Wir müssen Brücken schlagen
Warum Einigkeit nicht immer der Weg zum Ziel ist. Seit Beginn dieser Spielzeit gibt es am Theater Bremen einen Theaterbeirat. Pressesprecherin Diana König hat sich mit 360°-Agentin Ferdaouss Adda und Quartiersmanager Aykut Taşan getroffen und über die gegenseitigen Erwartungen gesprochen.
Diana König: Ferdaouss, du bist jetzt im vierten Jahr am Theater Bremen als Referentin für interkulturelle Öffnung und hast im Herbst letzten Jahres den Theaterbeirat ins Leben gerufen.
Ferdaouss Adda: Ich habe mir lange Gedanken gemacht, wie wir etwas Nachhaltiges in unseren Theaterstrukturen schaffen können, vor allem in Anlehnung an das 360°-Programm der Kulturstiftung des Bundes, das die kulturelle Diversität fokussiert. Das Theater Bremen stellt sich ja selbst die Frage, wie wir es schaffen können, uns der Stadtgesellschaft zu öffnen? Und das nicht nur im Programm, sondern auch im Publikum, aber auch im eigenen Personal. In Bremen haben wir 38 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (laut Statistischem Bundesamt). Das sind ja mehr als ein Drittel. Und die spiegeln sich zu wenig im Theater wider. So haben wir unterschiedliche Vertreter:innen und Netwerker:innen der Stadtgesellschaft eingeladen, die im Theaterbeirat in den Austausch mit Kolleg:innen hier im Haus kommen. So können wir in diesem Gremium Perspektiven einbringen, Wünsche, aber auch Bedarfe.
Aykut Taşan: Ich bin Quartiersmanager im Schweizer Viertel in Osterholz, ich würde annehmen, dass ein großer Teil der Menschen in unserem Quartier nicht wissen, wo das Theater Bremen ist, sich aber auch inhaltlich nicht angesprochen fühlen. Im Quartier leben 8.000 bis 10.000 Menschen, davon haben etwa 70 Prozent Migrationshintergrund. Ein Teil kennt natürlich das Konzept Theater aus ihrem jeweiligen „kulturellen Hintergrund“ heraus. Das bedeutet dann aber nicht unbedingt Goethe oder Schiller. Es sollte eine größere Vielfalt im Programm geben. Wenn ich an mein Quartier denke, ist aber die Verbindung zum Theater erstmal recht schwierig. Es ist auch eine Kostenfrage: Das Theater selbst kostet Geld, aber auch schon der Weg dorthin. Dabei ist es wichtig, dass das Theater offen ist für Bewohner:innen in Randgebieten, nicht nur für die Gruppe in der Mitte. Ich denke, dass es wichtig ist, diese Öffnung zu unterstützen, deswegen mache ich im unabhängigen Beirat mit. Unsere erste Forderung wäre auch gleich, dass man eine Stelle für Diversität und kulturelle Vielfalt am Theater langfristig besetzt.
Ferdaouss Adda: Im Theaterbeirat sind viele unterschiedliche Menschen, die zum größten Teil Vertreter:innen für bestimmte Interessengruppen sind, was im Moment alle verbindet, ist, dass sie einen Migrationshintergrund haben. Natürlich wäre es auf lange Sicht wünschenswert, sich noch diverser aufzustellen, das heißt, dass zum Beispiel auch Menschen mit Behinderung dabei sind.
Aykut Taşan: Ein Wunsch wäre auch, dass wir uns langfristig ins Programm einbringen und mitgestalten können.
Was ich durch viele Gespräche mit Ferdaouss, aber auch durch die Workshops im Rahmen des 360°-Programms lerne, ist, mir meine eigenen Privilegien einzugestehen. Ich fühle mich als Theatermensch ja erstmal nicht privilegiert. Wie oft wird man belächelt, weil man sich für das Theater entschieden hat – weniger Geld, weniger Einfluss, weniger Karriere. Mich haben also bestimmte Privilegien nicht interessiert. Wenn ich mit euren Augen auf das Programm gucke, dann sieht das allerdings anders aus – ich komme mit meinen Themen hier ganz häufig auf der Bühne vor, im Ensemble fühle ich mich repräsentiert. Und das muss ich mir dann vor Augen halten, weil ich mich schnell angegriffen fühle, wenn ihr zum Beispiel sagt, unsere Homepage richtet sich nicht an alle, unser Programm ist nicht für alle …
Aykut Taşan: Ja, und das gilt natürlich umgekehrt auch – ich stehe vor diesem herrschaftlichen Haus am Goetheplatz und denke, da komme ich gar nicht vor. Die da drin, die machen das Programm, die bestimmen alles, die sind privilegiert. Und dann hat man ganz schnell verschiedene Seiten, zu denen eine:r gehört. Und das wollen wir natürlich nicht. Mir ist schon klar, dass wir im Theaterbeirat oft Salz in die Wunden streuen werden. Aber das ist nun mal wichtig, um eine größere Vielfalt von Bürger:innen zu erreichen.
