Wie anders weiter jetzt?

Die Dreigroschenoper kommt erst im April wieder. Intendant Michael Börgerding mit einem Ausblick in die nächsten Wochen

„Niemals aufgeben, immer weitermachen. Immer weiter. Immer weiter“, hat Oliver Kahn einmal nach einem legendären Meisterschaftsfinale in Hamburg zu seinem damaligen Trainer Ottmar Hitzfeld gesagt (die Bayern holten sich noch in der 94. Minute die Meisterschaft). Ein Satz, der einem einfällt, wenn man gefragt wird, was man denn jetzt plane angesichts der Omikron-Wand, die da auf uns zukommt. Aber auch Beckett fällt einem ein, natürlich. „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better. / Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

Am letzten Samstag haben wir die Wiederaufnahme von Woyzeck gespielt, ein ausverkauftes Haus im Schachbrettmuster, begeisterte Zuschauer und gerührte Spielerinnen auf der Bühne – knappe neun Jahre ist es her, dass die Produktion ihre Premiere hatte: Woyzeck nach Georg Büchner mit den wunderbaren Songs von Tom Waits in einer Inszenierung von Klaus Schumacher. Was das Schöne und nicht nur mich Berührende dabei war: bis auf eine Umbesetzung ist es die gleiche Besetzung wie damals. Nur sind sie alle ein kleines bisschen älter geworden und haben vieles zusammen erlebt hier in Bremen. Simon Zigah stand damals zum ersten Mal auf der großen Bühne im Theater am Goetheplatz, Annemaaike Bakker spielte Marie und gewann damit gleich in ihrer ersten Spielzeit den Kurt-Hübner-Preis. Martin Baum, Peter Fasching, Guido Gallmann, Gabriele Möller-Lukasz und Susanne Schrader spielen jetzt wieder ihre Figuren, einzig Lieke Hoppe ist neu dabei – sie spielt jetzt den Tambourmajor (oder die Tambourmajorin?). Die Zeiten ändern sich.

Heute, Montag, 10. Januar, kann angesichts der Omikron-Variante niemand sagen, was in den nächsten Wochen sein wird. Wir gehen aber weiter davon aus, dass wir weitermachen. Und weiter versuchen, nicht zu scheitern. Natürlich hatten auch wir schon die ersten einzelnen Infektionen, mussten wir die eine und andere Vorstellung absagen. Wir spielen weiter. Und drücken jeden Tag die Daumen, dass es keine und keinen der Beteiligten in den Produktionen „erwischt“. Wir spielen und das weiter mit aller Vorsicht: Wir hatten die 2G-Regelung schon eingeführt, als sie noch keine Pflicht war. Wir finden auch die 2G+ Regelung angemessen und richtig (obwohl die Regelung es den Kolleginnen im Einlass noch einmal schwieriger macht). Wir haben uns und Ihnen eine Maskenpflicht auferlegt, obwohl wir es in Bremen gar nicht müssten, weil wir wissen, dass die FFP2-Maske der wirksamste Schutz überhaupt ist. Und wir sind im Januar zurück auf das Schachbrettmuster als Belegungsplan gegangen, weil wir die Sorgen vieler Besucherinnen und Besucher ernst nehmen und deren Wunsch nach Abstand verstehen. „Man wird leider im Alleinsein kein besserer Mensch“, schrieb mir Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, „das Soziale braucht ständiges Training“. Und den Spiegel der Bühne – davon sind wir weiter überzeugt, auch unter erschwerten, aber maximal sicheren Bedingungen. Von diesem Sozialen erzählen wir in den nächsten Wochen auf unterschiedlichste Weise im Schauspiel, im Musiktheater, im Tanz und im Kinder- und Jugendtheater.

Vor fast zwei Jahren, am 12. März 2020, mussten wir die Produktion Falstaff am Tag der Generalprobe absagen – Sie wissen alle, aus welchen Gründen. Eine große Verdi-Oper mit einer Titelfigur, dessen Devise es ist, maximalen Genuss mit minimalsten Mitteln zu erreichen, war das erste „Opfer“ der Pandemie. Anstand und Regeln kümmern Falstaff dabei wenig. Man ist versucht, Abstand und Regeln zu lesen. Jetzt starten wir einen neuen Versuch und vertrauen auf die gute Bremer Impfquote, 2G+ auf der Bühne und im Saal und auf das wunderbare Team aus dem dann vorletzten Jahr. Generalmusikdirektor Marko Letonja dirigiert Verdis virtuoses Alterswerk, ihm zur Seite steht Regisseur Paul-Georg Dittrich, der das Stück mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nah ans Heute und an das Publikum heranholt. Johannes Schwärsky singt als Gast Sir John Falstaff, an seiner Seite sehen und hören Sie nahezu das gesamte Ensemble des Musiktheaters, den Opernchor des Theater Bremen und die Bremer Philharmoniker.

