„Wir müssen permanent den Finger in die Wunde legen“

Die Macbeth-Regisseurin Elisabeth Stöppler im Gespräch mit Brigitte Heusinger, der leitenden Dramaturgin im Musiktheater, über starke Frauen, starke Bilder und Meinungsstärke.

Seit über zwanzig Jahren ist Elisabeth Stöppler im Beruf und sehr gut beschäftigt. Inzwischen gibt es mehr weibliche Regisseurinnen, aber Männer dominieren nach wie vor das Operngeschäft. „Wie geht es dir als Frau in dem Beruf?“, mit dieser Frage steigen wir in unser Gespräch ein. „Gut“, sagt sie, sie hätte einen Vorteil gehabt: „gute Vorbilder“ in ihrer Familie. „Ich habe eine Leitungsmutter, die als Ärztin einer Abteilung vorstand, und außerdem eine selbstbewusste, gebildete Großmutter.“ Sie persönlich habe nie das Gefühl gehabt, dass ihr Stand als Frau in der Regie gefährdet sei. Es habe immer Menschen gegeben, Männer wie Frauen, die sie gefördert, unterstützt und vor allem motiviert haben: „Mach es Schritt für Schritt, in deinem eigenen Tempo, erst diese Arbeit, dann die nächste, mach weiter, arbeite einfach weiter so.“ Natürlich berichtet sie wie jede Frau im Theaterbusiness, dass sie hart arbeiten musste, sehr hart arbeiten. Und es fällt ein Satz, der Bände über eine Zeit spricht, die hoffentlich für immer vergangen ist: „Ich habe mich tatsächlich nicht hochgeschlafen, sondern hochgearbeitet.“ Seit längerer Zeit ist ihr ihre frühere Naivität bewusst: „Es macht mich viel wütender als früher, dass unser Gewerbe von Männern beherrscht ist und wie sehr man als Frau kämpfen muss. Nur knapp zwanzig Prozent der Intendant:innen sind Frauen.“

„Wir müssen also für die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern kämpfen, wir müssen permanent den Finger in die Wunde legen.“

Gerne thematisiert sie Geschlechterkämpfe und überkommene Rollenbilder in ihren Inszenierungen, legt Zuschreibungen frei und leuchtet gerade Frauen-Figuren neu und komplexer aus. So bestand in ihrer Mefistofele-Inszenierung am Staatstheater Hannover ein wunderbar monumentales Bild aus achtzig Madonnen – die Hälfte davon waren Männer. Elisabeth Stöppler arbeitet immer wieder an Theatern wie der Staatsoper Hannover und der Oper am Rhein in Düsseldorf, jetzt im Frühjahr erstmalig an der Staatsoper Stuttgart, bald am MusikTheater an der Wien und dem Essener Aalto-Theater. 2019 erhielt sie den renommierten Faustpreis für ihre Inszenierung von Richard Wagners Götterdämmerung am Theater Chemnitz. Und zwischendurch gab es Corona.

Doch jetzt endlich war Zeit für das ewig geplante Engagement am Theater Bremen.

Sie hat sich auf Bremen gefreut, auf den Ruf, der dem Haus vorauseilt, nämlich ein innovatives, experimentierfreudiges Theater zu sein, an dem man auch mal ungewöhnliche Dinge realisieren kann. Und so wurde lange über ein Projekt nachgedacht, mit Chor, großem Orchester, eine Messe vielleicht, ergänzt mit Musik aus dem 20./21. Jahrhundert. Und es sollte ein Stück sein, das sich aus einer Frauenperspektive erzählen lässt, aus einem emanzipatorischen Blickwinkel. Es ist kein Projekt geworden. Nichts daran ist 20. Jahrhundert. Aber die starke Frauenfigur gibt es: Lady Macbeth. Und es ist ein Werk geworden, das wie wenige dramaturgisch reibungslos läuft, wie ein mörderischer Sog, von dem man weiß, dass er fatal ist und sich nicht stoppen lässt. Dabei gibt es wenig Handlung: Macbeth will an die Macht, befördert von seiner Frau, und vernichtet brutal und blutig alle, die sich ihm in den Weg stellen.

Der eigentliche Plot jedoch ist die Psychologie, die Motive, die die komplex gezeichneten Figuren antreiben, ihre Verstrickung miteinander.

Das kommt Elisabeth Stöppler entgegen, ihre Inspirationsquelle sind die Menschen, die Charaktere auf der Bühne und Darsteller und Darstellerinnen auf der Probe, mit denen sie tief in die Figuren eindringt und ihren Abgründen nachspürt. Sie macht „ein Menschen-Theater“, wie sie es nennt, und genießt es, wenn sie auf meinungsstarke und sensibel intelligente Sänger:innen trifft, die durch ihre Persönlichkeit Impulse geben, selber suchen und finden, entdecken wollen. „Der dumme, stimmstarke Tenor ist meiner Erfahrung nach nur eine Legende.“ Mit ihren Darsteller:innen gemeinsam schafft sie einen Kosmos, der Bilder produziert und Bilder im Kopf schafft. Sie arrangiert Tableaus. Vom Pult aus schiebt sie per Mikrofon freundlich, aber bestimmt die Menschen in Positionen, moduliert eine Skulptur, bei der die Proportionen stimmen und in der eine räumliche Spannung erzeugt wird.

Aber es sind vor allem die unbewussten Vorgänge, die psychodynamischen Energien, die sie ikonisch einzufangen versucht.

Sie motiviert den Ehrgeiz des Paares Macbeth durch frühere Vernachlässigung, sie wertet die Nebenfigur des Dieners auf und lässt sie als geheimnisvolle, todesschwangere Figur durch das Stück gehen, sie implantiert die Figur der Lady Macduff, die wie Martha Goebbels ihre Kinder töten wird. Ein heftiges Bild, das aber nicht auf Effekt, auf Schock abzielt, sondern langsam einsickert in das Bewusstsein der Sehenden. Elisabeth Stöppler macht voller Leidenschaft Oper. Sie glaubt an die Gattung, an dieses Musik-Theater, an den „abgegriffenen Begriff des Kraftwerks der Gefühle, diese extreme Bündelung von musikalischer, textlicher und körperlicher Energie“. „Musiktheaterwerke sind der Realität enthobene Gebilde, eben durch die Musik, den Rhythmus, den Gesang. Zuspitzen, steigern, extrem verdichten, bis es surreal, grell, hoch emotional, gerne ambivalent und im gleichen Atemzuge tief wahrhaftig wird – das alles kann Musiktheater!“ Und deshalb macht sie es immer und immer wieder – mit Herz und Seele und Haut und Haaren.

 

 

Veröffentlicht am 3. Januar 2024