas Broich.
I accompanied Thomas to the soccer pitch, where he was coaching a 12-year-old junior player. This young player was barely breaking a sweat while Thomas and his co-coach were trying to keep up with him. It was fascinating to see this professionalism at young age, the determination and will to practice a thing again and again. I found this refreshing in terms of my own dance practice. In GRIT, I am handling this huge rubber sheet. It’s very heavy, it smells, it’s not easy to handle. I had to carry it to the studio sometimes daily and it was a good workout. The devotion I observed with the professional athletes fed into my own stubbornness to drag the set around the city just to be able to work.
I was wondering if you initially were interested in researching professional athleticism or if it was your interest in themes like resistance and determination that eventually made you look into sports?
I got curious about athletes who were following a bit of a different path, not being in it for simply winning a competition. Like Billie Jean King, the famous tennis player who was an important activist for women’s rights throughout her career. Or Diana Nyad, the swimmer who tried so many times to swim from the United States to Cuba and finally succeeded at the age of 64. I was also interviewing the leader of Don’t break the game, a campaign which highlights human rights issues in sports in Finland. If we take a closer look, sports are very much linked to matters of society, just like art. The more research I did, the more I got interested in how sports, arts and politics are actually intertwined.
What would you say is it that connects these fields?
I’m very interested in this debate that says sports is not political. During my conversations with Ringa Ropo, I also talked to her daughter, who is an athlete and part of the Don't break the game campain. She’s very passionate about women’s right in sports. The professional sports world is very strict about making political statements during competitions. How can you use your visibility not only to entertain people but talk about important social or political questions, despite conflicting interests of sponsors? How can professional athletes make a difference? My own work is not political in terms of making political statements. But I do ask myself: What kind of issues do I want to discuss, what kind of work do I want to make in this time and age now, what is the role of an artist, and what is my influence in adressing change?
GRIT is a solo piece, but as you mentioned you are not alone on stage, because you are entering a physical dialogue with an object which is quite central to the work.
My set designer Teo Paaer came up with the idea of this huge rubber sheet. It’s basically like a huge resistance band one would use when working out. It’s sort of an obstacle I have to work with, and it’s a lot of work. It’s behaviour is always a bit unpredicatable, it’s big, it’s heavy and it gives a lot of resistance to my physical interaction with it. During rehearsals, I had to actually find spaces that were big enough to work with it, so I was dragging it into these big old-fashioned sports halls, where it drew quite some attention. The whole process was very interesting, it took me a lot of effort to handle this object, dragging it from A to B, and it feels like this interaction is very connected to the theme and research of my piece.
While GRIT deals with resilience as a quality that can guide the way through hardships, you have dealt with the idea of hope in your most recent creation with Unusual Symptoms, Dawn. Would you say that there are familiarities between these two works?
The works are quite different from each other, but there is definitely a connection. During the making of Dawn, I was busy searching for things that are still worth fighting for when things start to look pretty dark. And this is a question that resonated with me during the solo creation as well. When you find these things, there is hope, and when there is hope, there is grit, endurance, perseverance. It’s always out there, but you need to look for it.
Published on April 17, 2025.