„Wir verteilen nicht nur Lebensmittel“

Kaffee, Tee, Nudeln, Reis und andere unverderbliche Lebensmittel werden gerade im Theater für La Bohème gesammelt: Die Spenden sollen zur Vorstellung mitgebracht werden und kommen erst auf die Bühne und dann zur Bremer Tafel. Über die Kooperation spricht Dramaturgin Brigitte Heusinger mit Ilse Stümpel von der Bremer Tafel.

Brigitte Heusinger: Die Bremer Tafel, was ist das eigentlich?

Ilse Stümpel: Die Tafel wurde 1995 nach dem Berliner Vorbild gegründet, um überschüssige,
noch einwandfreie Lebensmittel zu retten, einzusammeln und diese an bedürftige Menschen
zu verteilen. Wir haben in Findorff ganz klein angefangen und inzwischen gibt es fünf
Ausgabestellen. In Hemelingen ist die größte, ansonsten sind wir noch in Burg, in Huchting, in der Vahr und in Obervieland vertreten. Nächstes Jahr haben wir unser 30-jähriges Jubiläum. Ich selbst bin seit 17 Jahren bei der Tafel ehrenamtlich tätig.

Wie bist du dazu gestoßen?

Mein Mann und ich saßen eines Abends bei unserem Lieblingsitaliener und haben uns
versichert, wie gut es uns ginge und dass wir eigentlich mal Geld spenden sollten. Aber man
weiß ja nie, wohin die Gelder gehen. Und so habe ich beschlossen, selber tätig zu werden.
Und das habe ich getan und mich bei der Tafel beworben.

Gab es Erlebnisse, die dich besonders berührt haben?

Ja, ich hatte ein Schlüsselerlebnis. Es gab Buttertoast, den ich einer Frau ganz besonders
angepriesen habe. Sie hat mir geantwortet, dass sie keinen Toaster mehr besitze, Toaster
seien Stromfresser. Das war mir gar nicht klar. Jedes Mal, wenn ich jetzt den Schalter beim
Toaster runterdrücke, denke ich daran und habe ein schlechtes Gewissen.

Hat sich mit den Jahren etwas verändert bei der Tafel?

Es kommen immer mehr Menschen. Immer mehr. Wir werden überrannt
und können längst nicht alle Bedürftigen aufnehmen. An unseren fünf Ausgabestellen haben
wir momentan um die 2500 Besucher:innen, die einmal in der Woche kommen dürfen. Da
hinter fast jeder Person eine Familie steht, gehen wir davon aus, dass wir ca. 7000 Menschen
versorgen.

Welche Menschen besuchen euch?

Ca. 25 Prozent dieser Besucher:innen sind über 65 Jahre alt, Menschen, die nicht von ihrer Rente leben können, 25 Prozent sind Kinder und Jugendliche. Es kommen Empfänger:innen von Bürgergeld und Asylleistungen, Alleinerziehende, viele Geflüchtete aus der Ukraine. Wir versuchen, die Relationen zu wahren und keine Gruppe zu bevorzugen. Aber wir schauen auch, dass die Älteren zum Beispiel an einem bestimmten Tag kommen. Wir verteilen ja nicht nur Lebensmittel, wir sind auch ein Ort der Begegnung. Hier finden die Menschen ein Gegenüber, mit dem sie sich unterhalten können, über den gestrigen Fernsehfilm, über das Wetter, über Werder. Geöffnet wird um 13 Uhr, aber viele Besucher:innen sind schon viel eher da, weil sie reden wollen.

Eure Besucher:innen zahlen ein geringes Eintrittsgeld.

Eine Person zahlt 2 Euro, ab zwei Personen sind es 3 Euro. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, finanzieren uns rein aus Spenden und haben sehr viele Ausgaben. Die Nebenkosten
müssen bestritten werden, die Miete, der ganze Fuhrpark mit den Folgekosten, Reparaturen
oder auch Sprit, Strom, Versicherungen. Trotzdem, wenn sich der Monat dem Ende zuneigt, müssen einige anschreiben. Die Bürgergeldsätze kann man nachlesen. Ein Alleinstehender bekommt ja monatlich 563 Euro plus Miete, Heizung und Nebenkosten. Der Betrag, der davon für Lebensmittel gerechnet wird, beträgt 200 Euro, das bedeutet 6,50 Euro pro Tag fürs Essen. Daher ist es wirklich gut, dass es uns gibt.

Es bewahrt ja auch die Würde, wenn die Besucher:innen im Gegenzug etwas geben.

Ja, wir verteilen keine Almosen. Wir wollen es den Armutsbetroffenen so schön wie
möglich machen. Keiner soll Scham empfinden, weinen oder darunter leiden, dass er oder
sie zu uns kommen muss. Darum haben wir den Ort schön eingerichtet und die Kassenhalle
schmückt ein Kronleuchter.