Keine so lange Vorgeschichte wie Woyzeck oder Falstaff hat die dritte Premiere im Januar: Eileen. Vorlage ist ein Roman der US-amerikanischen Autorin Ottessa Moshfegh, in Deutschland bekannt geworden durch ihre Romane Mein Jahr der Ruhe und Entspannung und Der Tod in ihren Händen. Ihr zweiter Roman Eileen erschien 2015, ist ein hochgelobter Psychothriller und wäre eine wunderbare Vorlage für einen Film Noir. Aber jetzt bringt Elsa-Sophie Jach diesen Roman erstmal auf die Bühne – bevor er dann, da bin ich mir sicher, ins Kino kommt oder bei Netflix zu sehen ist. Es spielen Shirin Lilly Eissa, Irene Kleinschmidt, Siegfried W. Maschek und Mirjam Rast. Marlene Lockemann hat die Bühne entworfen, Belle Santos die Kostüme und die Sängerin und Songwriterin Stella Sommer schreibt den Soundtrack dazu.

Weiter geht es im Februar, hoffentlich immer weiter. Aber anders weiter als noch vor wenigen Tagen geplant und hier behauptet. Wir haben jetzt die Wiederaufnahme unserer vom Publikum wie von der Presse gefeierten Dreigroschenoper noch einmal verschoben – in den April. In der Hoffnung, dass wir dann einen Schritt weiter sind und den großen Pik der Omikron-Welle vielleicht schon überstanden haben. Die drei geplanten Vorstellungen im Februar ersetzen wir mit einer letzten Kasimir und Karoline-Vorstellung und zusätzlichen Woyzeck-Vorstellungen.

Seit dem Dezember arbeiten Unusual Symptoms und Adrienn Hód – nach ihrer ersten gemeinsamen Produktion Coexist – wieder in Bremen zusammen. In ihrer neuen Arbeit, die am 4. Februar Premiere im Kleinen Haus haben wird, setzt die ungarische Choreografin ihre Auseinandersetzung mit normativen Vorstellungen von Tanz und Performance fort. Diesmal mit einem divers besetzten großen Ensemble von zwölf Tänzer:innen mit und ohne Behinderung. Die Arbeit hat wie so oft im Tanz, nicht nur bei uns, noch keinen Titel – spätestens bei der Premiere werden wir ihn aber – hoffentlich – wissen.

„Eine kesse, quietschbunte Inszenierung, die viel zum Lachen bietet, aber nie in die Klamotte abgleitet“. „So geht komische Oper heute“. „Ganz im Zeichen der Virtuosität des Leichten“, so lauteten die hymnischen Kritiken nach der Premiere von Donizettis Opera buffa L’elisir d’amore (Der Liebestrank) aus dem Jahr 2014. Schöngesang, Schmelz, Koloratur, perlende Töne, Virtuosität: ein Sängerfest! Donizettis leichtes Lustspiel ist Belcanto vom Feinsten. Und natürlich purer Eskapismus. Den man vielleicht selten so gebraucht hat, wie in diesen Zeiten. Am Pult steht neu Alice Meregaglia, unsere Chordirektorin. Fast also eine kleine Premiere, nicht nur für sie, in der ein neu zusammengestelltes Hausensemble die Kraft der Komödie hochleben lässt. Die Wiederaufnahme der Inszenierung von Regisseur Michael Talke ist am Samstag, 19. Februar im Theater am Goetheplatz.

Vielleicht gibt es keine andere Sparte, die sich so weit in die eine wie in die andere Richtung wagt, in die Tradition wie in das Experiment, wie das Musiktheater. Am gleichen Samstag, 19. Februar hat im Kleinen Haus im Rahmen der Kooperation NOperas! eine gemeinsame Arbeit der finnischen Performancegruppe Oblivia mit der Komponistin Yiran Zhao seine Uraufführung. Der Titel ist Obsessions und die Inszenierung bezieht nun neben den Performer:innen von Oblivia erstmals auch Musikerinnen und Sänger aus dem Orchester und dem Ensemble mit ein. Weitere Vorstellungen folgen am 22. und 27. Februar – nicht nur für die, die am 19. Februar lieber beim Liebestrank sind. Anschließend wird Obsessions an der Oper Wuppertal weiterentwickelt und feiert dort Premiere am 3. Dezember 2022.

„Ja, renn nur nach dem Glück / Doch renne nicht zu sehr / Denn alle rennen nach dem Glück / Das Glück rennt hinterher.“ Brecht fällt einem ein in diesen Zeiten. Natürlich. Sein „Ja, mach nur einen Plan! / Sei nur ein großes Licht! / Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan / Gehn tun sie beide nicht.“ Im Frühjahr werden wir wissen, ob wir mit unseren Plänen und Vorhaben durchgekommen sind. Wir bleiben zuversichtlich! Und rennen weiter nach dem Glück.

Veröffentlichung: 4.1.22 / Aktualisiert: 10.1.22