Wie klingen die Sirenen?
Odysseus geht im nächsten Familienkonzert auf Abenteuerreise. Caroline Scheidegger, Dramaturgin im Musiktheater, darüber, wie man jemanden auf einer Irrfahrt begleitet.
Genaugenommen ist er bis heute nie wirklich zuhause angekommen. International ist er mittlerweile unterwegs, seit rund 3000 Jahren – als ihn sein literarischer Vater Homer zum ersten Mal auf Irrfahrt über das Mittelmeer geschickt hatte – reist er durch die gesamte Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte. Er war in Dantes Inferno, bei Monteverdi in Italien, bei James Joyce in Irland. Er kreuzte auf im kleinen gallischen Dorf bei Asterix, unternahm 2001 eine Odyssee in den Weltraum und an Malern ließ er ohnehin nur wenige aus.
Für das Familienkonzert Odysseus auf Irrfahrt macht der weitgereiste und wohl älteste Abenteurer Odysseus jetzt Halt im Theater Bremen.
Hier schlüpft Schauspieler Alexander Swoboda in seine Rolle. Nur ein gelbes Schlauchboot, eine einfache Landkarte und einen kleinen Koffer gesteht er ihm dabei zu. „Immerhin“, ist man versucht zu denken, denn vermutlich hatte auch der antike Odysseus nicht mit einer so langen Abwesenheit und beschwerlichen Reise gerechnet, als er sich in Ithaka von seiner Frau Penelope verabschiedete, um in Troja nach dem Rechten zu sehen. Als er nach zehn Jahren endlich die Idee mit dem Trojanischen Pferd hatte, wähnte er sich vermutlich schon fast wieder daheim bei Penelope. Doch er hatte die Rechnung nicht mit der kapriziösen griechischen Mythologie gemacht, die ihn nicht einfach glücklich Zuhause ankommen, sondern zuerst noch einmal übers Mittelmeer schlingern und aus geschätzten 2300 Seemeilen zehn lange Jahre werden lässt.
Dabei stößt Odysseus auf unzählige über- und unterirdische Gestalten und hangelt sich von List zu List.
Gegen den Riesen Polyphem helfen gute Getränke und eine glühende Pfahlspitze, um die beiden Seeungeheuer Skylla und Charybdis macht man besser einen großen Bogen und in der Nähe der Sirenen empfiehlt es sich, die Ohren mit Wachs zu verschließen oder sich zumindest an seinen Schiffsmast fesseln zu lassen.
Aber wie klingen sie denn, die Sirenen?
Wie sieht es aus in der Unterwelt? Wie fühlt es sich an, bezirzt zu werden? Und was ist eigentlich wirklich heldenhaft? Über die Meere von Abenteuer zu Abenteuer zu schippern oder zuhause zu warten, ohne zu wissen, ob es jemals ein Wiedersehen gibt? Die Sängerin Ulrike Mayer, die im Familienkonzert unter anderem als Penelope geduldig auf Odysseus wartet und dabei ganze 14.600 Gutemorgen- und Gutenachtküsse verpasst (das fühlt sich „ganzelendighundsgemeinsaudoof“ an, sagt sie) plaudert schon mal aus dem Nähkästchen: Der Gesang der Sirenen? „Unbeschreiblich schön, mindestens so schimmernd funkelnd wie die Kronjuwelen der Queen.“ Geheimtipp?
„Sie fürchten, typisch Sängerinnen, jede Art von Erkältung … also einmal kräftig niesen, bitte!“
Die Unterwelt? „Es ist auf jeden Fall gut, eine Taschenlampe dabei zu haben.“ – Und wer ist der wirkliche Held? Odysseus oder du? „Beide. Wirklich heldenhaft ist, für jemanden da zu sein, egal ob zuhause wartend oder unterwegs.“ Penelope wird bestimmt recht haben: Der Mythos rund um Odysseus ist eben nicht nur eine gute Abenteuergeschichte, eine Erzählung über Mut, Neugier und Erfindungsreichtum, sondern vor allem auch eine Geschichte über Familie, Treue und Zusammenhalt: Über die Sehnsucht nach Zuhause, das Heimkehren und das sich Wiederhaben. Wieviel Mut braucht es dafür?
Veröffentlichung: 16.6.22