Die gesammelten Lebensmittel gehen nicht nur an die Besucher:innen in euren
Ausgabestellen.

Nein, wir unterstützen auch andere Organisationen, die sich um Armutsbetroffene
kümmern, wie die Suppenengel oder Cafés für Drogenabhängige und auch einige Schulen.
Viele Kinder gehen ohne Frühstück, ohne Pausenbrot in die Schule. Durch uns bekommen sie
Backwaren und Obst, für manche Kinder die einzige Möglichkeit, auch mal eine Kiwi oder
Mandarine zu essen. Und zu Weihnachten gibt es immer eine besondere Aktion. Die
Mitarbeiter:innen von Mercedes und der Bremer Lagerhausgesellschaft packen Kartons mit
Weihnachtsgeschenken. Eine ganze Woche lang sind nachmittags Kinder da, es kommt der
Weihnachtsmann und jedes Mädchen, jeder Junge bekommt ein Paket, dass auf sein Alter
abgestimmt ist.

Wie viele Unternehmen gibt es, die ihre Lebensmittel spenden?

Wir haben fünf Fahrzeuge, die jeden Werktag 160 Supermärkte, Lebensmittelläden und
Bäckereien nach einer festgelegten Route abfahren. Die Lebensmittel kommen dann nach
Hemelingen, hier wird sortiert und an die anderen Stationen verteilt. Jede:r Besucher:in
bekommt einen Korb mit Obst, Gemüse, mit Brot und Brötchen, ein bisschen Kuchen und
frische Produkte wie Joghurt, Käse und Wurst. Manchmal gibt es auch Blumen.

Die Akquise neuer Quellen gehört auch zu deinem Aufgabengebiet.

Ja, ich frage einfach nach, ob sich Geschäfte beteiligen wollen. In den meisten Fällen sind sie froh, in anderen Fällen nicht. Es ist einfach unaufwändiger, alle unverkauften Lebensmittel in eine große Tonne zu schmeißen. Das ist traurig, wenn man das sieht. Denn es ist ja unsere Bestimmung, Lebensmittel zu retten. Es ist das Wichtigste überhaupt.

Was hast du gedacht, als das Theater Bremen gefragt hat, ob wir bei der Produktion
La Bohème kooperieren wollen?

Es war herrlich. Im Februar kam eine Mail ins Haus, die sinngemäß lautete: Wir planen eine Oper, in der es um Armut, Hunger, Kälte, Kranksein geht. Genau das erfahren wir ja immer in der Tafel. Und auch die Idee, die die Regisseurin Alize Zandwijk entwickelt hat, dass das Publikum Lebensmittel mit ins Theater bringen soll, die eine Rolle auf der Bühne spielen und anschließend zur Tafel kommen, fand ich prima. Mein Chef hat damals gesagt: „Jetzt wird es ja immer verrückter, Ilse. Darum kümmerst du dich.“ Ich war begeistert und habe den Vorstand schnell rumgekriegt, indem ich einfach Arien des ersten Aktes vorgespielt habe. Wir fühlen uns sehr wertgeschätzt, dass wir angefragt wurden. Es gibt in Deutschland 960 Tafeln, aber so etwas hat es noch nie gegeben.

Dabei hatten wir anfangs ein wenig Bedenken, dass ihr euch benutzt fühlen könntet.

Nein, nein, ganz im Gegenteil. Ich bin sehr gespannt auf diese Aufführung und mich
würde es nicht wundern, wenn die Geschichte gar nicht in Paris spielt, sondern in Bremen.

Ja, ich denke, da irrst du dich nicht. Sag mal, sucht ihr eigentlich noch ehrenamtliche Helfer:innen?

Wir haben 200 Ehrenamtliche, ein guter Mix aus Jung und Alt, verschiedenen
Nationalitäten und Werdegängen. Aber wir suchen ständig aktive und verlässliche
Unterstützung durch Ehrenamtliche, die einen Teil ihrer Zeit spenden und wöchentlich z. B.
fünf Stunden als Helfer:innen in der Bremer Tafel tätig werden. Je nach persönlicher
Präferenz haben wir die passende Einsatzstelle im Fahrdienst, der Sortierung, der
Lebensmittelausgabe oder in der Organisation. Wir freuen uns über jeden Anruf, Tel. 0421 4341959 (Herr Schröder) oder über eine e-mail: brementafel@nord-com.net

Wenn Menschen, die jetzt diesen Artikel lesen, spenden wollen, wohin sollen sie
sich wenden?

Geldspenden sind immer willkommen, sie werden ausschließlich für unsere Betriebskosten
verwendet. Unser Spendenkonto gegen Spendenbescheinigung: IBAN DE 37 2905 0101 0011 5264 64.

 

 

Veröffentlicht am 18. November 2024