Der Theaterbeirat ist auf jeden Fall nicht nur ein beratendes Gremium. Ich glaube, das war eine Erwartungshaltung, die ich hatte. Ich dachte, der Beirat schaut auf unseren Spielplan und äußert sich dazu. Aber so ist es nicht, der Theaterbeirat fordert auch Dinge, ist selbst aktiv. Was ich total cool finde, denn als Theatermenschen sehnen wir uns ja danach, dass Theater gewollt wird. Und ihr wollt Theater.
Aykut Taşan: Wir erarbeiten gerade eine Satzung, da ist der erste Satz, dass es ein unabhängiger Beirat ist. Nur beratend ist schnell schwierig, wir wollen gestalten und die Mitglieder und Themen im Beirat ernstnehmen.
Was wären jetzt so Punkte, wo wir als Theater so einen Schubser bräuchten?
Aykut Taşan: Wir haben uns zum Beispiel Istanbul angeguckt, klar, da kommt gegebenenfalls ein türkisches Publikum. Aber wer steht denn auf der Bühne? Weiße spielen Istanbul? Da ist, glaube ich, nur ein Mensch mit Migrationshintergrund dabei, aber das ist ja kein Spiegel der Zivilgesellschaft in Bremen.
Das verstehe ich, aber da würde ich natürlich direkt entgegenhalten: Wir stehen ja auf der Bühne, um alles sein zu können, alles spielen zu dürfen, darin liegt die Freiheit der Kunst. Das darf ja nicht am Personalausweis liegen …
Aykut Taşan: Ja, das ist natürlich auch richtig, das ist ja das Tolle am Theater. Künstlerische Freiheit, klar. Aber wir müssen auf die Strukturen blicken, die das Programm, Inhalt und die Besetzung festlegen.
Ferdaouss Adda: Ich finde das auch richtig, aber wir müssen trotzdem um eine Diversität auf der Bühne kämpfen. Auch wenn wir da alles sein können – es müssen halt auch alle da sein … Obwohl ich mich jetzt auch schon ein paar Mal mit Künstler:innen unterhalten habe, die sich total darüber ärgern, dass sie immer mit ihrem Migrationshintergrund verbunden werden. Das ist halt echt schwierig.
Repräsentation in Personen ist für den Theaterbeirat wichtig. Gibt es auch bestimmte Themen, die unterrepräsentiert sind?
Aykut Taşan: Theater hat ja auch einen Bildungsauftrag – gerade für junge Menschen. Ich sehe auf jeden Fall, was so ein Theaterworkshop bei Jugendlichen bewirkt, wie gestärkt die da rausgehen. Und mit denen zusammen muss man Themen entwickeln.
Die Jungen Akteur:innen sind ja mit ihren Werkstätten und Programmen gerade in dieser Spielzeit raus aus dem Theater und rein in die unterschiedlichen Stadtteile … und die Theaterpädagogik arbeitet auch intensiv mit den Bremer Schulen zusammen, die im Moks bei Schulvorstellungen auch freien Eintritt haben.
Aykut Taşan: Das ist auch super, aber das müsste man ausbauen. Die Hürde für junge Menschen hier zu einem Abendstück ins Theater am Goetheplatz zu gehen, ist schon hoch. Kann ich in Turnschuhen reingehen? Muss ich ein Getränk vorher trinken? Gucken mich die anderen an? Da müsste es niedrigschwelligere Angebote geben, die Jugendlichen ans Theater zu führen. Wir wollen das Theater jetzt nicht total verändern, wir wünschen nur mehr Diversität und einen guten Durchschnitt der Bevölkerung.
Ferdaouss Adda: Die Hemmschwelle sinkt auch einfach total, wenn man Menschen kennt, die hier arbeiten. Deswegen ist es wirklich wichtig, dass wir als Theater präsent sind in den unterschiedlichen Stadtteilen. Wir müssen Brücken schlagen.
Veröffentlichung: 26.4.22