Wir driften auseinander

Über Fake News und False Friends, Politik und Theater. Ein Katertext zur Trump-Wahl und ein bisschen Sonnenaufgangs-Werbung von Dramaturg Stefan Bläske.

Ein neuerlicher Trump-Triumph. What more to say? In der ältesten Demokratie wählt eine übersatte Mehrheit einen Sexisten, Rassisten und Kriminellen, einen notorischen Lügner und Narzissten in das noch mächtigste Amt der Welt, zugleich wird Musk, reichster Mann der Welt, noch mächtiger. Sie feiern sich als Wahlsieger und verachten die Grundlagen der Demokratie: „Checks and Balances“, Unabhängigkeit von Justiz und Medien (von Klima und Umwelt ganz zu schweigen), verbreiten Fake News und Gewaltrhetorik, spalten und polarisieren.

„wir driften / auseinander / Ich red nicht nur von uns / die Menschen / alle“, heißt es in dem Stück Vor Sonnenaufgang

Der österreichische Autor Ewald Palmetshofer schrieb es 2017, da hatte Trump gerade mit seiner ersten Amtszeit begonnen und in Österreich der Wahlkampf Spuren hinterlassen. Palmetshofer beobachtete die politischen Verschiebungen und baute sie mit Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Theaterstück zusammen. So treffen zwei Jugendfreunde aufeinander, die sich politisch in entgegengesetzte Richtungen entwickelt haben: der linke Journalist und der rechte Lokalpolitiker. „Wie lange, glaubst du, driften wir noch auseinander, bis wir uns nicht / mehr hören können, wenn wir sprechen.“

Wie können wir noch miteinander sprechen, wenn es keine gemeinsame Grundlage mehr gibt? 

Wenn Menschen nur noch in ihren ideologischen Blasen blubbern? Meine Großcousine aus den USA hat Trump gewählt und schreibt mir: „The democrats are evil. Biden made Putin our enemy. We should be friendly with Putin.” Was tun, wenn der moralische Kompass hohldreht? Wenn Fakten (und selbst zehntausende Tote) nichts zählen? Und was macht das jenseits der Ebene von Politik und Verantwortung mit den Menschen, den Familien und (ehemaligen) Freundschaften?

Es gibt keine einfachen Antworten, auch im Theater nicht. 

Aber das Theater kann ein Ort sein, an dem Konflikte auf- und vorgeführt, stellvertretend ausgefochten werden. An dem man sich in andere Figuren und Positionen hineinversetzt, auch die kriminellen. Ein Ort, an dem gespielt und gelogen wird, die Grenzen von Schein und Sein verwischen, wo aber auch Medienkompetenz erlernt werden kann, das Erkennen der feinen Unterschiede. Ein Probier-Ort letztlich für Demokratie und Humanismus. Die Kunst, schreibt der Soziologe Richard Sennett in seinem neuen Werk Der darstellende Mensch, zivilisiere uns zur Freundlichkeit. In Vor Sonnenaufgang geht es um viel mehr als die politischen Differenzen der Jugendfreunde. Es geht auch um Familie und Feigheit, Alkoholismus und Anziehung, Liebe und Verachtung. Es geht um Schicksalsschläge, die uns treffen jenseits aller politischen Einstellungen. Vor Viren, Krankheiten und Tod scheinen wir alle gleich. 

„So ist der Mensch“, sagt im Stück der Arzt, der den Menschen nicht als ideologisches, sondern primär als biologisches Wesen sehen mag.

Aber täuschen wir uns nicht, selbst das ist politisch. Das Gesundheitssystem (und Abtreibungsrecht), die soziale Schere, die Grenzregime, die Wirtschaft-, Energie- und Umweltpolitik und auch das politische Klima – das alles hat Einfluss aufs Leben und Sterben und die Würde, die einem dabei bleibt. Umso wichtiger, dass wir wählen, Einfluss nehmen, uns engagieren, austauschen. Sei es am Küchen- oder Kantinentisch, auf dem Marktplatz oder im Theater. In mancher Hinsicht ist es natürlich längst zu spät, zugegeben. Aber hey, selbst fünf nach Mitternacht ist doch wieder nur vor dem nächsten Sonnenaufgang.

 

Wir spielen Vor Sonnenaufgang noch drei Mal, am 29. November, 5. Dezember und 10. Januar.

 

 

Veröffentlicht am 12. November 2024