„Wir arbeiten alle zusammen, damit der Vorhang aufgeht.“
Eine Oper ohne Noten? Zählen und Erzählen von Mauricio Kagel kommt ins Brauhaus. Die künstlerischen Entscheidungen trifft Regisseurin Sarah Weinberg zusammen mit ihrem Team, doch wie sieht es mit den technischen aus? Dramaturgin Frederike Krüger spricht mit den Auszubildenden Allaith Saab und Muhannad Al Bardan, die die Produktion begleiten.
„Absicht dieses Vorhabens ist die szenische Umsetzung mit professionellen Mitteln einer von Kindern frei erfundenen Vorlage.“ So schreibt es Mauricio Kagel 1976 in die Partitur (oder so) seines Zählen + Erzählen. Partitur „(oder so)“ deswegen, weil das Stück genau genommen keine Partitur hat, es gibt keine einzige von Kagel für dieses Stück gesetzte Note, geschweige denn einen Text oder gar Regieanweisungen. Kagels „Musiktheater für Unerwachsene“, wie es im Titel heißt, setzt vollkommen auf den Ideenreichtum der Kinder und derjenigen, die die „wahre oder erfundene“ Geschichte, die „so labyrinthisch und bruchstückhaft wie sie auch sein mag“, „in kürzester Zeit in Szene setzen“. „Charakteristisch wird also die Eile sein“, so Kagel weiter, „in der alle technischen und künstlerischen Entscheidungen getroffen werden müssen“. Ein Stück ohne Noten, ohne Text, das ganz auf die Fantasie der Kinder setzt. Am Theater Bremen sind es 22 Kinder, die zusammen eine Geschichte erfinden. Was habt ihr gedacht, als ihr von dem Projekt gehört habt?
Muhannad Al Bardan: Ich fand das Projekt sofort spannend, weil es etwas komplett Neues für mich war. Ich habe zwar gehört, dass so viele Kinder daran beteiligt sein sollen, aber als ich die ganze Gruppe gesehen habe und dabei war, als diese nacheinander und miteinander die Geschichte erfunden haben, da war ich sehr beeindruckt.
Wie wart ihr daran beteiligt?
Muhannad Al Bardan: Ich bin Auszubildender in der Veranstaltungstechnik und jetzt im dritten Lehrjahr. Ich habe schon letztes Jahr die Produktion Zählen und Erzählen betreut und bin auch jetzt wieder dabei. Ich bin mit meiner Gruppe der anderen Auszubildenden für die technische Betreuung zuständig, wir bauen das Bühnenbild auf, sorgen für das Licht und alle anderen technischen Abläufe. Als die Kinder die Geschichte erfunden haben, waren wir zum Beispiel für die Mikrofonierung und die Videoaufzeichnungen zuständig, damit daraus später die Geschichte für das Stück entstehen kann.
Warum seid ihr am Theater und habt euch für diesen Beruf entschieden?
Allaith Saab: Ich bin am Theater, weil ich die Theaterwelt einfach cool finde. Ich war ein paar Mal hier beim Tag der offenen Tür, dort habe ich mir alles angeguckt und fand das schlicht krass. Als Publikum sieht man nur die Bühne, aber es steckt so viel mehr dahinter. Man denkt ja zum Beispiel gar nicht, dass dieses Theater eine eigene Tischlerei oder Schlosserei hat. Ich wollte Teil dieser Gemeinschaft sein und habe deswegen letztes Jahr meine Ausbildung in der Veranstaltungstechnik begonnen. Mir ist es auch wichtig, an einem Ort sein zu können und nicht beispielsweise auf Festivals oder Messen zu fahren. Hier arbeite ich immer mit denselben Leuten zusammen und es herrscht so etwas wie eine familiäre Atmosphäre und wir erschaffen zusammen so große, tolle Dinge.
Für euch beide war sofort klar, dass ihr nicht als Künstler auf der Bühne stehen wolltet?
Muhannad Al Bardan: Ich habe in verschiedenen Produktionen am Jungen Theater als Darsteller mitgewirkt, darüber habe ich die Bühnentechnik kennengelernt. Ich war so erstaunt, wie viele Menschen hinter der Bühne zusammenarbeiten, damit ein Stück gezeigt werden kann. Ich fand die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen sehr schön. Wir arbeiten alle zusammen, damit der Vorhang aufgeht. Daran will ich beteiligt sein, das ist wirklich mein Traumjob.
Allaith Saab: Mich hat auch eher die Arbeit hinter oder unter der Bühne interessiert.
Welcher Theatermoment hat euch nachhaltig beeindruckt?
Allaith Saab: Bei mir war es ganz klar Verbundensein in der vergangenen Spielzeit, das Visual Poem von Alexander Giesche mit dem Text von Kae Tempest. Von der Geschichte selbst habe ich nicht so viel verstanden … Aber wie sich die Bühne bewegt, dass der Schlagzeuger in der Luft hängt und spielt, dass es Feuer und Wasser gibt, die ganzen Möglichkeiten, dass zu so einem Stück nicht nur das Schauspiel gehört, sondern die Bühne selbst. Das fand ich poetisch und einfach krass.
Muhannad Al Bardan: Für mich war es tatsächlich Zählen und Erzählen letztes Jahr.
Mauricio Kagel gibt keine Geschichte vor, sondern überlässt den Kindern den Raum, ihre Geschichte zu erzählen. Daraus machen dann die Mitarbeitenden am Theater ein Musiktheaterstück. Klingt erst mal ungewöhnlich, fast anarchistisch …
Muhannad Al Bardan: Gerade das finde ich so wichtig, dass die Kinder erzählen können, was sie beschäftigt. Sie haben einfach so eine große Fantasie. Als sie in der Gruppe erst mal angefangen haben zu erzählen, kamen sie über Aliens ins Weltall, von da aus in die Unterwasserwelt … Sie haben von ihren Träumen, von ihren Problemen und Herausforderungen erzählt. Solche Projekte sind wichtig, damit man sehen kann, was die Kinder beschäftigt in der Welt, in der wir gerade leben. Außerdem finde ich es schön, dass wir Auszubildenden die technische Betreuung der Produktion übernehmen.
Womit beschäftigt ihr euch am liebsten, wenn es darum geht, ein Stück auf die Bühne zu bringen?
Allaith Saab: Ich arbeite am liebsten dicht an der Bühne und in der Bühnentechnik, wenn wir zum Beispiel Galeriewände oder Kulissen aufbauen und anbringen. Dass wir die Räume entstehen lassen, auf denen die Schauspieler:innen, Sänger:innen oder Tänzer:innen dann spielen können und sich dabei sicher und frei fühlen, das finde ich toll.
Muhannad Al Bardan: Mein Schwerpunkt liegt auf der Beleuchtung. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie sehr das Licht die Stimmung beeinflusst und wie unterschiedlich Bühnenbilder wirken, wenn sie entsprechend beleuchtet werden. Durch das Licht kann man viel von einem Stück mitgestalten und interpretieren, das interessiert mich sehr.
Versteht ihr euch mehr als Handwerker oder auch als Künstler?
Allaith Saab: Ich würde sagen, dass es genau die Mischung aus beidem ist. Erst wenn wir Dinge auf- oder abbauen und die handwerkliche Arbeit übernehmen, kann die künstlerische entstehen und umgekehrt.
Muhannad Al Bardan: In unserem Beruf muss man beides sein – handwerklich und künstlerisch interessiert.
Veröffentlicht am 15. Januar 2025